Palms turbulentes Leben

Was uns die turbulente Geschichte des PDA-Pioniers Palm über die Zukunft der Mobilgeräte-Industrie sagen kann.

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Palm ist inzwischen neun Jahre alt. In den ersten fünf Jahren seines Bestehens erlebte das Unternehmen eine weitgehend sorgenfreie Zeit. Die Firma schuf den Markt für persönliche digitale Assistenten (PDAs) nahezu im Alleingang und dominierte diesen Markt anschließend stark. Doch dann wurde es erst interessant: Wettbewerber sowohl auf Hard- als auch auf Software-Seite lockerten die Umklammerung, in der Palm den PDA-Markt hielt, während gleichzeitig die gesamte Technologiesektor in die Krise geriet. Und als dann die ersten Smartphones auf den Markt kamen, zwang dies Palm, sich mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass seine Handhelds womöglich eine Sache der Vergangenheit sein könnten.

Wettbewerbskräfte, Rezession, Bedeutsamkeitsveränderungen: All das zwang Palm zu großen Veränderungen, die nicht immer sonderlich logisch wirkten. Das Geschäftsmodell musste sich ständig verändern.

Dementsprechend gut eignet sich Palms kurze wie ereignisreiche Geschichte als interessantes Modell für alljene Faktoren, die den PDA- Markt geformt und verändert haben (und noch verändern werden). Technology Review schildert die Chronologie des Unternehmens Palm in zwei Teilen: Heute die Jahre 1996 bis 2004, im zweiten Teil dann das Jahr 2005 und die weitere Zukunft der Firma.

1996-2000: Schaffung eines Marktes

Mit der Einführung des Palm Pilot begann 1996 die Ära des PDA. Während andere Firmen (wie zum Beispiel Apple mit dem Newton) zuvor erfolglos versucht hatten, einen Markt zu finden, generierte Palm nur zwei Jahre nach Verkaufsstart jährliche Verkaufserlöse von 250 Millionen Dollar. Im Jahr 2000 hatte das Unternehmen einen Marktanteil von 65 Prozent erreicht – in einem Gesamtsektor mit 11,2 Millionen verkauften Geräten im Jahr (ohne Smartphones), wie die Marktforschung von Gartner ermittelte. Palms ständige Produktinnovationen mit intelligenteren Lösungen wie dem Palm III, V und VII, die allesamt mit dem Palm OS-Betriebssystem liefen, machten das Unternehmen schließlich zur Milliarden-Dollar-Firma.

Mobilprofis wollten damals immer die neueste Version der Palm-Geräte haben: "Das war dieser einzigartige Moment, in dem Palm das Vorzeigekind der Internet-Generaton war", meint Palm-Manager und Senior Vice President Ken Wirt: "Damals war Palm ein glühend heißes Ding – aber niemand bleibt lange so."

2001 bis 2003: Rückschläge

Tatsächlich blieb Palm nicht mehr lange heiß. Seine Dominanz nahm mit dem Auftauchen neuer Geräte wie dem Handspring Visor oder RIMs BlackBerry ab. Und diese neue Hardware war nicht die einzige Bedrohung: Compaq, HP und andere PC-Hersteller entschlossen sich, Microsofts konkurrierendes PocketPC-Betriebssystem zu lizenzieren, anstatt auf Palms Palm OS zu setzen.

Im März 2001 kündigte Palm den PDA m500 sowie das Farbmodell m505 an, die beide Erweiterungsschächte für Zusatzhardware boten. Die Maschinen verzögerten sich allerdings mehrere Monate. Palm hatte sie frühzeitig angekündigt, um dem aufstrebendem Konkurrenten Handspring zuvor zu kommen, wie sich Todd Kort, Analyst bei Gartner erinnert. (Handspring wurde von den Ex-Palm-Managern Jeff Hawkins und Donna Dubinsky gegründet.)

Statt Handsprings Markteinsteig zu schaden, stoppte Palms frühe Ankündigung die Nachfrage nach seinen bestehenden Geräten. Die neuen Modelle kamen erst später im Jahr, was Kort zufolge für zwei schlimme Quartale bei Palm sorgte.

Handspring hatte auch deshalb Erfolg, weil das Unternehmen schnell lernte, Palms Führungsposition anzugreifen, wie Ed Colligan sagt, der 1998 Palm für Handspring verließ und inzwischen wieder als CEO zu Palm zurückgekehrt ist. Handspring lizenzierte das Palm OS und entwickelte seinen Visor-PDA mit einer Schnittstelle für Upgrade- Module, die aus dem Gerät etwa ein Handy oder einen Musikspieler machten. Mit dieser flexibleren Hardware schnappte sich Handspring innerhalb kürzester Zeit einen Marktanteil von 20 Prozent, wie Colligan berichtet.

RIM (Research in Motion), ein weiterer neuer Rivale, verschaffte sich schnell Kunden im Business-Bereich, in dem man den Nutzern Zugriff auf Firmen-E-Mail-Server gab. Der BlackBerry kam mit einem Mini- Keyboard und ermöglichte es Managern, ihre E-Mails sicher von Firmenservern abzuholen – ein Feature, das es von Palm nicht gab.

Und dann war da noch Microsoft, das Palms Software-Geschäft mit dem Windows Mobile-Betriebssystem unter Druck setzte. PocketPC-Handhelds mit Windows Mobile integrierten Microsofts Desktop-Anwendungen mit Zugriff auf die E-Mail-Server-Software Exchange und wuchsen schnell an Beliebtheit.

Die Präsenz dieser ernsthaften Konkurrenten im Hardware- und Software- Bereich bedeutete, dass Palms zwischen 2001 und 2002 Marktanteile an Visor, BlackBerry, Compaqs iPaq und Sonys Clié abgeben musste. Der Marktanteil lag danach nur noch bei 50 Prozent, wie Gartner feststellte.

Dieser Absturz hatte auch Einfluss auf die Finanzen. Im Fiskaljahr 2001 schrieb Palm mehr als eine halbe Milliarde Dollar Verlust, nachdem man 2000 noch 45 Millionen Dollar Profit gemacht hatte. Palm verlor noch drei Jahre später Geld. Der wirtschaftliche Niedergang der Jahre 2002 und 2003 in den USA führte zu einem langsam abnehmenden Markt für Handhelds. Wurden 2001 noch 13,1 Millionen Einheiten verkauft, waren es laut Gartner 2003 nur noch 11,5 Millionen. Palms Umsatz sank ebenfalls: Um ein Drittel im Jahr 2002 und um weitere 16 Prozent auf 837 Millionen Dollar im Jahr 2003.

2003: Die Smartphones kommen, die Betriebssysteme gehen

Die Nachfrage nach Handheld-Organizern sank auch aufgrund neuer Smartphones, die drahtlosen Datenzugriff, Telefonieren und PDA- Funktionen in einem Gerät vereinigten. Handspring brachte sein Smartphone Treo im Frühjahr 2002 auf den Markt und verkaufte bis zum Ende des Jahres mehr als 50.000 Einheiten pro Quartal. 2003 beendete Palm die Entwicklung eines eigenen Treo- Konkurrenten, wie Palm-Mann Wirt berichtet. Stattdessen kaufte man sich schließlich Handspring. Palm führte den ersten Treo unter der Marke Palm im November 2003 ein. Inzwischen wächst der Smartphone- Bereich stärker als das Handheld-Geschäft. Laut der Marktforschungsfirma IDC verkaufte Palm im zweiten Quartal 2005 430.000 Smartphones – eine Zunahme von 218 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In der gleichen Periode setzte Palm 638.000 Einheiten der Handheld-Modelle Zire und Tungsten ab.

Seit Palm auf Smartphones statt auf Handhelds setzt, wurde aus dem Unternehmen ein kleiner Fisch in einem Ozean – während man früher als großer Fisch in einem kleinen Teich galt. Derzeit hält Palm laut IDC einen Anteil von 3,1 Prozent im Smartphone-Markt, während man im Handheld-Sektor noch 36,5 Prozent beherrscht.

Dennoch war die Entscheidung vernünftig, weil die meisten Nutzer heutzutage tatsächlich eine Kombination aus PDA und Telefon wollen. Laut Gartner wird der Markt für Handhelds ohne Telefonfunktion in diesem Jahr auf 15 Millionen Einheiten wachsen, während Smartphones 40 Millionen Einheiten erreichen sollen. Das zeigt, dass das Wachstumspotenzial für Palm in der Treo-Familie liegt.

Laut Colligan hat das Palm-Management klar entschieden, dass die Smartphones das zentrale Element für das Wachstum der Firma sind. Es war nicht leicht, diese Philosophie denjenigen Mitarbeitern zu erklären, die sich auf die Entwicklung von Handhelds konzentrieren: "Man muss vorsichtig sein, Handhelds nicht als etwas altes zu bezeichnen, etwas, das nicht mehr interessant wäre."

Während sich Palm noch im Übergang zu den Smartphones befand, entschied das Unternehmen, künftig selbst keine Betriebssystem- Software mehr zu entwickeln. Im Oktober 2003 gründete es seine OS- Abteilung als PalmSource aus, die sich nun um die Weiterentwicklung kümmern sollte.

Laut Wirt entschied sich die Firma zur Abspaltung von PalmSource, um Konflikte bei der Lizenzierung seiner Software an Wettbewerber zu vermeiden. "Einige Leute in der Firma wollten die Konkurrenten wegpusten, während andere wiederum an sie verkaufen wollen." Wirt hatte selbst bereits ähnliche Erfahrungen gemacht: Er arbeitete zuvor bei Apple, wo man ebenfalls kurzzeitig seine Software an Klonhersteller lizenziert hatte.

Palm wollte außerdem die Freiheit haben, künftig Software anderer Firmen zu verwenden. "Wir haben es schon damals gesagt und glauben auch heute noch daran, dass es Bereiche im Markt gibt, die von anderen Betriebssystemen wie Windows, Symbian oder Linux besser bedient werden können", so Wirt.

Nach der Trennung entwickelte Palm zunächst weitere Smartphones und Handhelds mit Palm OS. Nachdem PalmSource im September 2004 eine neue Version 6.1 des Betriebsystems ("Cobalt") auf den Markt brachte, entschied sich Palm gegen die Verwendung.

Palms Marketing-Vizepräsident Page Murray betont, dass man deshalb nicht für Cobalt entwickelte, weil man bereits deutliche Verbesserungen für das bestehende Betriebssystem implementiert habe. Die Firma brachte also weitere Handhelds und Smartphones mit der alten Software-Version heraus.

Viele Soft- und Hardware-Firmen warten nun darauf, dass PalmSource eine neue Version des Betriebssystems herausbringt, dass den alten Betriebssystemkern durch Linux ersetzen soll, wie Douglas Edwards, Mitbegründer der Mobilsoftwarefirma Handmark, erklärt.

Laut Edwards entwickelte sein Unternehmen deshalb keine Palm OS 6.1- Software, weil von Palm kein klares Signal kam, dass die Plattform unterstützt würde. Bis zur neuen Palm OS-Version will man nun Anwendungen für Windows Mobile und die alte Palm OS-Version entwickeln. Edwards bleibt aber optimistisch: Ein Palm OS auf Linux- Basis könne eine "robuste Plattform" sein, die gleichzeitig günstiger sei als eine Windows Mobile-Lösung.

Von John Gartner; Übersetzung: Ben Schwan. (wst)