Professionalisierung der IT-Branche: Verdrängen Fachkräfte die Quereinsteiger?
Ausgebildete und studierte Experten ersetzen zunehmend Quereinsteiger in der IT-Branche. Der Trend intensiviert sich sogar, meint der Bechtle-Personalchef.
Anfang der 2000er-Jahre prognostizierte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB eine Professionalisierung der Tätigkeiten in der IT-Branche. Damit einhergehen sollte eine Verschlechterung für Quereinsteiger ohne einschlägigen Hochschul- oder Berufsabschluss. Das IAB ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Vor fünf Jahren stand für den Hightech-Verband Bitkom fest: "Quereinsteiger haben in der IT nur noch geringe Chancen – 2020 werden drei von vier IT-Experten eine fachspezifische Ausbildung haben." Der Grund dafür sei die zunehmende Komplexität der Systeme, die grundlegendes Fachwissen voraussetzen.
2015 lag laut Bitkom der Anteil der Quereinsteiger in der Branche bei einem Viertel, in diesem Jahr sollte er nach dessen Prognosen nur noch 11 Prozent betragen. Ist eingetreten, was vorhergesagt wurde? Haben gelernte und studierte Fachkräfte Hobby-Informatiker aus der Branche gedrängt?
Darüber haben wir mit Gerhard Marz, 64, gesprochen. Er ist Personalleiter bei Bechtle, dem nach eigenen Angaben größten IT-Systemhaus in Deutschland mit etwa 11.800 Mitarbeitern und daher großem Erfahrungsschatz. Marz ist Ingenieur der Systemtechnik und seit fast 25 Jahren im Unternehmen. Er war Geschäftsführer im Bechtle IT-Systemhaus Mannheim, seit 2004 ist er Bereichsvorstand, seit 2018 leitet er zusätzlich die Abteilung Human Resources.
heise online: Hat sich der Arbeitsmarkt in der IT-Branche im Laufe der Jahre professionalisiert wie prognostiziert?
Marz: Ja, das ist mit Sicherheit geschehen, denn das Geschäft in der IT hat sich im Laufe der letzten 20 Jahre grundlegend gewandelt. Was um den Wechsel in die 2000er Jahre von Mitarbeitern vor Ort erledigt wurde, wird heute von hochspezialisierten Menschen remote und ortsunabhängig gemacht.
Was ist aus den Quereinsteigern in der Branche geworden, wurden die von gelernten und studierten Fachleuten verdrängt?
Diese Frage kann ich nur wenig fundiert beantworten, weil wir statistisch nicht erfassen, ob jemand Quereinsteiger ist oder nicht. Für uns ist das auch nicht ausschlaggebend. Entscheidend ist, ob jemand sich in der Praxis bewiesen hat. Wenn das der Fall ist, spielt die Fachrichtung der Ausbildung oder des Studiums keine große Rolle, ob wir den Kandidaten einstellen oder nicht. Wer sich als fachfremder Quereinsteiger in der IT bewährt hat, der hat eine extrem hohe Motivation für seine Arbeit und höchstwahrscheinlich die Bereitschaft, sich in neue Themen einzuarbeiten. Dafür haben wir viele Beispiele im Unternehmen, von denen wir sagen können: Das sind heute fachlich gute Leute!
15 Prozent Quereinsteiger
Wie viele Mitarbeiter hat Bechtle im vergangenen Jahr eingestellt und wie war da die Verteilung gelernt und studiert zu Quereinsteigern?
Im letzten Jahr haben wir 2.500 neue Mitarbeiter eingestellt, geschätzte 15 Prozent waren Quereinsteiger.
Hätte Bechtle mehr Mitarbeiter eingestellt, wenn es genügend gegeben hätte?
Ja, auf jeden Fall. 500 bis 1.000 mehr ist eine durchaus realistische Größe. Wir haben aktuell knapp 800 Stellen ausgeschrieben.
Wird vielleicht zu sehr nach Berufen gesucht und weniger nach praktischen Tätigkeiten? Dann hätten Quereinsteiger eventuell bessere Chancen auf einen Job in der IT und der Personalmangel wäre nicht so groß
Nein, so einfach ist es leider nicht. Wir haben verschiedene Wege mit externen Partnern ausprobiert, akademisch ausgebildete Menschen oder auch Fachfremde in IT-Berufe umzuschulen. Aber auch auf diesem Weg bekommen wir nicht die Menge an geeigneten neuen Mitarbeitern, die wir uns wünschen.
Chancenlose Hobbyisten
Aus welchen Berufen stammen die Quereinsteiger bei Bechtle?
Das sind im wesentlichen Menschen, die eine technische Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen haben, etwa in Chemie, Elektrotechnik oder Maschinenbau.
Diejenigen, die sagen, sie hätten schon in ihrer Schulzeit mit großem Spaß am Computer herumgeschraubt und wollen nun ihr Hobby zum Beruf machen, sind eher chancenlos?
Das sind zwei unterschiedliche Welten. Die digitale Spielewelt, in der man einen Computer zerlegt, aufrüstet und wieder zusammenbaut, hat nicht viel mit der professionellen IT-Welt zu tun. Ein PC ist heutzutage nur noch ein klitzekleiner Bestandteil einer komplexen IT-Architektur.
"Professionalisierung wird sich weiter intensivieren"
Haben Fachfremde dieselben Aufstiegschancen wie Fachpersonal?
Ohne Fachwissen geht es nicht, aber das können wir über gezielte Weiterbildungsmaßnahmen aufbauen, was wir übrigens intensiv tun. Grundsätzlich hat jeder dieselben Karrierechancen, unabhängig von seiner Ausbildung. So wichtig wie eine gute Ausbildung sind uns Haltung und Motivation der Bewerber. Wer bereits technisch geschult ist, bei dem geht es nur eventuell schneller voran.
IT-Lösungen werden zunehmend komplexer, weil immer mehr digitalisiert, vernetzt und mobil wird. Muss sich daher der Trend zur Professionalisierung der Tätigkeiten in der IT fortsetzten?
Ja, die Professionalisierung wird sich weiter intensivieren. Vor allem im technischen Bereich wird das zu 100 Prozent passieren, also etwa bei Softwareentwicklern und IT-Architekten. Aber auch im Vertrieb von IT-Lösungen wird sich der Trend fortsetzen, weil Produkte und Dienstleistungen erklärungsbedürftiger werden. In administrativen Tätigkeiten ist spezielles IT-Wissen in der Breite meist nicht notwendig, aber wir sehen auch hier Bereiche, in denen es wichtig wird, etwa für Abrechnungsmodalitäten im Cloud Computing.
Steigt die Konkurrenz um IT-Profis mit der Digitalisierung, weil nun fast alle Branchen und nicht nur die IT-Branche IT-Fachleute sucht?
Ja, das ist so. Innerhalb der IT-Branche spüren wir eindeutig einen steigenden Wettbewerb und nicht nur wir, sonst gäbe es den sich weiter verschärfenden Fachkräftemangel bei IT-Experten nicht.
(axk)