Piratenpartei auf Kurssuche beim Bundesparteitag

Beim Bundesparteitag der Piraten darf auch mal gelacht werden. Doch die junge Partei will auch ernst genommen werden - als Plattform für ein neutrales Internet und Bürgerrechte. Helfen sollen dabei ein neuer Parteichef und Bundesvorstand.

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Von
  • Johannes Wagemann
  • dpa

Im Kurznachrichtendienst Twitter liefern sich die Piraten am Samstag eine kleine Schlacht mit der zeitgleich tagenden FDP in Rostock. Ein Augsburger Pirat zieht unter seinem Nutzernamen "@webrebell " etwa über die Zahl der ausstellenden Firmen bei den Liberalen vom Leder. Die FDP mosert, die Zahl der rund 600 bis 700 Piraten im baden-württembergischen Heidenheim sei gerade mal vergleichbar mit der Zahl der Journalisten in Rostock.

Doch bei der Zahl der Tweets können die Liberalen mit den Piraten nicht mithalten. Das liegt auch daran, dass vor fast jedem Mitglied beim Parteitag in der schwäbischen Provinz ein Laptop oder ein Tablet liegt. "Wir haben eine Art Echtzeitkommentar", sagt Lukas Lamla. Der 28-Jährige ist überzeugt, dass seine Partei mittlerweile den Kinderschuhen entwachsen ist. "Wir sind nicht mehr die Internetpartei", sagt Lamla - er setze sich etwa für Bürgerhaushalte in den Kommunen ein, bei denen jeder Bürger die Gemeindefinanzen mit kontrolliert, und das nicht nur durch die Wahl alle vier oder fünf Jahre.

Auch wenn die Piraten bei den Landtagswahlen in diesem Jahr noch recht weit von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt waren - sie wollen sich nicht auf eine skurrile Kleinstpartei reduzieren lassen - sie wollen Kurs nehmen auf die Parlamente. "Wir wollen sie entern", sagt Parteisprecher Aleks Lessmann. Mit einem neuen Vorsitzenden soll die Partei, die hier in Baden-Württemberg aus dem Stand auf 2,1 Prozent der abgegebenen Stimmen kam, mehr Gewicht gewinnen. "Kampagnenfähig" müsse sie werden, sagt einer der Kandidaten für den Parteivorsitz, Christopher Lauer.

Und Sebastian Nerz, ein weiterer Kandidat und baden-württembergischer Piratenparteichef, setzt auf bessere Koordination. "Wir können nicht über ein Grundsatzprogramm zu Wirtschaftsthemen reden und vier Arbeitsgruppen gleichzeitig sitzen daran, ohne dass sie voneinander wissen." Die Piraten hätten jetzt eine andere Dimension angenommen. Kämpfe zwischen denjenigen für den "Markenkern" der Partei und denen, die für eine Öffnung hin zu sozialen und gesellschaftlichen Themen wollen, gebe es schon lange nicht mehr, sagen Lauer wie Nerz.

In manchen Momenten sind die Piraten beim Bundesparteitag dann auch eine Partei wie alle anderen: Stundenlang wird am Samstag diskutiert, wie die Ordnung für das Parteischiedsgericht aussehen muss und ungerechte Urteile gegen einzelne Piraten verhindert werden könnten. Müssen in der Kommission nicht unbedingt Volljuristen sitzen?

Der große Unterschied: Es wird laut und hitzig - und vor allem in etwas lockerer Form - diskutiert als bei anderen Parteien. Ein Beisitzer aus dem Bundesvorstand will keine Landesverbände mehr "anpissen" müssen, dem Schatzmeister ist gestern Abend der Rechner "gecrasht". Und für den Parteitag haben einige der 20 bis 40 Jahre alten Parteimitglieder natürlich zum Flashmob aufgerufen - in Abendgarderobe treten sie bei einem Gruppenfoto auf.

Buh-Rufe gibt es, wenn Bernhard Ilg (CDU) Oberbürgermeister der Tagungsstadt Heidenheim auch die "Piratinnen" begrüßt - nicht wissend, dass die Piraten wert darauf legen, dass zum Datenschutz auch das Recht gehört, über das eigene Geschlecht "zu bestimmen" - es dürfe durch das Anhängsel "-in" nicht diskriminiert werden.

Die Piraten wollen auf Kurs bleiben - doch auf ihr Anders-Sein werden sie so schnell nicht verzichten. Denn wer sich unter den Parteimitgliedern am Wochenende umhört, findet sowohl solche, die sich als "Liberaldemokraten" sehen. Aber auch solche, die lieber mit der Linkspartei zusammenarbeiten wollen, wenn sie etwa in einem Stadtrat sitzen.

Und wo früher die Grünen bei Parteitagen strickten, steht heute Kathrin Weiss im Saal an einem Webstuhl und webt ein kleines "Netz". Dies soll das kleine Gegenstück zum großen Internet-Web darstellen, in dem die Piraten ständig unterwegs sind. (mw)