Nationale Cybersicherheitskonferenz: BND warnt vor Zweifel als Waffe

Zum Abschluss der Cyberkriegerkonferenz erklärt der Bundesnachrichtendienst, dass Sanktionen gegen Russland wirken und China die größere Bedrohung darstellt.

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Würfel mit Buchstaben buchstabieren "CYBERCRIME"; ein Finge dreht gerade einige Buchstaben um, um daraus "CYBERSECURITY" zu machen.

(Bild: deepadesigns/Shutterstock.com)

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Dass viele Fachleute die Sicherheitslage im digitalen Raum nicht gerade als gut bezeichnen, haben bereits Vorträge und Diskussionen des ersten Tages der zwölften "Potsdamer Konferenz für nationale Cybersicherheit" gezeigt. Am Donnerstag schloss die Konferenz mit interessanten Details – und etwas Ratlosigkeit.

Die Folgen von Russlands Großangriff auf die Ukraine beschäftigen den Bundesnachrichtendienst (BND) intensiv. "Obwohl Schäden und Auswirkungen bislang überschaubar sind, sollten wir nicht den Fehler machen, die Bedrohung für den Westen zu unterschätzen", mahnte BND-Vizepräsident Dag Baehr am Donnerstag am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam-Griebnitzsee. Für die Auslandsaufklärungsbehörde mit Sitz in Berlin und Pullach bei München gibt es dabei eine ganze Reihe an Erkenntnissen.

Besonders wichtig, erklärte Baehr, der wie viele BND-Mitarbeiter aus der Bundeswehr stammt und dort den Rang eines Generalmajors bekleidet, seien neben den Erkenntnissen zu Sanktionsumgehungen auch die Aktivitäten anderer Dienste. Man könne die regierungsnahen APTs (Advanced Persistent Threats) dabei beobachten, wie sie sich für die ukrainischen Anwendungen interessierten, mit denen sie etwa aus Drohnen-Daten, klassischen Zieldaten und sonstigen Quellen mittels Machine Learning Lagebilder erstellen. Das sei etwa auch für China ein überaus interessantes Ziel, das zugleich auch in Russland Erkenntnisse sammle.

Das gesteigerte Interesse an den digital-militärischen Fähigkeiten der Ukraine gehe dabei deutlich über die Grenze des Landes hinaus, berichtete Baehr: Drohnenüberflüge über westliche Truppenübungsplätze, wo ukrainische Soldaten ausgebildet werden, würden komplementär auch durch Angriffe im digitalen Raum ergänzt.

Für den BND-Vizepräsidenten gibt es zudem weitere bemerkenswerte Entwicklungen: Die Reiseaktivität von Russlands Präsident Wladimir Putin sei für ihn ein Zeichen, dass die Substitution westlicher Technologie in Russland scheitere, die Sanktionsumgehung also trotz der Fälschung von Zollpapieren etwa nicht funktioniere. Der russische Präsident reiste zuerst nach Nordkorea und reist heute nach Vietnam weiter.

Bei den Cyberangriffen auf Ziele auch in Deutschland sieht Baehr Russland zwar aktuell als Gefahr, mittelfristig jedoch nicht als die Hauptbedrohung. Wie auch schon andere Akteure am Vortag der Potsdamer Konferenz, ist für ihn China auf Dauer relevanter: "Im Gegensatz zu Russland würde ich das Vorgehen Chinas als langfristiger und planvoller ansehen", sagte BND-Vize Dag Baehr. Die Volksrepublik verfüge über eine deutlich größere Manpower und eine an den offiziellen Staatszielen orientierte Strategie, wirtschaftliche und politische Prozesse und Cyberangriffe würden gezielter aufeinander abgestimmt. Deutschland als "Immer-Noch-High-Tech-Nation" müsse das beobachten und sich adäquat schützen. Chinesische Angreifer nutzten zudem zunehmend eigene Verschleierungsnetzwerke, die die Attribution von Angriffen maßgeblich erschweren würden, so der BND-Vize.

Anders sei die Lage bei der Desinformation: Ausschließlich auf dem Boden des Westens werde der Informationskrieg derzeit ausgetragen, trug Baehr vor. Kommunistische und autokratische Staaten hätten nach Ende des Kalten Krieges erkannt, dass die Attraktivität ein entscheidender Faktor für die Systemstabilität sei – und würden darauf nun im Westen zielen, Bruchlinien innerhalb von Gesellschaften zu verstärken versuchten. Der BND-Vize warnte vor einer "Weaponization of doubt", bei dem Zweifel gezielt zur Destabilisierung gestreut würden. Die westlichen Gesellschaften "mit Ausnahme vielleicht der nordischen und baltischen Staaten" würden bislang wenig Gegenwehr gegen russische Einflussnahme unternehmen, meinte Baehr. Russland bereite sich jedoch langfristig vor und die Netzwerke für Desinformationskampagnen könnten kurzfristig aktiviert werden.

Sein etwas betrübt wirkendes Fazit: "Wir haben für viele Dinge, die hier passieren, sehr wenig Zeit, nehmen uns aber Zeit." Geschwindigkeit sei seiner Bewertung nach entscheidend. Die Haupterkenntnis sei, dass es nach den Ereignissen in der Ukraine auf allen Ebenen Veränderung "zwischen den Ohren stattfinden muss, um Fortschritt zu erreichen."

Darin stimmt der BND-Vizepräsident weitgehend mit seinem Kontrolleur überein: Konstantin von Notz, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste, forderte ein "robusteres Vorgehen." Das gelte für den Umgang mit TikTok genauso wie für viele andere Probleme, die ihren Ursprung in wenig wohlmeinenden Staaten hätten, meint der Grünen-Politiker. Die Erkenntnis, dass die Welt in den kommenden 30 Jahren nicht dieselbe sein werde wie heute, sei für viele Menschen hart, so der PKGr-Vorsitzende von Notz. Das würden interessierte Kreise ausnutzen.

Er verstehe auch nicht, warum im Bereich Social Media alles weiterlaufen gelassen werde, so von Notz. Es brauche vielmehr einen harten Regulierungsrahmen. "Objektiv verrückt" sei es, diesen Angriffsvektor zu ignorieren. Man könne den Menschen nicht verbieten, so von Notz wörtlich, "Bullshit" ganz ernsthaft zu glauben, der jenseits jedes intellektuellen Konsenses liege – und nannte als Beispiel die "Flat Earther". Neu allerdings sei, dass man Zynikern wie X-Eigentümer Elon Musk komplett freie Hand lasse, sie auch noch hofiere und dessen eigenwillige Äußerungen auch noch als ernstzunehmende Meinungen behandle.

Einer mahnte in Potsdam zur Aktivität, aber auch zur Vorsicht beim Eingreifen: Georg Mascolo, ehemaliger Spiegel-Chefredakteur und seit vielen Jahren Berichterstatter. Medien hätten sich allerdings zu lange mehr mit der Bedrohung ihrer Geschäftsmodelle und zu wenig mit ihrer Glaubwürdigkeit beschäftigt. Ihm bereite es jedoch Sorgen, dass Polarisierung inzwischen im Mediensektor ein gutes Geschäftsmodell sei. "Im Grunde ist das Auslassen, das Unterschlagen, das Kreieren einer bestimmten Art von Wirklichkeit das Problem", so Mascolo. Doch in die Meinungsfreiheit einzugreifen, sei in westlichen Demokratien immer heikel, es gebe hier offenkundig "keine Zauberrezepte."

Wie kompliziert das Verhältnis zu Verschwörungstheoretikern und deren Unterstützern ist, illustrierte Mascolo an einem Beispiel: Der BND habe bei Musks Firma SpaceX bereits Raketentransporte gebucht, um Satelliten ins All zu bringen, erinnerte der Journalist, was BND-Vize Dag Baehr bestätigte. Worauf Geheimdienstkontrolleur von Notz mit einem Lächeln auf die Flat-Earth-Gläubigen verwies: Wenn die Erde eine Scheibe sei, müsse man wohl noch einmal darüber nachdenken.

Zum Abschluss der Konferenz rief der Bundes-CIO und Staatssekretär im Bundesministerium des Innern (BMI) Markus Richter noch einmal dazu auf, die Multidimensionalität der Bedrohungslage zu erkennen. Es sei ein Fehler gewesen, bei dem Sondervermögen für die Bundeswehr nicht die Komponente für die Innere Sicherheit und den Zivilschutz mit zu organisieren. Nun müsse man sich finanziell "von Baumscheibe zu Baumscheibe" bewegen, so Richter. Wenn etwa im Fall der Fälle die Logistik nicht funktioniere, würde das Sondervermögen wenig bewirken können.

Richter verwies in dem Kontext auch auf die Problematik der Funkfrequenzen, die derzeit für den digitalen Behördenfunk genutzt werden: Diese sind derzeit im militärischen Funkspektrum beheimatet und von diesem nur unter Vorbehalt geliehen. Im Fall notwendiger Truppenverlegung durch Deutschland könnten also Feuerwehren, Polizei und Katastrophenschutz plötzlich ohne nutzbares Funkspektrum dastehen. Derzeit versucht das BMI, die für den Rundfunk zuständigen Länder davon zu überzeugen, dass diese dem Plan zustimmen, heute unter anderem für Medien genutzte Spektrumsbereiche im UKW-Band für den Digitalfunk der Behörden zu nutzen.

(fds)