Personalabbau: So ekeln Firmen Mitarbeiter raus
Eine frühere Psychotherapeutin erzählt, wie Unternehmen unbequeme Beschäftige entsorgen. Heute hilft sie Gefährdeten, solche Situationen auszuhalten.
Als ehemalige Psychotherapeutin und heutige Personalberaterin hat Madeleine Leitner zahlreiche zweifelhafte Methoden des Personalabbaus kennengelernt. Unser Autor Peter Ilg hat ein Gespräch mit ihr protokolliert.
Psychotherapeuten haben viel zu wenig Ahnung davon, wie rabiat es in der Arbeitswelt zugeht. Deshalb können sie Patienten oft nicht richtig behandeln, die ihre Arbeit krank macht. Mir ging das auch so. Ich bin Diplom-Psychologin und approbiert als Psychologische Psychotherapeutin. Ich habe zunächst in einer psychosomatischen Klinik als Therapeutin gearbeitet und dort Menschen behandelt, die wegen Problemen bei der Arbeit zu uns kamen. Wenn die Patienten von den Schikanen und Intrigen erzählten, denen sie ausgesetzt waren, habe ich nicht für möglich gehalten, dass es so etwas in Wirklichkeit gibt.
Ich habe ihre Erzählungen damals psychologisch gedeutet: Ein Konflikt mit dem Chef ist eher eine Auseinandersetzung mit dem Vater, der im Arbeitsleben ausgetragen wird. Das ist der falsche Ansatz. Was Menschen im Beruf wirklich krank macht, sind die Umstände am Arbeitsplatz.
Von der Klinik ins Haifischbecken
Ich bin ein Typ, der immer etwas Neues lernen will. Das war nach einigen Jahren in der Klinik nicht mehr möglich. Krankheiten und Fälle haben sich wiederholt, dadurch hatte ich die notwendige Neugier für die Patienten verloren. Außerdem färbt es auf das Privatleben ab, wenn man ständig mit psychisch kranken Menschen zu tun hat. Also habe ich gekündigt.
Als freie Mitarbeiterin ging ich in der Zentrale eines deutschen Konzerns und war verantwortlich fĂĽr die Assessment-Center. Nichtsahnend kam ich dorthin in der Hoffnung, es weiter mit netten Menschen zu tun zu haben, die effizient arbeiten. Ich geriet aber in ein Haifischbecken. Ich war ziemlich engagiert, was den Leuten ĂĽberhaupt nicht gepasst hat. Nach einer Weile wurde mir eine Festanstellung in der Stadt angeboten, in die ich unbedingt wollte. Allerdings wurde ich Opfer einer Intrige: statt des versprochenen unbefristeten bekam ich einen befristeten Vertrag. Nach vier Jahren war ich unversehens raus.
Unlösbare Aufgaben, illoyale Chefs
Inzwischen hatte ich eine Weiterbildung in den USA für Karriereberatung gemacht, mit dem Ziel, mich später selbstständig zu machen. Also habe ich zunächst meine Kassenzulassung reaktiviert und wieder als Psychotherapeutin gearbeitet. Ich spezialisierte mich auf Patienten, die am Arbeitsplatz krank geworden sind. Dabei habe ich viel über die Machenschaften von Firmen gelernt.
Klassiker sind unlösbare Aufgaben. Pflichtbewusste Menschen, die meinen, alle Aufgaben lösen zu müssen, sind prädestiniert dafür, durch die Arbeit krank zu werden. Risiken sind auch die Verdichtung der Arbeit oder ungelöste Konflikte und illoyale Chefs. Oft wollten Vorgesetzte ihren Mitarbeitern sogar bewusst schaden, um sie loszuwerden. Das war eine erschreckende Erkenntnis, die ich tagtäglich erlebte.
Wenn die Stimmung plötzlich kippt
Ich habe alle Arten von Mobbing kennengelernt und miterlebt, wie gezielt Personalabbau betrieben wird. Legal, illegal, brutal. Meist mit Masche.
Mitarbeiter sollten aufmerken, wenn die Stimmung plötzlich kippt. Wenn unlösbare Aufgaben gestellt oder Abmahnungen aus heiterem Himmel geschrieben werden. So wird gezielt Verunsicherung erzeugt. Weil viele Menschen anständig sind, denken sie, etwas falsch gemacht zu haben. Das erzeugt Selbstzweifel. Häufig sind das abgekartete Spiele und oft stecken externe Berater dahinter, die Firmen dabei helfen, Mitarbeiter manchmal teuer, lieber billig zu entsorgen.
Ein Beispiel aus meiner Beratung. Einer Frau wurde unter einem Vorwand fristlos gekündigt zum Jahresende. Sie sollte aber einfach aus Gründen der besseren Bilanz im neuen Jahr nicht mehr auf der Gehaltsliste stehen. Das war der Plan. Die Frau saß verzweifelt über Monate zu Hause ohne Arbeitszeugnis für Bewerbungen und ohne Arbeitslosengeld, weil der Fall vor das Arbeitsgericht sollte. Doch das dauerte und sie wurde mürbe. Irgendwann kam das Gerichtsverfahren, die fristlose Kündigung musste zurückgenommen werden, aber das Arbeitsverhältnis war so zerrüttet, dass es auch offiziell zur Trennung kam. Bilanz frisiert, Abfindung gespart und Mitarbeiterin los. Die Firma hatte ihr Ziel erreicht.
Gezielt weggemobbt
Ein anderer Fall. Ein Mitarbeiter wurde vom Chef gezielt gemobbt, wurde krank und war dann erstmal weg. Sein Arbeitgeber musste nur sechs Wochen Lohn fortzahlen, danach übernahm die Krankenkasse. So agieren manche Firmen auf Kosten der Allgemeinheit. Als die Krankenkasse dann Druck machte, bot die Firma scheinheilig an, dass der Mitarbeiter gerne wieder kommen kann. Doch der wusste genau, dass er dann ins offene Messer läuft. Auch eine billige Art, Mitarbeiter loszuwerden
In allen Größen von Unternehmen und Branchen gibt es solche abgekarteten und üblen Spielchen. Überwiegend sind es unbequeme Mitarbeitende, die Firmen loswerden wollen. Menschen die sich wehren, die den Finger in die Wunde legen. Die engagiert sind, etwas bewegen wollen. Das sind Stachel im Fleisch des Chefs, die er loswerden will.
Bleiben oder gehen?
Ich arbeite seit vielen Jahren nur noch als Karriereberaterin und profitiere noch heute von meinen Erfahrungen mit Patienten und im Konzern. Ich unterstütze meine Klienten mit meinem Beratungsansatz dabei, Optionen zu bewerten und Entscheidungen zu treffen. Die eigenen Stärken und Schwächen erkennen. Bleiben oder gehen.
Selbstverständlich wird es aufgrund von Corona und strukturellem Wandel in nächster Zeit Branchen geben, die viele Leute abbauen. Aus der Automobilindustrie habe ich schon zwei Ingenieure, die verunsichert sind und vorsichtshalber zu mir kommen. Zu wissen, dass Firmen Mitarbeiter abbauen, hilft schon mal nach dem Motto: Gefahr erkannt, ist schon halb gebannt! So können sie ihre Möglichkeiten arbeitsrechtlich klären und eine Strategie für ihr Verhalten entwickeln.
Manche können auch einfach nicht gehen. Sie haben finanzielle Verpflichtungen. Familie, Kinder, Kredite. Wieder andere haben keine Chance auf eine andere Stelle. Die müssen sich in der alten Firma festbeißen. Dann geht es darum, eine Strategie zu entwickeln, wie sie damit klarkommen. Entscheidend dabei ist: Auch wenn man eine Situation nicht ändern kann, hat man Einfluss auf die eigene Einstellung. Man kann etwa beschließen, Angriffe nicht mehr persönlich zu nehmen. Oder innerlich kündigen. Das ist zwar keine gute Lösung, aber immer noch besser, als psychisch krank zu werden.
(axk)