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New-York-Fotografin Cornelia Wilhelm: "Ich liebe jeden, den ich fotografiert habe." 10 Kommentare

Dr. Thomas Hafen

Die Schweizer Fotografin Cornelia Wilhelm verbringt ihre Nächte in New Yorker Bars und ihre Tage am Strand von Coney Island. Ihre Bilder sind nun als Buch erschienen - ein Fotoband mit historischem Wert, denn Wilhelms wilde New Yorker Phase liegt weit zurück.

Cornelia Wilhelm, geboren 1965 in Luzern, arbeitete nach ihrer Lehre zur Fotolaborantin als Fotoassistentin in New York. Sie lebt und arbeitet heute als Künstlerin und Fotografin in Wald in der Schweiz mit ihrem Mann, dem Künstler André Wilhelm. Dr. Thomas Hafen traf sie für seen.by [1] zum Interview:

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch aus Ihren Bildern von Coney Island zu machen – fast 30 Jahre nachdem die Fotos entstanden sind?

Cornelia Wilhelm: Ich wollte das Buch schon ewig herausbringen, aber das Leben kam immer dazwischen. Mittlerweile finde ich es aber richtig super, dass es so lange gedauert hat. So ist nicht einfach ein Fotobuch entstanden, sondern ein Zeitdokument.

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Damals, in den 1980ern, waren die Vergnügungsparks auf Coney Island ja am Ende …

Wilhelm: Ja, alles war heruntergekommen, geschlossen. Nur die Armen sind noch hingefahren. Die konnten für einen Dollar von überall her am Wochenende einen Ausflug nach Coney Island machen. Heute ist ja alles renoviert.

Sie waren auch ständig dort – was hat Sie an diesem heruntergekommenen Ort fasziniert?

Wilhelm: Coney Island ist eine Hochburg, wenn man Menschen fotografieren möchte. Vor allem zu dieser Zeit war das toll.

Warum wollten Sie diese Menschen fotografieren?

Wilhelm: Ich finde einfach Menschen interessant, egal aus welcher Schicht. Ich habe auch schon in St. Moritz die Reichen auf dem See fotografiert. Ich will die Seele spüren, auch wenn das ein bisschen hochtrabend ist. Ich liebe jeden, den ich damals fotografiert habe, ich habe mit jedem eine Beziehung, sie sind wie meine Freunde geworden. Ich schaue mir die Bilder oft lange an und überlege mir dann, was machen die heute, leben die noch?

New-York-Fotografin Cornelia Wilhelm: „Ich liebe jeden, den ich fotografiert habe.“

Sleeping Man With Hat

(Bild: Cornelia Wilhelm)

Der Titel des Buches „Shot by both Sides“ klingt martialisch, nach Kreuzfeuer und Krieg – war es wirklich so gefährlich dort?

Wilhelm: Nein, damit hat das nichts zu tun. Der Titel stammt von einem Song der Band „Magazine“ und passte einfach total gut zu der Zeit, als ich dort gelebt habe. Wir fanden, es ist ein guter Titel für das Buch. Wen man jemanden fotografiert, kommt ja auch etwas zurück.

Auch die einzelnen Bildtitel sind sehr speziell – lakonisch, oft ein wenig ironisch. Wie kamen Sie darauf?

Wilhelm: Das habe ich mir bei der großartigen amerikanischen Fotografin Diane Arbus, abgeschaut, muss ich zugeben. Der Titel sagt, was auf dem Bild drauf ist und fertig. Manchmal muss man allerdings ein bisschen genauer hinsehen, damit man den Bezug erkennt.

Sie haben in New York einem Fotografen assistiert, der Shootings für den Pirelli-Kalender gemacht hat. Wie sind Sie zu diesem Job gekommen?

Wilhelm: Ursprünglich wollte ich nach London, dann hat aber ein Kollege in Luzern, der den Fotografen in New York kannte, gesagt, „geh doch zu dem“ und ich dachte „wieso nicht?“ Der hatte immer Assistenten aus der Schweiz, er kam selbst aus Basel.

New-York-Fotografin Cornelia Wilhelm: „Ich liebe jeden, den ich fotografiert habe.“

Nice Bikini

(Bild: Cornelia Wilhelm)

War das so glamourös wie man sich Shootings für den Pirelli-Kalender vorstellt?

Wilhelm: Nein, überhaupt nicht, für mich war es Horror. Ich hatte kein eigenes Zimmer, der Fotograf hat mehr getrunken als gegessen. Ich wollte ein Jahr bleiben, bin aber nach drei Monaten gegangen, bin dann ständig umgezogen und war an zehn verschiedenen Orten in New York zu Hause.

Sie haben unter anderem bei dem Saxophonisten Paul, dem Baseball-Fan Steve, und dem Buddhisten Tony gewohnt, wie Sie in Ihrem Buch schreiben. Haben Sie heute noch Kontakt zu Ihren New Yorker Freunden?

Wilhelm: Als das Buch herauskam, habe ich sie alle wieder bei Facebook gefunden – die leben alle noch und es geht ihnen gut. Aber darüber hinaus, haben wir keinen Kontakt mehr.

Keine Besuche, also?

Wilhelm: Nein, leider nicht. Wir sind eine Künstlerfamilie und hatten nie Geld, ich konnte mir das Reisen nicht leisten. Aber ich würde natürlich sehr gerne noch einmal auf Coney Island fotografieren. Ich müsste nur einen Sponsor finden, dann würde ich sofort wieder nach New York gehen. (keh [8])


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