Österreich will Kfz-Scanning wieder einführen
Österreichs Sicherheitsbehörden sollen mehr Daten teilen, mehr Bürger durchsuchen und Kfz-Kennzeichen wieder scannen dürfen.
Mehr "Überwachung und strenge Kontrollen", wünscht sich Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Also geht er daran, das Sicherheitspolizeigesetz zu novellieren. Neue Polizeibefugnisse sollen im "Kampf gegen Extremismus, Terrorismus, aber auch gegen Einbrecher helfen". Geplant sind mehr anlasslose Durchsuchungen von Personen und Fahrzeugen, die Wiedereinführung des Scannens von Fahrzeugen und deren Nummerntafeln, mehr elektronischer Aktenverkehr und gemeinsamer Zugriff auf alle Polizeidaten durch alle Sicherheitsbehörden der Republik.
Eine entsprechende Regierungsvorlage zur Novellierung des Sicherheitspolizeigesetzes ist bis 5. Juni in öffentlicher Begutachtung. Das Scannen von Fahrzeugen hinsichtlich deren Nummerntafeln sowie Type, Marke und Farbe wurde in Österreich bereits 2018 eingeführt. Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Österreich (SPÖ) in National- und Bundesrat hielten die Bestimmung jedoch für verfassungswidrig und wandten sich an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Tatsächlich hob dieser das Kennzeichenscanning (samt Erfassung der Fahrzeuginsassen) sowie die ebenfalls eingeführte Ermächtigung zur Installation von Malware auf fremden Geräten ("Bundestrojaner") als verfassungswidrig auf (Az. G 72–74/2019 und G 181–182/2019).
"Die Ermächtigung der Sicherheitsbehörden zur Datenermittlung stellt sich in Anbetracht ihrer Reichweite betreffend die Art und den Umfang der Daten sowie den Einsatzort und die Bedingungen der Datenermittlung als gravierender Eingriff in die Geheimhaltungsinteressen nach Paragraph 1 Absatz 1 Datenschutzgesetz (DSG) sowie das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) der Betroffenen dar", heißt es in der Zusammenfassung der Entscheidung. Der Eingriff sei schon alleine deshalb unverhältnismäßig, weil die Ermittlungsmaßnahme (auch) zur Verfolgung und Abwehr von Vorsatztaten der leichtesten Vermögenskriminalität gesetzt werden durfte.
Jetzt unternimmt das Innenministerium einen neuen Anlauf. Im Unterschied zur früheren Version sollen Personen beim Kfz-Scanning nicht mehr miterfasst werden, und die gescannten Nummerntafeln nicht mehr gespeichert werden. Sie sollen nur unmittelbar mit Fahndungsdaten abgeglichen werden; gibt es keinen Treffer, werden sie sogleich gelöscht. Damit hofft die Regierung, die Verfassung gerade nicht zu verletzen. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. Die vom VfGH geforderte Einschränkung auf schwere Verbrechen fehlt.
Das Ministerium plant, 20 Kennzeichenscanner zum Einbau in Fahrzeugen anzuschaffen, Stückpreis 45.000 Euro – für jeden Scanner, ohne Fahrzeug. Zusätzlich sind zehn Kfz-Scanner zum Stückpreis von 65.000 Euro vorgesehen, die am Straßenrand aufgestellt werden können. Die jährlichen Betriebskosten für die Scanner sind mit 20.000 Euro veranschlagt.
Gemeinsame Datenbank
Digitalisiert werden soll die Kommunikation im Bereich der Strafrechtspflege, also zwischen Sicherheitsbehörden, Gerichten, Staatsanwaltschaften, Vollzugsbehörden, Anwälten, Notaren, Banken, Versicherungen und Generalprokuratur. Gleichzeitig soll ein österreichweiter, gemeinsamer Aktenindex für alle Sicherheitsbehörden eingeführt werden. Derzeit verwaltet jede Sicherheitsbehörde ihre Akten für sich, was den Zugriff auf Daten anderer Dienststellen erschwert. In Zukunft sollen alle auf die Daten zugreifen können, die irgendwo über Verdächtige, Beschuldigte und Verurteilte gespeichert wurden. Zusätzlich sollen Daten hilflos aufgefundener Personen in die Datenbank fließen, schließlich könnte es sein, dass später jemand eine passende Vermisstenanzeige erstattet.
Für die Erstellung eines österreichweiten Aktenindex der Sicherheitsbehörden sind 1,6 Millionen Euro budgetiert, für die jährlichen Betriebskosten 48.000 Euro. Der Zeitpunkt dieser Umstellung erstaunt, ist doch in Österreich gerade erst ein Skandal ruchbar geworden, in dem ein Beamter jahrelang ohne dienstlichen Bezug Datenbankabfragen getätigt haben soll, ohne dass es Konsequenzen setzte. Die Kontrolle, wer sich an welchen Datenbeständen bedient, funktioniert im österreichischen Sicherheitsapparat nicht.
Mehr Durchsuchungen, mehr Datenzugriff
Mehr Datenzugriff ohne Gerichtsbeschluss möchte sich die Polizei auch im Telekommunikationsbereich sichern. Das geltende Recht auf Erfragung von "Namen, Anschrift und Teilnehmernummer" von Telecom-Anschlüssen wird auf alle Stammdaten (außer Bonität) ausgeweitet, also auch auf Art und Inhalt des Vertrages sowie Geburtsdaten. Zusätzlich verschafft die Novelle Zugriff auf Stammdaten bei allen Diensten der Informationsgesellschaft, also alle Dienste, "die Informationen über ein elektronisches Netz übermitteln, die den Zugang zu einem solchen vermitteln oder die Informationen eines Nutzers speichern." Laut Erläuterungen möchten die Behörden insbesondere die WHOIS-Daten von .at-Domains einsehen können, in der Annahme, dass diese den "Erreichbarkeitsdaten von Homepage-Betreibern" entsprächen.
Bereits jetzt darf die österreichische Polizei Kleidung und mitgeführte Behältnisse von Personen durchsuchen, die an Großveranstaltungen teilnehmen möchten, ganz ohne Verdacht gegen die durchsuchte Person. Diese Befugnis soll einerseits auf Fahrzeuge ausgedehnt werden, andererseits auch ohne Großveranstaltungen anwendbar werden – nämlich dann, wenn es um Zugang zu "Einrichtungen oder Anlagen, die für gefährliche Angriffe gegen Leben oder Gesundheit einer größeren Zahl von Menschen besonders anfällig sind" geht.
Wer sich der Durchsuchung nicht fügt, wird nicht eingelassen. "Ein Anspruch auf Erstattung des Eintrittspreises gegenüber dem Bund besteht nicht", heißt es in der bislang geltenden Fassung. Merkwürdigerweise verdenglischt die Novelle den Eintrittspreis zum "Ticketpreis".
Videoüberwachung bei Amtsgebäuden
Wo die Behörden Video- und Tonüberwachungen legal durchführen, sollen sie Daten direkt an das Innenministerium sowie die neun Landespolizeidirektionen weiterleiten dürfen, "ausschließlich zur Echtzeitübertragung". Ziel sind bessere Lagebilder in Einsatzzentralen.
Schon jetzt gestattet das Sicherheitspolizeigesetz generelle Video- und Tonüberwachung zum Schutz ausländischer, internationaler oder völkerrechtlicher Organe oder Schutzobjekte. Also beispielsweise bei diplomatischen Vertretungen, beim UNO-Sitz oder bei der OPEC-Zentrale. Neu hinzukommen soll die Möglichkeit, öffentliche Orte "in unmittelbarer Nähe von Gebäuden, in denen sich oberste (nationale) Staatsorgane regelmäßig aufhalten" zu überwachen. Ein Textfehler; gemeint sind nicht Staatsorgane, sondern deren Organwalter.
Zu Schutz dieser Personen soll Ton- und Videoüberwachung "bei Vorliegen einer Gefährdungssituation nach Durchführung einer ortsbezogenen Risikoanalyse" zulässig sein. Ausgewertet dürften die Aufnahmen jedoch auch zur "Abwehr krimineller Verbindungen" werden. Aufnahmen wären nach 48 Stunden zu löschen, "soweit sie nicht zur weiteren Verfolgung aufgrund eines Verdachts strafbarer Handlungen erforderlich sind". Die österreichische Regierungskoalition aus ÖVP und Grünen ist für die Beschlussfassung nicht auf Stimmen der Opposition angewiesen.
(ds)