Polizeihubschrauber: Geschwindigkeitsmessung und Objekterkennung mit KI

Helsing hat auf dem Polizeitag ein KI-System für Helikopter und Drohnen mit breiten Überwachungsoptionen vorgestellt. Auch andere Ausrüster mischen mit.

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(Bild: Andrey_Popov / Shutterstock.com)

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Die althergebrachte Radarkontrolle bekommt Konkurrenz aus der Luft. Das Münchner Startup Helsing hat auf dem digitalen Polizeitag des "Behörden-Spiegel" am Dienstag einen angepassten Militärhubschrauber für Ordnungshüter präsentiert, der mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) neben einer automatischen Objekterkennung mit Geolokalisierung in Echtzeit auch eine Geschwindigkeitsmessung von Fahrzeugen durchführen kann.

Mit einer entsprechenden Plattform habe Helsing den Airbus-Hubschrauber H145M "für eine große Landespolizei KI-fertig gemacht", erklärte Christian Fischbach, Programmleiter bei dem 2016 aus dem Helmholtz-Zentrum für angewandte KI ausgegliederten Unternehmen. Den Namen des Bundeslandes nannte er nicht. Bekannt ist, dass das bayerische Innenministerium Ende 2021 bei Airbus Helicopters acht Transporthubschrauber des Typs H145 D3 für die Polizei des Freistaats für 145 Millionen Euro bestellte.

Der Einbau der KI-Technik sei zusammen mit Airbus selbst und dem Rüstungsunternehmen MBDA erfolgt, berichtete Fischbach. Sie baue auf der Basisinfrastruktur von Helsing auf, die Daten zunächst unter anderem per Radar, Telekommunikations- und Funkaufklärung sowie Kamera- und Sensorenauswertung erfasse. Bei der Plattform für den H145M handle es sich um eines von mehreren "Missionsmodulen", die auch über ein eigenes Betriebssystem verfügten.

Fischbach zeigte Aufnahmen aus Erprobungsflügen, bei denen die Technik unterschiedliche Klassen von Objekten wie Lkw, Pkw und Personen erkannte und im Display des Helikopters anzeigte. Dazu komme die Geschwindigkeitserkennung, die allenfalls auf Autobahnen bei höherem Tempo "noch nicht so herausragend" funktioniere.

(Bild: Helsing)

Die Plattform ermöglicht laut dem früheren Mitarbeiter im Bundesverteidigungsministerium auch eine semantische Suche in unstrukturierten Daten mit einer "Pattern of Life"-Analyse. Zeige alle weißen Fahrzeuge, die in den letzten Minuten geparkt wurden oder die mit mehr als 30 km/h eine Linie überquert haben, brachte er Beispiele. Die Funktion sei momentan aber nicht dazu gedacht, "Strafzettel zu verteilen". Eher sei sie etwa auf eine Fluchterkennung ausgerichtet.

Prinzipiell lasse sich die Technik ferner auf Drohnen packen, auch wenn ein größerer Hubschrauber für die Hauptfunktionen dank der Bordressourcen besser geeignet sei, führte Fischbach aus. Tests mit Kleinstdrohnen und einer 3D-Visualisierungsplattform habe es in Bayern bereits gegeben. Damit lasse sich überblicken, wo sich die unbemannten Fluggeräte "befinden, wohin sie schauen, was sie gerade sehen". Ziel sei es auch hier, die Haupterkennung auf der Plattform selbst durchzuführen, um für einen temporären Ausfall von Kommunikationsnetzen etwa aufgrund von Jamming gerüstet zu sein.

Die Technik sei auch für Rettungseinsätze gut geeignet, meinte Fischbach. Bei Aufnahmen während der Flutkatastrophe im vorigen Sommer seien darauf sofort viele Personen in einer Sequenz auf teils noch überfluteten Terrain erkannt worden. Solche Erkenntnisse könnten direkt an die Einsatzleitung weitergegeben werden, was auch in der Dämmerung funktioniere. Derartige Informationen dienten als Entscheidungsunterstützung bei der Lagebeurteilung. Der Vertreter der Firma, in die etwa Spotify-Mitgründer Daniel Ek Millionen investiert hat, betonte zugleich, dass man "ausschließlich mit liberalen Demokratien" zusammenarbeite und für eine ethische KI-Regulierung sei.

(Bild: Helsing)

Ulrich Wilmsmann vom französischen IT-Haus Atos veranschaulichte, wie der KI-Einsatz im Alltag eines Polizisten bald aussehen könnte. Für eine "Spontandemo mit Vandalismus" etwa ließen sich die Einsatzkräfte über eine Virtual-Reality-Brille schon vorab optimal positionieren, damit das Gelände "lückenlos überwacht werden kann". Im Schwarm fliegende Drohnen machten dann gewisse Handlungen in Echtzeit aus, sodass ein Randalierer an einer "einsatzgünstigen Örtlichkeit" festgenommen werden könne.

Für Frankfurt habe das Unternehmen ein solches "Reinteleportieren" schon vorexerziert, für die Bundeswehr mache man auch eine Überwachung von Gefechtsfeldern zur Erkennung aller Feindbewegung, erläuterte Wilmsmann. Dieser Ansatz lasse sich "1:1 auf die Polizei übertragen", etwa für Volksfeste. In dem gewählten Beispiel werde die Vernehmung des Verhafteten dann gerichtsverwertbar automatisch protokolliert und übersetzt. Der Richter könne später direkt an eine Stelle navigieren und den O-Ton hören.

Nach Feierabend genieße der Polizist ein Bier "in der automatisiert überwachten Zone mit Bewegungs- und Tonanalysen", spann der Big-Data-Experte das Szenario weiter. Fußstreifen würden dort per Predictive Policing so positioniert, dass es nicht zu Gewalt komme. Atos praktiziere dies in Holland bereits in einem Feierviertel, das mit St. Pauli in Hamburg vergleichbar sei.

Der Ermittlungsdruck sei hoch etwa bei Hass im Netz und beim Austausch kinderpornografischer Darstellungen, bestätigte der Präsident der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis), Wilfried Karl. Es liege daher nahe, lernende System etwa zur Erstsichtung digitaler Asservate einzusetzen. Algorithmen dürfe man dabei aber nicht blind vertrauen, die Anwender müssten die Grundrechte der Bürger im Blick behalten.

Zudem gelte es, die "digitale Souveränität der Sicherheitsbehörden" zu erhalten, betonte Karl. Bei den auf dem Markt verfügbaren KI-Lösungen handle es sich aber oft um Nischenprodukte von weltweit nur wenigen Herstellern. Er wandte sich daher gegen eine Überregulierung, um den Bedarf im Sicherheitsbereich weiter decken zu können. Wichtig sei es aber, die eingesetzten Verfahren und Trainingsdaten zu kennen und die Risiken managen zu können. Martin Thüne von der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung bezeichnete eine "frühzeitige Auseinandersetzung mit Fragen von Datenschutz, Grundrechten, Ethik und dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung" als entscheidend.

"Wir werden mit Beweismitteln zugeschüttet", berichtete Carsten Gußmann von der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) der Justiz NRW. Die Einheit werte so Texte, Audio, Bilder und Videos zunehmend automatisiert mit KI aus. "Wir sind angefixt", gab er zu. Die Technik habe Potenzial, sei aber noch nicht im Alltag angekommen. So habe man etwa mit Microsoft die Lösung AIRA getestet. Die Beschaffung dauere aber noch, die Ausschreibung laufe. Ermöglicht würden gerade bei der Suche nach Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch ein "grundrechtsschonender Eingriff", da die Mitarbeiter entlastet würden. Künftig könnte die Technik etwa auch zum Ausmachen strafrechtlich relevanter Kommentare nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder zum Auswerten von Chats verwendet werden.

Gute Erfahrungen hat die ZAC Gußmann zufolge auch mit der KI-Software Leap der Wiener Firma T3K-Forensics gemacht: Nach der damit durchgeführten Analyse eines Handy-Images inklusiver vieler Rohdaten "konnten wir innerhalb von Stunden zum Ermittlungsrichter laufen". Man liefere auf die Strafverfolgung fokussierte Berichte über digitale Beweismittel, freute sich T3K-Operationsleiterin Martina Tschapka über das Lob. Daten könnten etwa von Smartphones über "verschiedene Extraktionsgeräte" wie Celebrite, Oxygen, MSAB, Grayshift und Mobiledit ausgelesen werden. Diese würden dann mit Schwerpunkten auf Missbrauchsmaterial sowie Extremismus und Terrorismus über relevante Bildausschnitte und Videoframes ausgewertet. Dabei sei auch eine semantische Analyse zum Erkennen von Ähnlichkeiten von Text zu Bild sowie Bild zu Bild möglich. Alle Produkte seien in der Cloud verfügbar.

Die Polizei sollte biometrische Daten aus der Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten etwa zur Gesichtserkennung nutzen dürfen, warb Michael Brand von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für eine neue Befugnis. Marcel Emmerich von den Grünen machte hinter solche Methoden aber ein "großes Fragezeichen" nicht nur beim Mehrwert. Er gab zu bedenken: Damit würde auch eine "ständige Identifizierbarkeit im öffentlichen Raum" ermöglicht.

"Wir wollen die Arbeit der Einsatzbehörden vor Ort stärken", betonte FDP-Innenexperte Manuel Höferlin. Diese solle aber "rechtsstaatlich sicher durchgeführt werden können". Die Ampel-Koalition wolle daher zunächst Transparenz schaffen über die bereits bestehende Vielzahl von Befugnissen mit der geplanten Überwachungsgesamtrechnung.

Als datenschutzfreundlichen Ansatz zur Videoanalyse brachte Dominik Lawatsch von Secunet eine Software des Berliner Startups Brighter AI ins Spiel. Diese schaffe eine "natürlich aussehende Anonymisierung von Personen" und Kfz-Kennzeichen. Dafür werde etwa ein Gesicht durch eine ähnlich aussehende, automatisiert aber nicht mehr als zusammengehörig erkennbare künstlich erzeugte Maske ausgetauscht. So könne der situative Informationsreichtum von Kameraaufnahmen grundrechtsschonend weiterhin ausgewertet und etwa ungewöhnliches Verhalten ausfindig gemacht werden.

(mho)