Opioid-Sucht: Wie ein Implantat Überdosen verhindern soll​

Ein implantierbares Gerät erkennt drohende Überdosen und setzt ein Gegenmittel frei. Im Tierversuch hat es sich bereits bewährt.

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Ausgestreckte Hand, die "Stop" signalisiert. Das Bild ist in schwarz-weißer Farbe gehalten. Es sind Drogen abgebildet.

(Bild: Tinnakorn jorruang/Shutterstock.com)

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Zig Millionen Menschen weltweit sind von Opioiden wie Heroin oder Fentanyl abhängig. Viele sterben an einer Überdosis. Allein in den Vereinigten Staaten waren es 2023 fast 75.000 Menschen. Es sei die häufigste Todesursache bei jungen Menschen im Alter von 18 bis 45 Jahren, schreiben Forschende in Science Advances. Mit einem neuartigen, implantierbaren Gerät wollen sie künftig Abhilfe schaffen.

Das Gerät könne im Rahmen eines medizinisch überwachten Entzugs zum Einsatz kommen, schreiben die Forschenden. In dieser Personengruppe seien Rückfälle nicht ausgeschlossen – und dann die Gefahr für eine Überdosis besonders hoch. Die Mengen, die vor einem Entzug üblich waren, verträgt der entwöhnte Körper schlicht nicht mehr.

Opioide belegen sogenannte Opioid-Rezeptoren – unter anderem im Gehirn, Rückenmark und Darm – und wirken nicht nur euphorisierend, sondern auch lähmend auf die Atemmuskulatur. Bei einer Überdosis setzt die Atmung ganz aus. Sind nicht zufällig Menschen in der Nähe, die schnell ein Gegenmittel wie Naloxon verabreichen, sterben die Betroffenen. Der Wirkstoff verdrängt die Opioide von den Rezeptoren; die Atmung verstärkt sich wieder.

Vor allem Fentanyl macht Experten derzeit Sorgen. Eigentlich soll die Substanz beim Wegdösen im OP helfen und die Schmerzen von Schwerstkranken lindern. Doch das künstlich hergestellte Opioid wirkt etwa 50-mal stärker als Heroin und 100-mal stärker als Morphium. Zwei Milligramm – vom Gewicht her etwa ein Zehntel eines Reiskorns – können schon tödlich sein. In manchen Gegenden in den USA patrouillieren ehrenamtliche Helfende täglich, bewaffnet mit Naloxon-Nasensprays, um Sterbende zu finden und wieder ins Leben zurückzuholen.

Das Implantat, das in Zukunft auch ohne menschliche Hilfe Leben retten könnte, hat ein Team um Robert Gereau von der Washington University gemeinsam mit Forschenden der Northwestern University in den USA entwickelt. Das "Naloximeter" misst einen bedrohlichen Sauerstoffabfall im Blut, löst dann die Freigabe des rettenden Naloxons aus und alarmiert Rettungskräfte.

Die Funktionsweise im Detail: Für die Diagnose einer drohenden Atemlähmung messen Sensoren die Lichtdurchlässigkeit vom umliegenden Körpergewebe im roten und nah-infraroten Bereich. Algorithmen ermitteln daraus dessen Sauerstoffgehalt. Sinkt der Gehalt auf ein kritisches Niveau, wird die Naloxonfreigabe initiiert – und ein Mikrochip sendet via Bluetooth eine Warnung an das Handy oder Tablet des Betroffenen. Denn handele es sich um einen Fehlalarm, könne der Prozess auch abgebrochen werden, heißt es in der Studie.

Für die Freisetzung des Naloxons hat das Team zwei verschiedene Techniken entwickelt. In einer Version befindet sich der Wirkstoff in einer Kammer aus Kunststoff neben einer Elektrolysezelle mit Wasser – nur getrennt durch eine elastische Membran. Im Alarmfall löst ein elektrisches Signal in der Elektrolysezelle die Zersetzung des Wassers zu Wasser- und Sauerstoffgas aus. Die Gase drücken die Membran gen Naloxon-Kammer – und damit den lebensrettenden Wirkstoff über einen Venen-Katheter direkt ins Blut.

Das zweite System arbeitet wie eine Spritze. Ein elektrischer Minimotor schiebt einen Kolben in das Wirkstoff-Reservoir und drückt das Naloxon subkutan, wie Medizinfachleute sagen, in das umliegende Körpergewebe.

In beiden Fällen liefert eine drahtlos wieder aufladbare Lithium-Polymerbatterie die nötige Energie. Und beide Systeme sind laut Studie etwa so groß wie eine halbe Kreditkarte. Tests mit Schweinen seien erfolgreich verlaufen und auch solche – mit einer noch kleineren Geräteversion – in Ratten, heißt es. Innerhalb von Minuten habe das Naloximeter die Tiere vor einer sonst tödlichen Opioid-Überdosis retten können.

Allerdings ist für diese Art Lebensversicherung eine Operation nötig – ähnlich wie beim Implantieren eines Herzschrittmachers. Das Implantat wird auf Höhe des Brustkorbs unter die Haut gesetzt. Und die Batterie muss regelmäßig aufgeladen werden. Ein tragbares Gerät ist der Studie zufolge zwar denkbar, würde aber ethische Fragen aufwerfen. Vor allem, weil dann eine falsche Handhabung und Missbrauch möglich seien. Das Team will sich weiterhin auf Implantate fokussieren und dabei primär auf die Injektionsmethode. So könne das Risiko für Blutverklumpungen und damit für unerwünschte Nebenwirkungen minimiert werden, heißt es.

Womöglich werde das Gerät auch um eine Refill-Möglichkeit erweitert, berichtet Gereau. "Es gibt bereits medizinische Geräte, die perkutan nachgefüllt werden können. Und eine ähnliche Strategie könnte leicht in zukünftige Versionen des Naloximeters integriert werden." Der nächste große Schritt wären Tests an Menschen.

Die Implantate sind nicht die einzige Strategie, dem Problem Opioid-Missbrauch medizinisch entgegenzuwirken. Auch Impfungen könnten künftig helfen. In den USA arbeiten Forschende der University of Montana und der University of Houston an entsprechenden Vakzinen. Diese sollen das Immunsystem anregen, Antikörper zu bilden, die sich wiederum an Opioid-Moleküle heften. Dadurch verhindern sie, dass die Drogen die Blut-Hirn-Schranke durchdringen.

Solche Impfstoffe sollen vorwiegend Menschen helfen, die von der Droge loskommen möchten. "Die euphorisierende Wirkung bleibt aus und der Weg Richtung Nüchternheit wird nicht unterbrochen", sagt Colin Haile von der University Houston, der an solchen Impfstoffen arbeitet. Auch Polizistinnen und Polizisten könnten von der Impfung profitieren als Prophylaxe, falls sie versehentlich mit Opioiden in Berührung kommen. Das Start-up Ovax in Houston will im nächsten Jahr erste klinische Studien starten.

Antikörper, die etwa Fentanyl blockieren, können auch direkt gespritzt werden. Die Injektionen müssten allerdings etwa monatlich wiederholt werden. Immerhin hat sie erste Sicherheitstests mit Menschen bestanden – initiiert vom Unternehmen Cessation Therapeutics in North Carolina – und wird als Nächstes in klinischen Studien der Phase 2 auf Wirksamkeit und die optimale Dosierung geprüft werden.

"Ein psychosoziales Problem allein pharmakologisch zu behandeln, ist natürlich nicht die Lösung", sagt Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung in Frankfurt am Main. Eine Impfung könne aber helfen, vorausgesetzt, sie wirkt über viele Jahre, möglichst lebenslang. Zudem befürchtet der Suchtforscher Ausweichtendenzen. Wenn der Körper einen Rausch fordere, könnten Geimpfte auch auf andere Drogen ausweichen.

Ob Betroffene nach einer Lebensrettung durch ein Implantat die Sucht besiegen können, ist ebenfalls nicht ausgemacht. Aber die Grundvoraussetzung dafür wäre immerhin gesichert: zu überleben.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei t3n.de.

(mack)