Neuer EU-Anlauf für Websperren stößt auf Widerstand
Die Arbeitsgruppe "Strafverfolgung" im EU-Rat für Justiz und Inneres will einen "sicheren europäischen Binnen-Cyberspace" mit einer "virtuellen Schengen-Grenze" schaffen, was bei Netzpolitikern Kopfschütteln auslöst.
Die Arbeitsgruppe "Strafverfolgung" im EU-Rat für Justiz und Inneres hat einen neuen Vorstoß für Websperren gemacht. Die Führung der entsprechenden "Law Enforcement Working Party" will nach eigenen Angaben ein Konzept für einen "sicheren europäischen Binnen-Cyberspace" mit einer "virtuellen Schengen-Grenze" sowie künstlich geschaffenen Kontroll- und Zugangspunkten entwickeln. Internetprovider sollen dabei angehalten werden, nicht näher bestimmte "gesetzeswidrige Inhalte" mit Hilfe einer Schwarzen Liste zu blockieren. Dies geht aus dem Protokoll (PDF-Datei) der Sitzung der Arbeitsgruppe im Februar hervor, das inzwischen über die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch und den deutschen AK Zensur seinen Weg an die Netzöffentlichkeit gefunden hat.
Im Bundesjustizministerium war das Vorhaben zunächst "nicht bekannt". Es sei nach wie vor Linie der Ressortchefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), dass sie Sperren als ineffektiv und gefährlich ablehne, betonte ein Sprecher des Hauses. Das Bundesinnenministerium reagierte bislang nicht auf eine Anfrage von heise online. [Update: Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums gab mittlerweile (18.50 Uhr) gegenüber heise online bekannt, dass der ungarische Vorsitz bei einer gemeinsamen Sitzung der Ratsarbeitsgruppen "Zollzusammenarbeit" und "Strafverfolgung" auf das "zunehmende Problem von Internetseiten mit strafrechtlichem Inhalt" wie Videos von Ermordungen, Diskriminierung oder Kinderpornographie aufmerksam gemacht habe. Diese Präsentation sei aber weder vertieft noch später erneut aufgegriffen worden. Die Bundesregierung unterstütze das Prinzip "Löschen statt Sperren", für das sich auch der Innenausschuss des EU-Parlaments ausgesprochen habe. Ob daneben auch Blockademaßnahmen ergriffen werden sollten, sei den Mitgliedsstaaten zu überlassen.]
Innen- und Netzpolitiker zeigen sich dagegen alarmiert. Solche Überlegungen "ins Blaue hinein" würden immer wieder angestellt, monierte Jan Philipp Albrecht, innenpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, gegenüber heise online. Strafverfolger stellten sich der Rechtsdurchsetzung im Internet oft "mit falschen Mitteln", dabei entfernten sie sich weit von den Fakten. Wer analog zum Schengen-Raum in Europa ein Intranet schaffen wolle, missachte nicht nur den Grundgedanken des Internets, sondern liefere auch eine "Blaupause" für Regime weltweit. Man könne nicht einerseits die Rolle von Facebook und Twitter im arabischen Frühling sowie die Bedeutung des Netzes für die globale Demokratie und die Menschenrechte bejubeln und andererseits im eigenen Bereich Mauern errichten.
Der innen- und netzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, meint: "Schon die Diskussion über derartige Vorschläge legitimiert alle Unrechtsregime der Welt, es bei sich genauso zu machen." Das Vorhaben sei auch "technisch nicht seriös umsetzbar" und würde einen "echten Rückschritt bei der Rechtsdurchsetzung" darstellen. Die Polizei sollte nach Ansicht des Oppositionspolitikers stattdessen stärker darauf hinwirken, dass etwa Abbildungen von sexuellem Kindesmissbrauch auch in Australien direkt bekämpft und nicht nur gesperrt werden können. Von Notz beklagte, dass solche Vorhaben wie Vorstöße zur Einführung von Netzsperren "zunehmend über die europäische Bande gespielt werden".
Auch in der FDP stoßen die Gedankenspiele auf scharfe Kritik. "Die Idee finde ich abwegig", erklärte der liberale Netzpolitiker Manuel Höferlin gegenüber heise online. Wer meine, gesetzlich die Struktur des Internets mit festen Übergabepunkten vorschreiben zu können, habe offenbar dessen Kern nicht verstanden oder möchte ihn verändern. Die jetzige Anlage des Netzes als Verbundsystem schütze nicht nur vor Ausfällen, sondern mache das Internet erst zu einem echten freiheitlichem Kommunikationsmedium. Wer es einschränken wolle, müsse dabei die Grundrechten abwägen und damit hohe Hürden überspringen.
Als "vollkommenen Unsinn" und "technischen Quatsch" bezeichnete auch Jimmy Schulz, Obmann der FDP in der Enquete-Kommission für Internet und digitale Gesellschaft, den Wunsch der Strafverfolger. Die damit verknüpfte Zensur könnte seiner Ansicht nach zwar "einigen Bürokraten in Brüssel" gefallen, die den Cyberspace durch ein "sauberes Disneyland" ersetzen wollten. Ein solcher "Weg in die chinesische Lösung" sei mit den Freiheiten des Netzes aber nicht vereinbar und stoße schon angesichts der Unterschiede im europäischen Strafrecht an praktische Grenzen. (anw)