Neue Zeitrechnung für die Internetverwaltung
Die US-Regierung lockert ihre Kontrolle über die Netzverwaltungsorganisation ICANN. Eine neues Abkommen regelt die Koordination der Internetverwaltung durch verschiedene Interessengruppen.
Mit dem Ablauf des 1998 vereinbarten alten Vertrags zwischen der US-Regierung und der ICANN beginnt am 1. Oktober eine neue Zeitrechnung für die private Netzverwaltung. Nach vielen Gesprächen einigten sich die im US-Handelsministerium zuständige National Telecommunications and Information Administration (NTIA) und die ICANN auf eine gemeinsame "Erklärung verbindlicher Vereinbarungen" (Affirmation of Commitments), die auslaufende Abkommen (Joint Project Agreement, JPA) ersetzen soll. Statt der Kontrolle durch das US-Handelsministerium sollen nun Vertreter der Regierungen sowie der betroffenen Interessengruppen und externe Experten regelmäßig überprüfen, ob ICANN die Aufgaben satzungsgemäß erfüllt.
Gestärkt wird insbesondere der Regierungsbeirat (GAC), dessen Vorsitzender gemeinsam mit ICANN-Chef Rod Beckstrom die Mitglieder der Prüferteams auswählt, denen beide Chefs von Amts wegen auch selbst angehören. Eine kleine Verbeugung gegenüber anderen Regierungen enthält auch ein Passus der Erklärung, der die wichtige Rolle des GAC im Entscheidungsprozess der ICANN unterstreicht. Eine Stärkung des GAC hatten zuletzt die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten in ihren Richtlinien zur Zukunft der Netzverwaltung noch einmal dick unterstrichen. Da kannten sie die neue Erklärung in Teilen schon.
Man müsse sich rasch Gedanken über die 10 bis 15 Mitglieder des ersten Prüferteams machen, sagte Beckstrom gegenüber heise online. Denn der erste Bericht zu ICANNs Leistungen in Sachen "Transparenz, Rechenschaftslegung und Arbeit im Sinn der internationalen Öffentlichkeit" muss bereits im Dezember 2010 abgeliefert werden. In diesem ersten Prüferteam haben sich die US-Behörden einen festen Sitz zusichern lassen, während sie bei den Prüfungen im Bereich Stabilität, Wettbewerb und Durchsetzung des nicht unumstrittenen Whois-Standards auf ein solches Privileg verzichteten.
"Es ist vorbei mit den Rechenschaftsberichten allein für das US-Handelsministerium. Von denen haben ICANN-Mitarbeiter 13 Stück in den vergangenen Jahren gemacht", lobte Beckstrom die neue Erklärung als einen "erfreulichen Schritt in die richtige Richtung". Die Berichte der Prüferteams sollen laut dem neuen Vertrag auch öffentlich kommentiert werden können. Kommt ICANN den Zusagen im Dokument hinsichtlich Transparenz und dem öffentlichen Interesse nicht nach, "werden wir dafür öffentlich an den Pranger gestellt, nehme ich an", meint Beckstrom.
Das stärkste Druckmittel bleibt wohl die Möglichkeit der US-Regierung, den Vertrag über die Administration der zentralen Rootzone (IANA-Vertrag) einfach neu auszuschreiben. In dieser Hinsicht hat sich an den Machtverhältnissen gar nichts geändert. IANA-Vertrag und ICANN-Abkommen seien "zwei völlig getrennte Dinge", versichert Beckstom. Auch die praktische Aufsichtstätigkeit des Handelsministeriums bei Änderungen in der Rootzone bleibt bestehen. Schließlich hat die ICANN auch noch zugesichert, dass das Hauptquartier der Organisation in den USA bleiben wird. Damit bleibt die Netzverwaltungsorganisation bis auf Weiteres unter US-amerikanischer Rechtsprechung.
Eine Reihe ehemaliger ICANN-Würdenträger und einzelne US-amerikanische Abgeordnete lobten in ersten Reaktionen die neue Vereinbarung. In der vergangenen Woche hatte es noch Kritik an der möglichen Einführung neuer Top-Level-Domains gehagelt. Die wollte man mit dem aktuellen Dokument auch keinesfalls unterstützen, heißt es in der Erklärung. Auch EU-Kommissarin Viviane Reding begrüßte die stärkere Unabhängigkeit der ICANN von den US-Behörden. (Monika Ermert) / (vbr)