KI statt Unterricht: Londoner Schüler bereiten sich selbst auf Prüfung vor

An einer Londoner Highschool lernen 20 Jugendliche mit KI und Hilfe von Lerncoaches, statt im Klassenverbands-Unterricht. Ein Modell mit Vorbildcharakter?

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Ein Schüler sitzt neben einem Roboter, der ihm etwas erklärt

In einem Pilotprojekt lernen Jugendliche in London mit KI statt im Unterricht. Nachmittags bleibt dann Raum für andere Themen.

(Bild: Stock-Asso/ Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Eine Highschool in London ersetzt in einem Pilotprojekt den klassischen Unterricht durch Lehrkräfte für 20 Schülerinnen und Schüler durch Künstliche Intelligenz. Mithilfe von Tools wie ChatGPT sollen sich die Jugendlichen eigenständig nach einem individuellen Lehrplan auf ihre Abschlussprüfung vorbereiten – etwa in Englisch, Mathematik, Biologie oder Informatik. Unterstützung bekommen sie von drei Lern-Coaches.

Die Schülerinnen und Schüler des David Game Colleges in London sollen in dem Pilotprojekt in ihrem eigenen Tempo arbeiten können, berichtet Business-Insider. So müssten sie nicht mit dem Tempo der Klasse mithalten, das für einige zu schnell und für andere zu langsam sei, erklärte John Dalton von der Schulleitung dem Magazin. Zudem könnten die 15-Jährigen der KI Fragen stellen, die sie sich im Klassenverband vielleicht nicht zu stellen trauen. In der gewonnenen Zeit wolle die Schule sich auf andere Punkte konzentrieren, die im Alltag sonst oft zu kurz kommen: Selbstbewusstsein, kritisches Denken, digitale Kompetenz, künstlerischer Ausdruck, das Sprechen vor Publikum oder unternehmerisches Denken.

Den Ansatz, dass der Einsatz Künstlicher Intelligenz Ressourcen freisetzt, die für andere Dinge wichtig sind, unterstützt auch Andreas Bartsch, Präsident des Nordrhein-Westfälischen Lehrerverbands. "Als Ergänzung ist das eine Chance, was wir nicht schaffen, durch die kurze Decke in der Lehrerversorgung, zu ermöglichen: Fragen, wie es den Schülerinnen und Schülern geht, wo sie Unterstützung brauchen." Zugleich könne KI Lehrpersonen nicht vollständig ersetzen. Es drohe nicht nur die Gefahr, die Lernenden allein zu lassen, auch erfüllten Lehrkräfte weit mehr als nur die Rolle als Wissensvermittlung. "Die Rolle in der Kommunikation, als Vorbild und auch als Führungscharakter ist wichtig im Alltag", so Bartsch.

Lehrende in NRW hätten bereits einiges Material für den KI-Einsatz in der Schule zur Verfügung. Zugleich müsse man sich im Klaren sein, dass KI halluzinieren kann und bisweilen unzuverlässig ist. "Das Material sollten Lehrkräfte auch nutzen und KI einsetzen – das bedeutet aber nicht, dass man das Hirn ausschaltet." Genau das sei wichtig, auch den Jugendlichen zu vermitteln. "Die Schülerinnen und Schüler müssen lernen, mit KI umzugehen, dann kann das eine große Chance werden", bilanziert Bartsch.

Auch Andreas Dammertz, Senior Expert im Bereich Bildung der Robert Bosch Stiftung und Teil des Innovationslabors "KI im Unterricht – Schule von morgen heute gestalten", sieht KI in erster Linie als Unterstützung – nicht als Ersatz. Das Ziel der Londoner Jugendlichen sei fokussiert, der Zeitraum begrenzt. "Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Form des personalisierten Lernens sehr effektiv sein kann, zumal die Schüler:innen von Lernbegleiter:innen unterstützt werden", erklärt Dammertz. In Deutschland sieht er noch Schwierigkeiten für ein vergleichbares Projekt. "Ich denke, dass die Vorgaben wie Lehrpläne, Stundentafeln und Prüfungsordnungen es Schulen in Deutschland nicht leicht machen würden, ein vergleichbares Projekt umzusetzen."

Das Thema passe zum Ansatz eines personalisierten und adaptiven Lernens, erklärt Dammertz. Dabei stehe die lernende Person im Mittelpunkt. "Im besten Fall führt dies zu einem personalisierten Lernweg, der Kindern und Jugendlichen bessere Bildungschancen ermöglicht." Auch Dammertz zeigt sich überzeugt, dass KI kein Ersatz für Lehrkräfte ist. Aber sie könnte ihre Rolle verändern.

"Das Klassenzimmer ist auch ein sozialer Lernraum, in dem Menschen miteinander interagieren", so Dammertz. Eine Abhängigkeit erschwere möglicherweise das soziale und emotionale Lernen. "Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche sich zu sehr auf KI verlassen, was die Entwicklung von kritischem Denken und Problemlösungsfähigkeiten einschränken könnte." Als Ausgleich für fehlende Lehrkräfte sei der Ansatz vielversprechend. So könnten sie sich stärker der pädagogischen Betreuung widmen. "Die KI kann zudem ein sicheres und unterstützendes Lernumfeld schaffen, das das Selbstvertrauen, die Selbstwirksamkeit und das Wohlbefinden der Schüler:innen stärkt."

(are)