Quebec: Jahrelang Polizeispionage gegen Journalisten

Der Polizeiskandal in Quebec weitet sich aus: Überwachung von Journalisten, gegen die nichts vorliegt, ist kein Einzelfall. Auf nationaler Ebene würden "gegenwärtig" keine Journalisten observiert, sagt Premierminister Trudeau.

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Parlamentsgebäude

Das Gebäude des Provinzparlaments in Quebec City

(Bild: dszpiro CC-BY 2.0)

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Inhaltsverzeichnis

Der Skandal in Quebec um Polizeispionage gegen Journalisten weitet sich aus. Die Polizei Montreals, der größten Stadt Quebecs, hat nicht nur einmal einen einzelnen Journalisten überwacht, um dessen Quellen zu finden. Und die Provinzpolizei SQ musste gleich sechs Fälle zugeben. Bei Ihrer Jagd nach Whistleblowern hat sich die SQ gleich die Rufdaten von Journalistentelefonen über fünf Jahre besorgt. Der öffentliche Zorn ist so groß, dass die Provinzregierung nun doch einen Untersuchungsausschuss einsetzen muss.

Blick vom Mont Royal auf Montreals Zentrum

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

SPVM, die Stadtpolizei Montreals, hat von Jänner bis Juli das Handy des Journalisten Patrick Lagacé überwacht, obwohl er nie einer Straftat verdächtigt wurde. Lagacé hatte mehrmals Polizeiinterna veröffentlicht, sehr zum Ärger von Polizei und Stadtverwaltung. Die Ermittler hatten sogar eine Genehmigung zur Fernsteuerung der GPS-Funktion Lagacés Handys, um seine Bewegungen überwachen zu können.

Was von der Polizei zunächst als Einzelfall dargestellt wurde, ist keiner. Die SPVM hat inzwischen zugegeben, im Dezember 2014 einen weiteren unschuldigen Journalisten überwacht zu haben. Der Name des Opfers wurde nicht genannt. Die Radiojournalistin Monic Néron berichtet von Informationen, wonach die SPVM auch die Telefone von Polizisten überwache, um Whistleblower aufzuspüren. Viele Journalisten fürchten, ohne richterliche Genehmigung ausspioniert zu werden.

Logo der Provinzpolizei

Die Provinzpolizei SQ gibt an, bislang sechs Fälle gefunden zu haben, in denen sie 2013 Rufdaten von Journalistentelefonen ausgehoben hat, um undichte Stellen in den eigenen Reihen zu finden. Bei Isabelle Richter und Alain Gravel (beide Radio Canada) waren es Daten aus fünf Jahren, bei Éric Thibault (Journal de Montréal) aus viereinhalb Jahren, bei Denis Lessard (La Presse) aus sieben Monaten, bei André Cédilot (damals La Presse) aus 15 Monaten.

Während die SPVM auf Echtzeit-Übermittlung aller Telefonnummern gesetzt hat und Zugriff auf die GPS-Daten hatte, will die SQ "nur" rückwirkend Einzelgesprächsnachweise ausgewertet haben. Sie forscht intern nach weiteren Fällen zurück bis 1995. Ab sofort sollen SQ-Ermittler die Zustimmung des Justizministeriums einholen, bevor sie einen Journalisten überwachen lassen.

"Ich erinnere mich" lautet das Motto der Provinz Quebec (hier auf dem Wappen)

Zunächst mauerte die Provinzregierung gegen die zahlreichen Rufe nach strengeren Regeln und einem Untersuchungsausschuss. Es gäbe nichts zu untersuchen. Der zuständige Minister erhob die Polizei sogar zu einer Art vierten unabhängigen Staatsmacht neben sonstiger Verwaltung, Gesetzgebung und Rechtsprechung, in deren Arbeit er sich nicht einmischen werde. Dann wurden doch verschiedene interne Untersuchungen angekündigt.

Nachdem aber die weiteren Fälle bekannt geworden waren und sogar die SQ selbst um eine externe Untersuchung gebeten hatte, musste die Regierung nachgeben. Es soll eine Untersuchungskommission aus einem Richter, einem Polizeivertreter und einem Medienvertreter gebildet werden, vor der Zeugen aussagepflichtig sind. Das Gremium soll Fakten erheben und Vorschläge unterbreiten. Wann die Untersuchung beginnen kann, ist offen.

Derweil wird in Quebec fleißig mit Fingern gezeigt. Der SQ-Chef sieht die Verantwortung bei seinem Amtsvorgänger. Der Provinzminister für öffentliche Sicherheit Martin Coiteux (Liberale) verweist auf den 2013 amtierenden Stéphane Bergeron der separatistischen Parti Québécois. Dieser ist nun von der Position als Sicherheitssprecher seiner Partei zurückgetreten. Es ist der bisher einzige Rücktritt in dem Skandal; der Chef der Montrealer Polizei hält bislang an seinem Posten fest.

Auch jene niederrangigen Richter, die Durchsuchungs- und Überwachungsbefehle ausstellen, sind in die Kritik geraten. Offen wird darüber diskutiert, ob sie das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen wirklich ordentlich prüfen, und ob sie wirklich unabhängig sind: In Quebec sind fast alle dieser Richter ehemalige Verwaltungsbeamte.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau

(Bild: Presidencia de la Republica Mexicana CC-BY 2.0)

Der Skandal in der Provinz Quebec ist auch auf nationaler Ebene ein großes Thema. Premierminister Justin Trudeau betonte die Bedeutung der Pressefreiheit. Er versicherte den Kanadiern, dass weder die Bundespolizei RCMP noch der Geheimdienst CSIS "gegenwärtig" Journalisten überwachten. Ob es das in den letzten Jahren gegeben hat, will die Regierung aber offenbar gar nicht wissen.

Bekannt ist, dass die Bundespolizei RCMP 2007 rechtswidrig zwei La-Presse-Journalisten beschattet hat, um deren Quellen aufzustöbern. 2004 wurde die Wohnung der Journalistin Juliet O'Neill des Ottawa Citizen gestürmt und gefilzt, um einen Informanten zu finden. Dieser Durchsuchungsbefehl beruhte auf einer verfassungswidrigen Norm. (ds)