Predator: Griechische Regierung soll jeden Zweifel an Spyware-Einsatz beseitigen
Mitglieder des Pegasus-Untersuchungsausschusses sehen viele Spuren, wonach die griechische Regierung in den dortigen Spionageskandal verstrickt sein könnte.
Nach einem viertägigen Aufenthalt von zehn Mitgliedern des Untersuchungsausschusses des EU-Parlaments über den Einsatz von Pegasus und vergleichbarer Spionagesoftware in Zypern und Griechenland zog Sophie in 't Veld am Freitag in Athen ein ernüchterndes Fazit: "Wir werden die Wahrheit nicht herausfinden, solange die Behörden nicht bereit sind, wichtige Informationen mit uns zu teilen."
"Griechisches Watergate"
Doch auch wenn nicht alle Teile des Puzzles vorlägen, spricht für die EU-Abgeordnete vieles dafür, dass die konservative Regierung von Premierminister Kyriakos Mitsotakis in den mittlerweile als "griechisches Watergate" bekannt gewordenen Spionageskandal tief verstrickt ist.
Säße sie auf dem Stuhl von Mitsotakis, wäre sie bestrebt, "jeden Hauch eines Zweifels" am rechtskonformen Handeln der Regierung der Partei "Neue Demokratie" zu beseitigen, betonte in 't Veld. "Es geht um Vertrauen." Der Regierungschef sitze schließlich auch im EU-Rat und präge so die Gesetzgebung für die ganze Gemeinschaft mit. Es blieben viele Fragezeichen hinter der offiziellen Linie der Athener Führung.
Rücktritte nach Überwachungsaffäre
Die handfeste Überwachungsaffäre begann im Sommer, als der Vorsitzende der Oppositionspartei Pasok, Nikos Androulakis, die mit Pegasus vergleichbare Spyware Predator der Herstellerfirma Intellexa auf seinem Smartphone entdeckte. Im August räumte die Regierung ein, dass bei Androulakis eine klassische Telekommunikationsüberwachung durchgeführt worden sei. Es habe sich aber um eine legale Abhöraktion gehandelt, nicht um einen Einsatz von Spähsoftware, der in Griechenland rechtswidrig gewesen wäre.
Seitdem fand aber eine immer größer werdende Gruppe von Politikern und Journalisten heraus, dass auf ihren Mobiltelefonen offenbar Predator installiert wurde. Erst vorige Woche machte etwa der Investigativ-Report Tasos Telloglou seine persönlichen Erfahrungen mit der "dystopischen" Überwachung durch die Spionagesoftware und Bespitzelung vor Ort öffentlich. Der Stabschef und Neffe von Mitsotakis, Grigoris Dimitriadis, sowie der griechische Geheimdienstchef traten inzwischen von ihren Posten zurück.
Beweisvernichtung trotz möglicher Straftat?
Es gebe eigentlich nur zwei Szenarien, stellte in 't Veld jetzt nach Gesprächen etwa mit dem griechischen Staatsminister George Gerapetritis klar. Entweder habe Intellexa selbst die Trojaner auf die Handys gespielt oder es seien Akteure aus dem Regierungsumfeld gewesen. Für letzteres spreche, dass vier der Opfer etwa aufgrund ihrer kritischen Berichterstattung und Politiklinie eine Bedrohung für die Exekutive dargestellt hätten und es mit dem prinzipiellen Zugriff auf die Spyware eine gute Gelegenheit für die Regierungspartei gegeben habe.
Bei der bereits erfolgten Untersuchung der Vorfälle durch das griechische Parlament seien Schlüsselfiguren nicht gehört worden, beklagte die Liberale. Diese wichtigen Zeugen "haben auch uns nicht Rede und Antwort gestanden". Die griechischen Kollegen und Behörden hätten zudem nur einmal einen "Höflichkeitsbesuch" bei der Niederlassung von Intellexa durchgeführt: es seien keine Server beschlagnahmt worden, Firmentöchter außen vor geblieben. Viele Beweise dürften so vernichtet worden sein, obwohl die Überwachung mit Spyware eine Straftat darstelle.
"Es gibt hier nichts zu sehen"
Auch die griechische Umsetzung der Vorgaben zur rechtlich zulässigen Telekommunikationsüberwachung kritisierte in 't Veld. So sei bis vor Kurzem ein Staatsanwalt für 60 Überwachungsanträge pro Tag ohne Kenntnis der Betroffenen zuständig gewesen. Damit sei die erforderliche effektive Kontrolle nicht durchführbar. Der Verweis auf die nationale Sicherheit etwa beim Abhören von Oppositionsvertretern wirke zudem vorgeschoben: mit dem Argument solle der Eindruck erweckt werden, dass alles legal sei und es sonst nichts zu sehen gäbe.
Der Vorsitzende des Pegasus-Ausschusses, Jeroen Lenaers, wunderte sich, dass die griechischen Abgeordneten nur wenig Fakten herausgefunden hätten und selbst diese unter Verweis auf den Datenschutz unter Verschluss hielten. Die einzelnen Parteien hätten zudem nur eigene Berichte verfasst, es gebe keinen gemeinsamen Beschluss. Minister Gerapetritis habe zwar alle an ihn gerichteten Fragen beantwortet, aber "nicht immer zu unserer vollen Zufriedenheit". Auf jeden Fall habe er erneut den Kauf oder Einsatz von Predator durch griechische Behörden verneint. Ein Treffen mit Vertretern von Intellexa sei trotz wiederholter Anfragen nicht zustande gekommen.
Machtmissbrauch
Mit Ungarn und Polen wollte der niederländische Konservative die griechische Situation nicht vergleichen. In beiden Ländern hätten die Regierungen eingeräumt, Pegasus verwendet zu haben. Dies sei aber im Interesse der inneren Sicherheit nötig gewesen. Lenaers hielt dem entgegen: Der Ausschuss könne sich nicht vorstellen, dass dieses Instrument "gegen so viele Leute eingesetzt werden muss für diesen Zweck". Er gehe deswegen von einem Machtmissbrauch aus. Zudem existiere in Ungarn und Polen überhaupt kein Kontrollsystem in diesem Bereich.
Das griechische Parlament erklärt in einer heise online vorliegenden schriftlichen Antwort auf Fragen des Pegasus-Ausschusses, dass die Vermarktung oder der Verkauf von Spyware national nicht geregelt sei. Das Strafgesetzbuch verbiete jedoch "den Eingriff in Geräte, Verbindungen oder Netzwerke oder in ein Hardware- oder Softwaresystem, die für die Bereitstellung von Telefondiensten verwendet werden, sowie den Zugriff auf ein elektronisches System oder elektronische Daten unter Verletzung einer Schutzmaßnahme oder ohne Recht". Folglich gebe es auch keine Vorschriften zum Umgang mit Zero-Day-Schwachstellen, "aber ihre Nutzung ist illegal".
"Ohrenbetäubendes" Schweigen
Gerapetritis kündigte laut Lenaers gegenüber den Ausschussmitgliedern an, die Regierung wolle Mitte November einen Gesetzentwurf vorlegen, um ein umfassenderes Verbot für den Vertrieb oder den Einsatz von Spionagesoftware zu etablieren. Der EU-Parlamentarier lobte dieses Ansinnen als wichtigen Schritt, um auch mehr andere Regierungen im Ministerrat dazu zu bringen, einschlägige Maßnahmen ernster zu nehmen.
Pavol Szalai, Leiter der EU-Abteilung bei Reporter ohne Grenzen, moniert, das Schweigen der griechischen Behörden zu den neuen Fällen bespitzelter Journalisten sei "ohrenbetäubend". Die Regierung in Athen müsse dringend die Gründe für die angebliche staatliche Überwachung von Telloglou und seinen Kollegen, die zu "Predatorgate" recherchieren, "erläutern und konkrete Maßnahmen für einen besseren Schutz vor willkürlicher Spionage ankündigen". Die zivilgesellschaftliche Organisation hat Empfehlungen veröffentlicht, um Lücken im Rechtssystem wie das Fehlen einer richterlichen Kontrolle und spezifischer Schutzmaßnahmen für Journalisten zu schließen.
(bme)