Nancy Faeser zur Digitalisierung der Verwaltung: "Es ist etwas in Bewegung"
Der Bitkom lädt in Berlin zur Digitalisierungs-Leistungsschau für Verwaltungen. Zwei Bundesminister schilderten ihre Ansichten dazu.
"Stadt. Land. Tech" lautet das Motto der diesjährigen Messe Smart Country Convention des IT-Branchenverbands Bitkom in Berlin. Zu Beginn der dreitätigen Konferenz versprühten mit Nancy Faeser und Cem Özdemir gleich zwei Mitglieder des Bundeskabinetts Zweckoptimismus. Unfreiwillig komisch geriet dabei die Eröffnung: Zu den Klängen von Kate Bushs "Running up that Hill" begann die Veranstaltung – was wohl sinnbildlich für den Stand der Digitalisierung der Verwaltung sein sollte. Passend dazu stellten gleich die ersten Redner das bisherige Tempo in Frage.
Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst betonte, dass die Digitalisierung wesentlich schneller werden müsse. "Es sind nicht nur Themen wie Quantum Computing, Künstliche Intelligenz, Next Generation Networks oder Cloud. Deutschland ist das Land an vierter Stelle weltweit für Ausgaben für Forschung und Innovation in der Technologie." Dieses Niveau müsse mindestens gehalten werden – sonst könne Deutschland in eine "digitale Kolonie" abrutschen. "Wir sind viel besser als das, was in der öffentlichen Meinung so gedacht wird", meinte Wintergerst. Aber der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft wachse.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Schirmherrin der Veranstaltung, sagte, sie bringe gute Nachrichten aus dem Bund-Länder-Gespräch mit. Noch bis zum Morgen hatten die Ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzler Olaf Scholz auch über die Zukunft der Verwaltungsdigitalisierung beraten. Die Beteiligten hätten sich geeinigt, diese auch langfristig gemeinsam zu finanzieren.
"Es ist etwas in Bewegung"
Innerhalb eines Jahres habe sich die Zahl der Bund-ID-Konten von 212.000 auf 3,4 Millionen Konten erhöht. "Da sehen Sie, es ist etwas in Bewegung", meinte Faeser. Es habe auch 10 Millionen erfolgreiche Transaktionen mit der eID des Personalausweises gegeben. Was sie nicht erwähnte: Ein Großteil der Anmeldungen geht auf nicht sonderlich freiwillige Inanspruchnahme von Leistungen zurück, für die ein BundID-Konto der einzig praktikable Weg war. Vor allem die Einmalzahlung für Studierende verlieh den Nutzerzahlen einen Schub – seit Mai sind hingegen nur noch 600.000 neue Konten hinzugekommen.
Lesen Sie auch
Onlinezugangsgesetz 2.0: Die BundID fĂĽr alle kommt
Weitere relevante Bereiche streifte Faeser eher nur: Ein Prototyp für die "digitale Brieftasche" solle nun im kommenden Jahr kommen. Erstmals angekündigt wurde diese für den Herbst 2021. Wer dabei mitmachen wolle – gemeint waren offenbar vor allem die Anbieter von Smartphone-Betriebssystemen und Hardware wie Apple – sei herzlich dazu eingeladen. Voraussetzung für die Nutzung öffentlicher Angebote sei aber die Informationssicherheit. "Dazu müssen alle Ebenen zusammenarbeiten", betonte Faeser. Erst am Wochenende hatte der IT-Planungsrat von Bund und Ländern noch darum gebeten, dass Einrichtungen von Ländern und Kommunen nicht den strengeren Anforderungen der NIS2-Richtlinie unterliegen sollten.
Digitalisierung im ländlichen Raum
Die Fachausstellung Smart Country Convention richtet sich vor allem an die öffentliche Verwaltung. Sie findet seit 2018 statt und erwartet in diesem Jahr 15.000 Fachbesucher, die Aussteller sind zum Großteil IT-Konzerne, Bundesländer und Kommunal-IT-Unternehmen oder andere Dienstleister für die Verwaltung. Der Schwerpunkt der Messe liegt auf Lösungen auf der Digitalisierung von Kommunen, kommunalen Dienstleistungen und dem ländlichen Raum.
Für den ist im Bund Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zuständig. Der berichtete am Dienstagvormittag in Berlin, sein Verhältnis zur Digitalisierung sei zurzeit gespalten: "Mir fällt es wirklich schwer, mein Mobiltelefon in die Hand zu nehmen", berichtete er – und meinte damit Hass und Hetze im Kontext des Überfalls der Hamas auf Israel und des folgenden Militäreinsatzes – aber auch mit Blick auf manipulative Kampagnen. "Wir dürfen den digitalen Raum nicht denen überlassen, die ihn missbrauchen wollen", forderte Özdemir. Neben den destruktiven Entwicklungen habe die Digitalisierung nach wie vor das Zeug, die Welt zu einem besseren Ort zu machen: "Global, regional und vor allem im ländlichen Raum."
Denn ländliche Regionen könnten durch Vernetzung und Zugang neue Möglichkeiten für ein attraktives Leben auf dem Land schaffen. Telemedizin und Homeoffice, aber auch Fernunterricht und E-Commerce würden Chancen bieten, meint Özdemir. Und selbst im Kernbereich seines Ministeriums könne sie viel verbessern: Smart Farming ermögliche effiziente Anbau- und Erntemethoden, was sowohl den Ressourcenverbrauch als auch die Anbaueffizienz erhöhe.
Vorbild Ukraine
Allerdings gehe vieles viel zu langsam voran, räumte Özdemir selbstkritisch ein. Auf dem Land seien nur 31 Prozent der Haushalte an Gigabit-Netze angeschlossen. "Da muss mehr Tempo rein", denn die Mehrheit der Menschen lebe in Deutschland nun einmal auf dem Lande. "Wenn ganze Regionen digital abgehängt werden, wird die Kluft nicht kleiner, sondern größer." Auf dem Land zu wohnen, dürfe nicht "am lahmen Internet scheitern." Auch in der "Förderbürokratie" könne Digitalisierung deutlich vereinfachend wirken, gerade für ländliche Räume sei das wichtig.
Als Vorbild nannte der Grünen-Politiker die digitale Verwaltung der Ukraine, diesjähriges Partnerland der Smart Country Convention. Deren Minister für digitale Transformation und stellvertretender Ministerpräsident Mychajlo Fjodorow sprach per Videovortrag zur Eröffnung auf dem Charlottenburger Messegelände: "Die digitalen Tools sind die resilientesten." Das staatliche Portal DIIA sei zum oftmals einzigen Zugang zu öffentlichen Leistungen für die Bürger geworden und sei für das Überleben wichtig.
Unverzichtbar sei auch die IT-Sicherheit: Schritt fĂĽr Schritt sei die Ukraine zu einem Security-by-Design-Staat geworden, auch in der Verwaltungs-IT. "Die Ukraine hat eine einzigartige Erfahrung mit der Nutzung von Clouddiensten", sagte Fjodorow, und verwies darauf, dass groĂźe Teile der IT nicht im Land, sondern mit der Nutzung privater Angebote abgesichert wurden. Das habe dem Funktionieren der Verwaltung in der Ukraine im Krieg das Ăśberleben gesichert.
(anw)