Plötzlich Optimismus für die Halbleiterbranche

Überraschend sagt eine neue Prognose der Semiconductor Industry Association den Halbleiterherstellern 6 Prozent Wachstum im nächsten Jahr voraus.

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Überraschender Aufschwung: Eine neue Prognose der Semiconductor Industry Association (SIA) sagt der weltweiten Halbleiterbranche 6 Prozent Wachstum im nächsten Jahr voraus.

Auf dem "Annual Forecast and Award Dinner 2001" im kalifornischen San Jose verkündete Texas-Instruments-Chef Rich Templeton die neuesten Zahlen. Demnach durchleiden die Chipfirmen in diesem Jahr den schlimmsten Umsatzeinbruch in der über 40-jährigen Branchengeschichte: Von 204 Milliarden US-Dollar in 2000 schrumpft der Umsatz bis zum Jahresende um 31 Prozent auf geschätzte 141 Milliarden US-Dollar. Im bisher schlimmsten Krisenjahr 1985 gingen die Verkäufe nur um 17 Prozent auf 21,4 Milliarden US-Dollar zurück.

Doch nächstes Jahr soll ein zarter Aufschwung um 6 Prozent auf 150 Milliarden US-Dollar kommen. Das Überraschende: Noch vor wenigen Wochen hatte die WSTS, die im Auftrag der SIA die monatlichen Umsatzzahlen aus den Angaben der rund 70 internationalen Mitgliedsfirmen ermittelt, nur 2,6 Prozent Wachstum in 2001 vorhergesagt. Nun sind zwar Korrekturen bei Marktprognosen nichts wirklich Neues – im vergangenen Herbst gingen SIA und WSTS noch von über 20 Prozent Wachstum in diesem Jahr auf 250 Milliarden US-Dollar aus.

Doch diesmal kommt die Korrektur sehr plötzlich: Keine drei Wochen liegen zwischen der letzten WSTS-Prognose und der neuen SIA-Vorhersage. Letztere stützt sich dabei auch auf Daten der WSTS, plötzlich sieht man aber beispielsweise in Amerika, Europa und Japan ein leichtes Wachstum, wo noch vor kurzem ein weiterer Abschwung befürchtet wurde. Die WSTS war bei ihrer Jahr-2002-Vorhersage davon ausgegangen, dass praktisch nur in der asiatisch-pazifischen Region der Umsatz stiege; bei den Speicherchips erwartete man sogar weitere 3 Prozent Abschwung.

Nun soll es mit den DRAMs um 16 Prozent aufwärts gehen. Laut Wall Street Journal geben neue Zahlen der US-Speicherfirma Micron durchaus Grund zur Hoffnung, dort sieht man wachsende Auftragseingänge. Auch National Semiconductor hoffe auf fünf bis sieben Prozent Quartalswachstum. Intel dagegen sehe das laufende Quartal nach wie vor nicht zu rosig; dennoch wählte die SIA Intel-Chef Craig Barrett zu ihrem "Chairman" für das Jahr 2002. Er löst in dieser Funktion John Kelly von IBM ab.

Skepsis ist bei Marktprognosen immer angesagt – vor allem, wenn sich renommierte Quellen deutlich widersprechen. Dataquest geht nach wie vor noch von weiteren 19 Prozent Umsatzrückgang bei den Speicherchips aus und hat auch weitaus düsterere Zahlen für das laufende Jahr ermittelt: Statt wie die WSTS von 49 Prozent Umsatzrückgang spricht Dataquest von 67 Prozent weniger Einnahmen aus dem DRAM-Verkauf. Allerdings musste auch Dataquest seine Vorhersagen seit dem letzten Herbst schon mehrfach korrigieren.

Zurzeit spricht Dataquest davon, dass die Chipfirmen in diesem Jahr mit 147 Milliarden US-Dollar um 35 Prozent geringere Umsätze machen werden als im letzten Jahr. Die prozentuale Schrumpfung liegt also noch recht nahe an den WSTS/SIA-Zahlen. Doch im kommenden Jahr erwartet Dataquest nur 3 Prozent Wachstum auf 152 Milliarden US-Dollar, dafür komme in 2003 ein wahrer Boom mit 30 Prozent Wachstum, angetrieben von mehr PC-Käufen und den neuen Handy-Netzen. Die SIA sieht in 2003 nur 21 Prozent Wachstum auf 181 Milliarden US-Dollar, das im Jahr 2004 anhalten soll. Dann soll mit 218 Milliarden US-Dollar Umsatz das Rekordjahr 2000 wieder übertroffen werden.

Die WSTS verweist bei ihren Untersuchungen beharrlich darauf, dass der Halbleitermarkt seit seinen Anfängen in den 50-er Jahren im Mittel um 17 Prozent jährlich gewachsen sei. Bleibt zu hoffen, dass bei der Schätzung der neuen Zahlen nicht zu viel Hoffnung im Spiel war. Die Mitglieder des Branchenverbandes Sematech sehen ebenfalls bessere Zeiten kommen. Verbandschef Bob Helms äußerte jedenfalls auf der SEMICON West in Austin diese Erwartung. Doch er machte auch klar, dass Chipfirmen nur durch kontinuierliche hohe Investitionen an diesem Aufschwung teilhaben könnten. Mindestens 1 Milliarde US-Dollar sei jährlich erforderlich, um der Halbleiter-Roadmap mit ihren ständigen Strukturverkleinerungen und immer größeren Wafern folgen zu können.

Diese Roadmap legt die Technik- und Verfahrensverbesserungen auf Jahre im voraus fest. Bis 2012 werden demnach Strukturbreiten von 50 nm (heute: 130 nm) erwartet. Im Mittel schafft es die Industrie durch diese ständige Prozessverbesserung, die Fertigungskosten "per function" um 25 Prozent pro Jahr zu senken. In der letzten Zeit beschleunigen nach Sematech-Angaben einige Firmen diese Optimierung, indem sie den traditionell 3-jährigen Innovationszyklus auf zwei Jahre verkürzten. Diese Analyse macht klar, dass der Konzentrationsprozess in der Branche unvermindert anhalten wird: Die immensen Investitionen erfordern hohe Auslastung der Anlagen und satte Finanzpolster. (ciw)