Nvidia-Aktionäre klagen wegen gehäufter Grafikchip-Ausfälle

Schon Monate vor der Bekanntgabe der Notebook-GPU-Probleme, die den Nvidia-Aktienkurs knickte, soll der Grafikspezialist von den Schwierigkeiten gewusst und deshalb gegen US-Aktienrecht verstoßen haben.

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Der Grafikspezialist Nvidia sieht sich in den USA mit einer Sammelklage konfrontiert wegen der außergewöhnlich hohen Ausfallrate einiger Notebook-Grafikprozessoren aus den Chip-Familien G84 und G86. Die Klägerin wirft dem Konzern vor, Anleger wider besseres Wissen nicht frühzeitig über die möglichen Probleme informiert und damit gegen das US-Aktienrecht verstoßen zu haben. In der Klageschrift fordert sie die Zulassung als Sammelklage, ein Geschworenenverfahren sowie angemessenen Schadenersatz und Kostenerstattung.

Nvidia hatte Anfang Juli die Umsatzaussichten für das zweite Quartal 2008 überraschend gesenkt. Diese Prognose hatte mit der Einführung neuer Grafikchips des Nvidia-Konkurrenten AMD zu tun; nach der Vorstellung der Radeon-HD-4800-GPUs senkte Nvidia die Preise einiger Chips deutlich. Darüber hinaus kündigte das Unternehmen aber auch außergewöhnliche Belastungen an: Für die möglicherweise höhere Ausfallrate einiger Grafikchips und daraus resultierende Garantieforderungen stellte der Hersteller bis zu 200 Millionen US-Dollar zurück. Die Ankündigung wurde an der Wall Street denkbar schlecht aufgenommen, der Aktienkurs des Grafikspezialisten sackte um über 30 Prozent ab. Über Nacht, rechnet die Klageschrift vor, seien so 3 Milliarden US-Dollar Börsenwert vernichtet worden.

Laut Klage waren die Probleme und deren Ursachen – über die genau betroffenen Grafikchip-Versionen schweigt sich Nvidia immer noch aus – spätestens seit November 2007 bekannt. In einer Citigroup-Analystenkonferenz am 4. September habe Nvidia-Kommunikationschef Michael W. Hara erklärt, mit den Kunden "seit gut über einem Jahr" an der Lösung der Probleme zu arbeiten, das reiche "zurück bis August vergangenen Jahres". Dennoch habe das Unternehmen im November 2007 ein "Rekordergebnis" verkündet und die bekannten, bilanzrelevanten Probleme gegenüber Anlegern und Börsenaufsicht verschwiegen.

Hara wurde von Teilnehmern der Analystenkonferenz wiederholt zu den erhöhten Ausfallraten der Grafikchips befragt. Er erläuterte daraufhin die technischen Ursachen etwas genauer. Demnach liegt das Problem beim sogenannten Underfill, das sich zwischen den Lotkugeln befindet, die den eigentlichen Grafikchip (das GPU-Die) elektrisch und mechanisch mit dem Die-Carrier verbinden, der wiederum auf eine Platine aufgelötet ist. Bei dieser Chip-Gehäusetechnik verwende Nvidia anerkannte und in der Branche übliche Standard-Fertigungsverfahren. Es fielen auch nicht alle ausgelieferten GPUs aus, sondern nur ein kleiner Teil, und es seien auch nur wenige Notebook-Modelle betroffen – laut Hara sollen die erwähnten Grafikchips in rund 200 verschiedenen Notebook-Typen unterschiedlicher Marken und Zulieferer zum Einsatz kommen, aber nur bei etwa 12 bis 15 Notebook-Modellen seien erhöhte Ausfallraten zu verzeichnen. Nach den Analysen von Nvidia stellen sich nur dann erhöhte Ausfallraten ein, wenn relativ häufige und starke Temperaturwechsel auftreten und wenn die GPU dabei häufiger eine bestimmte Sperrschichttemperatur überschreitet. Dadurch werde letztlich das Underfill-Material, typischerweise ein bestimmtes Epoxidharz, geschwächt. Dann wiederum könne es sich vom Chip lösen und dabei elektrische Kontakte unterbrechen.

Laut Hara sind vorwiegend zwei Grafikchip-Typen betroffen, die Nvidia bereits nicht mehr ausliefere. Bei einer weiteren Version, die sehr bald nicht mehr ausgeliefert werde (End-of-Life, EOL), seien ebenfalls erhöhte Ausfallraten aufgetreten, die aber niedriger lagen als bei den anderen beiden.

Nvidia übernehme nicht nur die Kosten für die ausgefallenen Chips, deren Wert nur jeweils "einige 10 Dollar" betrage, sondern zahle aus Verantwortungsgefühl wesentlich mehr pro Fall – man spekuliert über eine Pauschale von etwa 200 US-Dollar, die beispielsweise Dell und HP für jede Reklamation erhalten.

Auf die Frage, weshalb es keine generelle Rückrufaktion gebe, sagte Hara, dass das unangemessen erscheine. Einerseits würde man dann eine große Zahl an funktionsfähigen Geräten unnötig zurückrufen und also vielen Notebook-Besitzern unnötig ihren Computer für einige Zeit abnehmen. Andererseits seien keine Folgeschäden wie Brände oder Überhitzung zu befürchten, sondern die Notebooks würden schlichtweg nicht mehr arbeiten. Hara hält auch die etwa von Dell und HP veröffentlichten BIOS-Updates, von denen zumindest einige höhere Lüfterdrehzahlen verursachen und damit sowohl höhere Geräuschpegel erzeugen als auch die Akkulaufzeit leicht verkürzen, für zumutbar. Letztlich liegt die Entscheidung über Rückrufaktionen aber ohnehin nicht beim Grafikchip-Zulieferer, sondern bei den Notebook-Herstellern. Dell und HP haben für einige ihrer Geräte die Garantielaufzeiten verlängert.

Der US-Journalist Charlie Demerjian stellt unterdessen auf der britischen Webseite The Inquirer den Sachverhalt aus seiner Sicht dar. In mehreren längeren Artikeln erklärt er mögliche Ursachen für die erhöhten Ausfallraten und vertritt die These, dass auch mehrere andere Nvidia-GPUs betroffen sind. (ciw/c't) / (vbr)