Pink Slips: Die Arbeitslosen der New Economy tanzen in den Mai

Mit der Entlassungswelle in der New Economy schwappen auch die Pink Slip-Parties aus den USA nach Deutschland.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 47 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Am Vorabend des Tags der Arbeit, am 1. Mai, soll ein besonderes Event die Berliner Partyszene aufmischen: Frank Lichtenberg, Chef des Frankfurter Online-Lieferservices Snacker, hat die Arbeitslosen der New Economy zur ersten deutschen Pink-Slip-Party in die Reinbeckhallen in Berlin-Treptow geladen. Im Industrie-romantischen Ambiente eines ehemaligen Umspannwerkes sollen sich die Geschassten in der Walpurgisnacht den Frust von der Seele tanzen – und dabei vielleicht sogar einen neuen Job ergattern. Lichtenberg rechnet jedenfalls fest damit, dass zahlreiche Headhunter oder Spione von Consulting-Firmen erscheinen, im Gegensatz zu den Entlassenen 150 Euro an der Abendkasse abdrücken und nach jungen Talenten Ausschau halten werden. Insgesamt erwartet der Vorsitzende des Arbeitskreises "Startups" im Verband der deutschen Internet-Wirtschaft eco rund 1000 Gäste.

Die ungewöhnliche Partymasche kommt anders als der First Tuesday, dem Inbegriff des Gründer-Netzwerks, nicht aus London, sondern aus New York. In den USA haben zwischen Dezember 1999 und März dieses Jahres rund 65.000 Angestellte bei Firmen rund ums Internet den rosafarbenen Entlassungsschein in die Hände gedrückt bekommen, der dem Event seinen Namen gab. Als die Arbeitslosigkeit in ihrem persönlichen Umfeld zu grassieren begann, rief Allison Hemming, Chefin der New Yorker Beratungsfirma The Hired Guns, Freunde und Bekannte im Juni 2000 in der hippen "Rebar" in Chelsea zusammen, um das Leid zu lindern.

Die Sache sprach sich herum, sodass schon beim ersten Treff die Bar wider Erwarten aus allen Nähten platzte. Inzwischen finden die Parties regelmäßig auch in Kalifornien und in Washington statt und sind zum begehrten Umschlagplatz für Job- und Mitarbeitersuchende geworden. Gute Aussichten auf eine Neuanstellung haben vor allem Freaks, die sich mit Softwareprogrammierung und Hightech auskennen. Wer im Marketing- und PR-Bereich bei einem Startup tätig war, hat angesichts der von der Börse verschriebenen Sparwut in Dotcoms dagegen schlechte Karten.

Doch die Berliner Startup-Branche ist sich uneins, ob die neue Networking-Gelegenheit in Deutschland genauso einschlägt wie jenseits des Atlantiks. Die Online-Jobvermittlung Monster.de (http://www.monster.de/), die eigentlich als Hauptsponsor auftreten wollte, ist zumindest bereits wieder abgesprungen. Zu sehr hört sich die deutsche Version der Pink-Slip-Party wie die Geschäftsidee eines Unternehmers an, der alle anderen PR-Effekte bereits ausgeschöpft hat und selbst über ein knappes Marketing-Budget wachen muss.

Denn obwohl die "Entlassungswelle" mit Verspätung auch die deutsche New Economy erreicht hat, geht das Feuern hierzulande nicht so einfach wie in den USA. Zudem sind viele deutsche Dotcoms langsamer gewachsen und haben weniger Stellenüberhang. Die anvisierte Kernzielgruppe in Berlin oder anderen Startup-Hochburgen, durch die das Party-Event in den nächsten Wochen touren soll, ist daher schon prozentual gesehen viel niedriger als in New York oder San Francisco. "So viele Entlassungen gab es hier gar nicht", weiß Daphne Rauch, Sprecherin des Verbraucherportals Dooyoo, das selbst 15 Prozent der Belegschaft im Februar kündigen musste. Die hätten alle allerdings bereits neue Jobs.

Außerdem glaubt Rauch, dass die Sache mit den pinken Slips hierzulande falsch verstanden werden könnte: "Die leute denken, es handelt sich um eine Werbeveranstaltung von H&M Dessous", fürchtet die Insiderin, die auch den Zeitpunkt für die Party für unangebracht hält. Schließlich sei die Branche gerade dabei, zur Normalität zurückzukehren. Für "gar keine so schlechte Idee", hält dagegen Dana Büchel die Fete vor dem 1. Mai. Obwohl die Strategin ihren Job bei Dooyoo als Fachfrau für "e-Intelligence" nicht verloren hat, will sie sich trotzdem in das Industriegebiet am Stadtrand aufmachen, um "einfach mal den eigenen Marktwert abzuchecken." (Stefan Krempl) / (wst)