Parteienprüfsteine und Polit-Spam für Unentschlossene

Eine gute Woche vor den Neuwahlen wollen die Plattform "Wen wählen?", eine Umfrage des Providerverbands eco sowie Spam-Mails der Parteien noch Entscheidungshilfen geben. Auch eine Online-Testwahl ist geplant.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 202 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Es ist eine Crux mit dem Kreuzchen: Ende August hatten sich nach Angaben von Wahlforschern bis zu 30 Prozent der Bürger noch nicht entschlossen, wem sie am 18. September bei der vorgezogenen Bundestagswahl ihre Stimme geben wollen. Letzte Entscheidungshilfen kommen jetzt von der Online-Plattform Wen wählen?, bei der die Surfer erstmals Vergleiche zwischen einzelnen Kandidaten aller Parteien anstellen können, sowie von einer langen Liste an Wahlprüfsteinen, die der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco den Parteien vorgelegt hat. In beiden Projekten stehen Punkte wie die Haltung der Parteien oder ihrer Kandidaten zum Streitthema Telekommunikationsüberwachung im Vordergrund, die in gängigen Wahlcheck-Systemen wie dem Wahl-O-Mat keine Berücksichtigung gefunden haben.

Das Online-Projekt "Wen Wählen" fragt die Interessen, die der Wunsch-Kandidat eines Wahlkreises vertreten soll, in zwei Runden ab. Einmal geht es um allgemeine Gruppierungen wie Arbeitnehmer oder Kleinunternehmer. In der zweiten Phase werden die Einstellungen zu konkreteren Themen abgehandelt. Das reicht von der Frage, ob Erwerbstätige bei gleichem Lohn länger arbeiten sollen, über die Stärkung der Privatkopie im digitalen Raum bis hin zur Befürwortung oder Ablehnung der Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten im Telefon- und Internetbereich. Eine Bewertung ist auf einer Skala von plus bis minus 10 zu vergeben. Der Entwickler der Plattform, der Stuttgarter Programmierer und Netzaktivist Alvar Freude, hat Fragebögen zum Auffüllen der Wahlentscheidungsmaschine mit den inhaltlichen Positionen an knapp 3000 Kandidaten aller Parteien verschickt. 500 davon haben bisher geantwortet, vor allem von kleineren Gruppierungen.

Lese-Engagement fordern die eco-Wahlprüfsteine. Der Verband interessierte sich vor allem dafür, mit welchen Rahmenbedingungen die großen Parteien den Informations- und Telekommunikationssektor zur weiteren Blüte verhelfen wollen. Knapp 60 Fragen zu den Kernbereichen Breitbandförderung, Überwachung, Voice over IP sowie Spambekämpfung legten die Lobbyisten den Politikern vor. Unterschiede ergeben sich insbesondere bei dem derzeit in Brüssel diskutierten Streitpunkt der Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten: in Einklang mit dem vom Bundestag gefassten Beschluss lehnen alle Fraktionen die Pauschalüberwachung der Bürger weiter ab -- mit einer Ausnahme: Die Union möchte den Wünschen des Bundeskriminalamtes für eine sechsmonatige Speicherfrist nachkommen. In puncto Spam halten die SPD und die Grünen an ihrem Vorschlag fest, ein Bußgeld bis zu 50.000 Euro einzuführen. Die CDU/CSU will auch ein nationales Anti-Spamgesetz, setzt aber stärker auf technische Maßnahmen und die "Kooperation von Wirtschaft, Politik und Verbrauchern".

Lycos Europe hat derweil die Wahlkämpfer selbst beim Spammen ertappt: "Offensichtlich setzen die großen Parteien wenige Tage vor der Wahl verstärkt auf das Medium E-Mail, um potenzielle Wähler auch auf diesem Wege zu mobilisieren", gab eine Sprecherin des Providers bekannt. Laut Stichproben jeweils vor drei Wochen und eine Stunde nach dem TV-Duell am vergangenen Sonntag sei die Menge unerwünschter politischer Werbe-Mails um 540 Prozent gestiegen. Die Top-5-Versender von Polit-Spam waren die SPD (47 Prozent), die CDU (29 Prozent), die FDP (16 Prozent) und die Linkspartei (5 Prozent). Die Grünen bildeten mit 2 Prozent das Schlusslicht.

Um den umworbenen Bürgern künftig den Schritt zur Stimmabgabe zu erleichtern, hat der Förderverein Internet und Gesellschaft (Fitug) zu einem "Netzwahltag" geladen. Interessenten mit einer regulären Wahlerlaubnis will es der Verein ermöglichen, parallel zur amtlichen Wahl auch die Mittel des Internet zu erproben. Es handle sich nicht um eine gültige Stimmabgabe, betont der Projektverantwortliche, Lutz Donnerhacke. "Wir wollen beweisen, dass eine Internetwahl durchführbar ist, die dem Anspruch zur anonymen Stimmabgabe genügt und gleichzeitig sicherstellt, dass jeder nur einmal wählen kann". Kernelement des Systems ist eine blinde Signatur gemäß der Vorgaben des Krypto-Experten David Chaum. Ein speziell angepasstes handelsübliches Rechnersystem kann laut Donnerhacke mindestens so sicher funktionieren wie komplexe Wahlmaschinen, bei denen niemand einen Durchblick habe. Ein weiteres Fitug-Projekt für den 18. September ist die Kinderwahl, mit der spielerisch jüngere Mitbürger an die Demokratie herangeführt werden sollen.

Mehr Informationen zur Behandlung von IT-Themen durch die großen Parteien bietet die Serie "Wahlprogramme unter der Lupe" auf c't aktuell. Am morgigen Freitag um 15 Uhr lädt heise online ferner zum Chat mit Medienpolitikern aller großen Fraktionen. (Stefan Krempl) / (anw)