4,25 Millionen Dollar für das neueste teuerste Medikament der Welt
Die Gentherapie Lenmeldy richtet sich gegen eine seltene Nervenkrankheit bei Kleinkindern. Gerade die geringe Patientenzahl ist die Krux für die Vermarktung.
- Antonio Regalado
Es gibt ein neues teuerstes Medikament aller Zeiten – eine Gentherapie, die so viel kostet wie ein Haus in Brooklyn oder eine Villa in Miami und mehr, als ein durchschnittlicher Mensch im Laufe seines Lebens verdienen wird.
Das Therapie-Medikament nennt sich Lenmeldy und wurde für die Behandlung der metachromatischen Leukodystrophie (MLD) entwickelt. Am Montag erhielt das Medikament in den USA die Zulassung. Hersteller Orchard Therapeutics sagt, dass die Kosten von 4,25 Millionen Dollar den Wert der Behandlung für Patienten und Familien widerspiegeln.
Von der Nervenkrankheit MLD sind Kleinkinder betroffen. Die jungen Patienten verlieren die Fähigkeit zu sprechen und zu gehen. Etwa die Hälfte stirbt, die anderen leben in einem vegetativen Zustand weiter, was für die Familien unerträglich ist.
MLD gehört zu den seltenen Krankheiten: nur etwa 40 Kinder pro Jahr erkranken daran in den USA. Medikamente, die sich gegen diese Krankheiten richten, werden als Orphan Drugs bezeichnet. Die extreme Seltenheit solcher Krankheiten ist der Grund für die explodierenden Preise für neue Gentherapien. Man bedenke nur die wirtschaftlichen Aspekte: Orchard beschäftigt 160 Mitarbeiter, viel mehr als die Zahl der Kinder, die sie über mehrere Jahre hinweg behandeln können.
Marktchancen für die teuren Gentherapien
Folglich könnte selbst bei diesem Preis der Verkauf der neuesten DNA-Behandlung ein wackeliges Geschäft sein. "Gentherapien haben sich auf dem Markt schwergetan – und ich würde nicht erwarten, dass Lenmeldy sich diesem Trend widersetzt", sagt Maxx Chatsko, Gründer von Solt DB, das Daten über Biotech-Produkte sammelt. Wenn man so will, ist es ein Fluch, das teuerste Medikament der Welt zu sein.
Die MLD-Therapie wurde 2021 unter den Namen "Libmeldy" in Europa zugelassen. Der Preis ist mit 2,8 Millionen Euro etwas niedriger ist. Chatsko weist aber daraufhin, dass Orchard während des größten Teils des letzten Jahres nur 12,7 Millionen Dollar aus Produktverkäufen erwirtschaftete. Demnach kann man die Zahl der Kinder, die es bekommen haben, an den Händen abzählen.
Die Gentherapie fügt den Knochenmarkzellen der Kinder ein fehlendes Gen hinzu, wodurch die Ursache der Krankheit im Gehirn beseitigt wird. Viele der Kinder, die im Rahmen der 2010 begonnenen Versuche behandelt wurden, haben sich zu ganz normalen Menschen entwickelt.
Die Kinder können meist wieder laufen und sind kognitiv fit. "Die Kinder, die wir behandeln, gehen zur Schule, treiben Sport und können ihre Geschichten erzählen", sagt Leslie Meltzer, die leitende Ärztin von Orchard. Ohne die Behandlung wäre das nicht möglich.
Auch unabhängige Gruppen sind der Meinung, dass das Medikament kosteneffizient sein könnte. Eine davon, das Institute for Clinical and Economic Review, das den Wert von Arzneimitteln bewertet, erklärte im vergangenen September, dass sich die MLD-Gentherapie ihren Modellen zufolge bei Kosten zwischen 2,3 und 3,9 Millionen Dollar lohnen würde. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass überhöhte Preise ein Zeichen dafür sein können, dass eine Behandlung wirtschaftlich nicht tragfähig ist.
Bisherige Rekordhalter
Ein früherer Titelhalter für das teuerste Medikament, die Gentherapie Glybera, wurde nur einmal gekauft, bevor sie vom Markt genommen wurde. Es wirkte nicht gut genug, um den Preis von 1 Million Dollar zu rechtfertigen, der es damals zum Preisführer machte.
Für 2,125 Millionen hatte das Unternehmen Novartis die Gentherapie Zolgensma am Start, für das es 2019 die FDA-Zulassung erhielt. Seit Mitte 2020 ist es auch in Deutschland auf dem Markt. Es handelt sich um ein Mittel gegen eine tödliche Muskelschwäche bei Kindern (spinale Muskelatrophie, Typ 1).
Hemgenix – ebenfalls eine Gentherapie – löste Zolgensma ab. Es kostet 3,5 Millionen Dollar und richtete sich gegen die genetisch bedingte Blutgerinnungsstörung Hämophilie B. Mit solchen Behandlungen sollten Milliardenumsätze erzielt werden, doch laut Presseberichten werden sie nicht annähernd so gut angenommen, wie man erwarten würde.
Orchard selbst hat eine andere DNA-Behandlung, Strimvelis mit einem Kostenpunkt von knapp 600.000 Euro, aufgegeben, bei der es sich um ein vollwertiges Heilmittel gegen eine Art von Immunschwäche handelt. Das Unternehmen war Eigentümer der Gentherapie und hatte sie 2016 sogar in Europa zugelassen. Das Problem waren sowohl zu wenige Patienten als auch das Vorhandensein einer alternativen Behandlung. Nicht einmal eine Geld-zurück-Garantie konnte Strimvelis retten, so dass Orchard es im Jahr 2022 einstellte. 2023 übernahm der japanische Arzneimittelhersteller Kyowa Kirin die Firma Orchard, zu dem sie bis heute gehört.
Es kann also sein, dass Gentherapien, obwohl sie in Versuchen erfolgreich sind, das Spiel verlieren. Im Fall von Lenmeldy wird es entscheidend darauf ankommen, die Krankheit frühzeitig zu erkennen. Denn wenn Kinder erst einmal Symptome zeigen, kann es schon zu spät sein. Bislang werden viele Patienten nur entdeckt, weil ein älteres Geschwisterkind die Erbkrankheit bereits hat.
Erweiterung der Neugeborenen-Screenings
Orchard hofft, dieses Problem lösen zu können, indem MLD in die Liste der Krankheiten aufgenommen wird, auf die bei der Geburt automatisch getestet wird. Das würde den Markt sichern und viele weitere Kinder retten. Eine Entscheidung über die Tests, so die Befürworter, könnte nach einer Sitzung des US-Regierungsausschusses für Neugeborenen-Screening im Mai fallen.
Zu den Befürwortern der Behandlung gehört Amy Price, eine Verfechterin der Behandlung seltener Krankheiten, die ihr eigenes Beratungsunternehmen Rarralel in Denver betreibt. Price hatte drei Kinder mit MLD – eines starb, aber zwei wurden durch die MLD-Gentherapie gerettet, die sie ab 2011 erhielten, als die Behandlung noch in der Testphase war.
Price sagt, ihre beiden behandelten Kinder, die jetzt im Teenageralter sind, "sind ganz normal, absolut durchschnittlich". Und das ist den Preis wert, sagt sie. "Die wirtschaftliche Belastung eines unbehandelten Kindes übersteigt alle bisherigen Gentherapiepreise", sagt sie. "Diese Realität ist schwer zu verstehen, wenn die Leute nur auf den Preis reagieren wollen."
(jle)