Neun-Euro-Ticket: Deutlich mehr Verspätungen, etwas weniger Autoverkehr

Das Neun-Euro-Ticket, das im Sommer 2022 galt, hat zu wenig Autofahrer in den ÖPNV gelockt, hat das ifo-Institut unter anderem herausgefunden.

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Menschentraube am Bahnsteig im Bremer Hauptbahnhof

Ein Bild aus dem Sommer 2022: Passagiere steigen am Bremer Hauptbahnhof in einen Regionalzug.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 3 Min.

Das Neun-Euro-Ticket, das vor zwei Jahren für drei Sommermonate in Deutschland für den ÖPNV und Regionalverkehr erhältlich war, hat viel gekostet, aber den Autoverkehr nur gering reduziert. Die gestiegene Nachfrage habe außerdem dazu geführt, dass es im Zugverkehr mehr Verspätungen gab, hat das Münchner ifo-Institut in einer Studie festgestellt. Es meint, politische Entscheidungsträger sollten vorsichtig sein, wenn sie stark vergünstigte ÖPNV-Tickets für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors erwägen.

Das kostengünstige landesweite Nahverkehrsticket habe zwar dazu geführt, dass öffentliche Verkehrsmittel um bis zu 35 Prozent mehr genutzt wurden, der Autoverkehr sei hingegen um bis zu 5 Prozent zurückgegangen, schreibt das Institut. Die Nachfrage sei insbesondere durch Freizeitnutzung getrieben worden, der ÖPNV war dann überfüllt und verspätet. Der Auto-Pendlerverkehr scheint hingegen viel weniger auf diese Ticketprogramme anzusprechen, meint das Institut.

Von den Verspätungen im Schienenverkehr waren zudem nicht nur Regionalzüge, sondern auch Fernzüge betroffen. Das weise auf eine Verschlechterung der Qualität der Infrastruktur hin.

Zu ähnlichen Ergebnissen wie nun das ifo-Institut war im August 2022 der Interessenverband Agora Verkehrswende gekommen, also bereits während der bis Ende jenes Monats laufenden Geltungsdauer. Mit dem stark vergünstigten Ticket sei kein positiver Effekt für den Klimaschutz entstanden, hieß es seinerzeit aufgrund von Befragungen, statischen Zahlen und wissenschaftlichen Untersuchungen.

Das ifo-Institut hat für seine Studie Mobilitätsdaten von Teralytics verwendet, die aus Millionen von anonymisierten Mobilfunkbewegungsdaten Telefónica O2 gewonnen und auf die Bevölkerung hochgerechnet wurden. Kausaleffekte schätzte das Institut mit ökonometrischen Methoden, die eine kontrafaktische Analyse ermöglichen sollen. Dabei verglich es die Entwicklung der Mobilität vor und nach Einführung des Neun-Euro-Tickets im Jahr 2022 relativ zur Mobilität im Jahr 2019.

Aus diesen Daten ergab sich, dass von Anfang Juni bis Ende August 2022 auf Fahrten ab 30 km täglich 430.000 mehr Menschen in Zügen saßen als vorher oder nachher. Die von Verkehrszählstellen registrierte Anzahl an Pkw sank hingegen nur um 1 Prozent. Ohne Neun-Euro-Ticket seien 14 Prozent aller Züge verspätet gewesen, ergab die Auswertung weiter, während der Geltungszeit des Tickets waren es 18 Prozent.

Da das 52 Millionen Mal verkaufte Ticket nur auf Regionalzügen galt, wurde es wenig für sehr lange Pendeldistanzen verwendet. Zugfahrten haben an Wochenenden zugenommen. Die Studienergebnisse legen laut ifo-Institut zudem nahe, "dass eine beträchtliche Anzahl von Personen das 9-Euro-Ticket für zusätzliche, freizeitinduzierte Zugreisen nutzte". Besonders ausgeprägt sei der Anstieg von Zugreisen in Richtung ländlicher Urlaubsregionen, so seien Regionalzüge besonders an Wochenenden verspätet gewesen.

Während der klassischen Pedelzeiten am Morgen und am Nachmittag seien Autofahrten besonders wenig zurückgegangen. Dabei mag sich der Tankrabatt verzerrend ausgewirkt haben, der zur selben Zeit wie das Neun-Euro-Ticket galt, dass die Reaktion auf Spritpreisänderungen nicht besonders stark ausgeprägt ist. Für viele sei der Tankrabatt wegen des kurzen Gültigkeitszeitraums nicht infrage gekommen, auch sei der Preisrückgang im ÖPNV größer gewesen als der der Spritpreise.

(anw)