Swatting: Open-Source-Entwickler vor laufender Kamera durch Polizei abgeführt

Der Polizeieinsatz bei René Rebe wurde durch eine gefälschte E-Mail ausgelöst, die einen erweiterten Suizid des Entwicklers ankündigte.

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Zwei deutsche Polizeiautos

(Bild: C. Nass/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

So hatte sich René Rebe den Donnerstagnachmittag nicht vorgestellt: Während eines Twitch-Streams zu Linux-Softwareentwicklung wurde der Berliner rüde durch Sturmklingeln, Klopfen und laute "Polizei!"-Rufe unterbrochen. Mehrere Einsatzfahrzeuge hatten sich auf den Weg zum Büro des Open-Source-Entwicklers gemacht, weil er per Mail Gewalttaten gegen sich und seine Familie angekündigt habe. Nur: Die Ankündigung war gefälscht und Teil einer "Swatting"-Aktion.

Der Begriff Swatting wird abgeleitet von der in den USA gebräuchlichen Abkürzung SWAT (Special Weapons and Tactics) für Polizeieinheiten ähnlich dem deutschen Spezialeinsatzkommando (SEK). Mittels gefälschter Notrufe oder Nachrichten erwecken die Täter den Anschein, das Opfer wolle sich oder andere töten, um dann Einsatzkräfte zu dessen Haus zu locken. Diese nehmen zudem eine besondere Gefährdungslage an und erscheinen in großer Zahl und mit schwerer Bewaffnung.

So auch in Rebes Fall: Auf einem Ausschnitt seines Streams, den der Entwickler auf YouTube hochlud, sind mehrere Polizeibeamte mit schusssicherer Weste und gezogener Dienstwaffe zu sehen, die die Büroräume sichern. Rebe selber wurde in Handschellen gelegt, im Hausflur verhört und fuhr dann gemeinsam mit Polizeibeamten zu seiner Privatadresse, um das Wohlergehen seiner Familie nachzuweisen.

Der Berliner kritisiert die aus seiner Sicht unverhältnismäßige Polizeiaktion. Anstatt die gesamte Straße mit Einsatzfahrzeugen abzusperren, hätten die Ordnungskräfte ja zunächst anrufen oder mit einer Streife vorbeischauen können, so Rebe im Gespräch mit heise Security. Auch habe die Polizei die angeblich von ihm verfasste Drohmail nicht ausreichend auf Echtheit geprüft.

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Die Berliner Polizei bestätigte auf heise-Anfrage den Vorgang, weist ansonsten aber auf Datenschutz und Ermittlungstaktik hin und nennt keine Details. Man sei trotz technischer Hindernisse wie Verschleierung von Rufnummern und aus dem Ausland agierenden Serveranbietern bestrebt, eine möglichst schnelle Aufklärung zu gewährleisten. Die findet gemäß der polizeilichen Kriminalstatistik in etwa jedem zweiten Fall des Mißbrauchs von Notrufen tatsächlich statt: 58 Prozent der gut 14.000 Fälle im vergangenen Jahr wurden aufgeklärt. Darunter fällt beileibe nicht nur das gefährliche Swatting, sondern auch jeder Scherznotruf.

Denn: Swatting ist in Deutschland strafbar. Zwar gibt es keinen eigenen Straftatbestand, in Betracht kommt jedoch der nach § 145 StGB mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bewehrte Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs- und Nothilfemitteln sowie das Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB). Gegen zehn Mitglieder einer Bande von Cyberkriminellen waren Ermittler erst kürzlich vorgegangen.

In der Vergangenheit richteten sich Swatting-Attacken oft gegen Online-Spieler oder Streamer aus der Gaming-Szene, auch in Deutschland. Dass nun ein Softwareentwickler betroffen ist, ist eine neue Entwicklung.

Auch der bekannte US-Journalist Brian Krebs hat Erfahrung mit Swatting. Seiner Erfahrung nach gehört die gefälschte Ankündigung eines Mord-Selbstmords zum Standard-Repertoire der Swatter. Zudem, so der Experte gegenüber heise Security, wenden sich die Täter häufig nicht an den Notruf, der zu eng überwacht und zudem nicht überregional erreichbar sei. "Man kann von Denver aus nicht die Notrufnummer 911 anrufen und erwarten, den Notruf am Wohnort des Opfers in Miami zu erreichen", so Krebs. Erst vor wenigen Tagen verfasste der Journalist in seinem Blog einen ausführlichen Artikel über den Zusammenhang zwischen organisiertem Cybermobbing und anderen digitalen Verbrechern.

Hinweis: In Deutschland finden Sie Hilfe und Unterstützung bei Problemen aller Art, auch bei Fragen zu Mobbing und Suiziden, bei telefonseelsorge.de und telefonisch unter 0800 1110111. Die Nummer gegen Kummer (Kinder- und Jugendtelefon) lautet 116 111. In Österreich gibt es ebenfalls kostenfreie Hilfsangebote, darunter speziell für Kinder der Kindernotruf unter 0800 567 567 sowie Rat auf Draht unter 147. Dieselbe Telefonnummer führt in der Schweiz zu Pro Juventute.

(cku)