Neue Ermahnungen zur grundlegenden Reform des Patentsystems
Studien aus Dänemark und den Niederlanden fordern angesichts der hitzigen Debatte über Softwarepatente eine Neuausrichtung auf ganzer Linie beim Schutz des Geistigen Eigentums.
Aktuelle Studien aus Dänemark und den Niederlanden fordern angesichts der hitzigen Debatte über Softwarepatente eine Neuausrichtung beim Schutz des Geistigen Eigentums auf ganzer Linie. Während die beiden Expertenanalysen die entgegengesetzte Haltung in der Frage beziehen, ob Computerprogramme überhaupt einem erweiterten Patentschutz unterliegen sollten, sind sie sich einig in der Forderung nach einer grundsätzlichen Reform des gesamten Patentsystems. So empfiehlt der Report eines Expertenkomitees der holländischen Regierung, beim Europäischen Patentamt (EPA) auf eine "wachsende Qualität der verliehenen Patente hinzuarbeiten" -- insbesondere "bei Software". Dazu müsse vor allem die Messlatte der Erfindungshöhe nach oben gelegt werden. Die Dänen kommen ähnlich zu dem Schluss, "dass es nicht länger haltbar ist, nur das alte System zu füllen ohne eine solidere Grundlage für Entscheidungen hervorzubringen".
Die dänische Studie stammt vom Danish Board of Technology, das vergleichbare Aufgaben wie das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag wahrnimmt. Der Autor, Christian Friis Bach von der Royal Veterinary og Agricultural University, steht Softwarepatenten skeptisch gegenüber. "Die Angst, dass viele Patente den Wettbewerb behindern, ist besonders bemerkbar in der Elektronik- und Informationstechnologie", schreibt der Professor. Dieser Effekt könnte noch dadurch vergrößert werden, dass manche dieser Schutzansprüche anscheinend nur aus diesem Zweck heraus beantragt worden seien. Die Forschungs- und Entwicklungskosten für neue Funktionen bei Software seien mit Ausnahme des Bereichs Programmierung und Fehlersuche gleichzeitig nur mäßig hoch, sodass es keiner besonderer Innovationsanreize bedürfe. Geheimnisschutz und das Bemühen, eine Erfindung als erstes marktreif zu machen, seien hier zudem oft wichtiger als der teure Monopolschutz.
Generell beklagt Bach einen "überraschenden Mangel an ökonomischen Analysen", ob das Patentsystem wirklich der Gesellschaft diene. Es gebe aber eine Reihe aktueller Studien, die eine einfache Beziehung zwischen Patentschutz, Innovation und finanzieller Stärke verneinen würden. "Patente und andere exklusive Rechte sind keine Garantie für Erfolg", so der Verfasser der Empfehlungen "zu einem Patentsystem der Zukunft". Generell rät Bach dazu, die Qualität im Patentwesen "durch erhöhte Ressourcen, gemeinsame Prüfungsrichtlinien, sektorenübergreifende Untersuchungen von Patentierungspraktiken bei verschiedenen Verwaltungen und Behörden sowie die Entwicklung internationaler Datenbanken und/oder Verfahren für eine gegenseitige Anerkennung von Prüfungsergebnissen zu verbessern".
Im Detail schlägt das dänische Gremium vor, auf ein gebührenbasiertes Patentsystem hinzuarbeiten, "das es dem Patentinhaber nicht gestattet, die wirtschaftliche Nutzung seines Patents zu verbieten". Zudem bringen die Dänen eine flexiblere Gestaltung der Patentlaufzeiten ins Spiel. Bei Softwarepatenten halten sie ferner eine "proaktivere Regulierung" für nötig, um sicherzustellen, dass Patente nicht die Interoperabilität mit anderer Software blockieren. Sollte sich herausstellen, dass die Schutzansprüche in diesem Bereich den technologischen Fortschritt nicht fördern, sollten Computerprogramme besser überhaupt nicht für patentierbar erklärt werden.
Die heise online vorliegenden Empfehlungen des Beratungskomitees der niederländischen Regierung, dem unter anderem ein Forscher sowie Produktmanager von Philips angehören, sehen dagegen "keinen guten Grund, den Ausschluss von Software" vom Patentschutz "zu rechtfertigen". Computerprogramme seien schließlich als Teil der Technik anzusehen. Im Gegenzug sei aber dem EPA deutlich stärker mithilfe unabhängiger Kontrollgremien auf die Finger geschaut werden.
Auch haben die Experten keine Hoffnung mehr, in der umkämpften EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" eine klare Trennlinie zwischen patentierbarer und nicht schützbarer Software zu ziehen. Den Haag sollte daher gemäß seines Votums, nur in diesem Fall die Verabschiedung der Direktive zu unterstützen, sich für die Rücknahme der Gesetzesvorlage aussprechen. Sollte dies in der Kürze der Zeit vor der für Anfang Juli anberaumten 2. Lesung nicht mehr machbar sein, müsste zumindest eine Klausel eingefügt werden, dass eine Erfindung etwa durch die Offenlegung des Quellcodes "ausreichend" veröffentlicht werde. Nicht zu verhindernde Ansprüche auf Geschäftsmethoden und Algorithmen sollten zudem so frei wie möglich in anderen Applikationen verwendet werden dürfen.
Die Lobbyschlacht in der EU um die Direktive wird derweil mit unverändert hoher Intensität fortgeführt. So wirft die Berliner European Media, Communication and Information Technology Association (Emcita) dem Branchenverband Bitkom eine "widersprüchliche Haltung" vor: Einerseits warne er vor einem drohenden Fachkräftemangel wegen eines sinkendem Interesses am Informatikstudium. Andererseits ermögliche die von dem Verband bevorzugte "faktische Aufhebung des gesetzlichen Patentierungsverbots für Software nicht nur die Monopolisierung von Funktionsideen für Computerprogramme, sondern unterläuft faktisch auch das bewährte Urheberrechtssystem, sogar für bereits geschaffene Computerprogramme. Dadurch würden die Entwicklungschancen junger IT-Unternehmen massiv eingeschränkt.
Ein Fauxpas unterlief zudem der inzwischen auch in Deutschland vertretenen Campain 4 Creativity in Brüssel. Die Befürworter von Softwarepatenten luden EU-Parlamentarier vergangene Woche über den E-Mail-Account des britischen Abgeordneten Malcolm Harbour zum kostenlosen Eisessen vor der Volksvertretung ein -- just in der Mittagspause der gleichzeitig laufenden Konferenz des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur. Der Konservative bestritt aber, mit der Mail etwas zu tun zu haben: Wie sich herausstellte, hatten die übereifrigen Kampagneros einen Mitarbeiter Harbours zum Versand der Mail überredet.
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(Stefan Krempl) / (jk)