Quiet Quitting​: Ende der Überstunden?​

Jeder dritte deutsche Angestellte ist ein Quiet Quitter. Macht nicht mehr, als sein muss, und Dienst nach Vorschrift.

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(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
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Homer Simpson gibt seine Faulheit an seine Kinder weiter. Schon in den 1990er-Jahren sagte der Vater zu seiner Tochter: "Lisa, wenn du deinen Job nicht magst, streikst du nicht. Du gehst einfach jeden Tag hin und machst ihn nur halbherzig." Heute gibt es einen neuen Begriff für diese Homersche Einstellung in der US-amerikanischen Zeichentrickserie "Die Simpsons": Quiet Quitting.

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Ausgelöst hat den Social-Media-Hype der Amerikaner Zaid Kahn. Er definiert Quiet Quitting so: "Du kündigst nicht deinen Job, arbeitest aber nicht mehr, als dein Vertrag vorsieht." ‚Quiet Quitting‘ heißt wörtlich übersetzt ‚stilles Verlassen‘. Mit etwas Phantasie lässt sich daraus ‚innere Kündigung‘ machen. Doch beides trifft nicht zu. Quiet Quitter mögen durchaus ihren Job, sie sind aber nicht bereit für darüberhinausgehende Arbeit.

Quiet Quittern ist nichts Unehrenhaftes vorzuwerfen, sie halten sich einfach nur an den Vertrag. Sie arbeiten so viel, wie er es vorsieht. In der Freizeit werden keine Arbeitsmails mehr gelesen, unbezahlte Überstunden werden abgelehnt. Es ist gut möglich, dass Quiet Quitter von der aktuellen Arbeitsmarktsituation profitieren. Allerorten herrscht Arbeitskräftemangel. Viele Firmen sind froh, wenn sie überhaupt noch Personal haben und neues finden. Da nehmen viele Arbeitgeber lieber Dienst nach Vorschrift in Kauf, als dass sie ihren Kunden keine Dienste mehr anbieten können.

Überstunden gehören für viele Beschäftigte in Deutschland zum Arbeitsalltag. Durchschnittlich 4,5 Millionen Menschen haben 2021 mehr gearbeitet, als sie laut Vertrag mussten. Das entspricht einem Anteil von 12 Prozent der insgesamt 37,8 Millionen Arbeitnehmenden, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Für die meisten war der Umfang der Mehrarbeit auf wenige Stunden pro Woche begrenzt. Rund ein Drittel gab an, weniger als fünf Überstunden geleistet zu haben, bei 59 Prozent waren es weniger als zehn Stunden. Allerdings leisteten 29 Prozent der Betroffenen mindestens 15 Stunden Mehrarbeit pro Woche. Mehrarbeit wird mehrheitlich in Form von bezahlten und unbezahlten Überstunden geleistet oder sie fließt auf ein Arbeitszeitkonto, über das sie später wieder etwa in Form von Gleittagen ausgeglichen werden kann. Von den Personen, die 2021 mehr gearbeitet hatten als vertraglich vereinbart, leistete immerhin knapp ein Viertel (22 Prozent) unbezahlte Mehrarbeit. Quiet Quitter sind höchstwahrscheinlich nicht darunter.

Von dieser Personengruppe gibt es gar nicht so wenige. Nur vier Prozent der deutschen Arbeitnehmenden planen derzeit, ihren Arbeitgeber zu verlassen. Aber 34 Prozent geben zu, nur noch das Notwendige im Job zu tun. Zu diesen Ergebnissen kommt der US-amerikanische Anbieter von Cloud-Dienste-Anbieter RingCentral in einer Studie. In der wurde untersucht, wie zufrieden deutsche Arbeitnehmende mit ihrem Arbeitsverhältnis sind und wie es aktuell um ihre Motivation steht. Dazu wurden 1.001 Beschäftigte im Alter zwischen 21 und 65 Jahren online befragt.

Auffällig ist, dass Quiet Quitting insbesondere bei der jüngeren Altersgruppe weit verbreitet ist: Fast die Hälfte der 21- bis 34-Jährigen bezeichnen sich selbst als Quiet Quitter. Mit steigendem Alter nimmt das Phänomen ab. Bei den 55- bis 65-Jährigen ordnen sich nur noch 18 Prozent diesem Trend zu. Quiet Quitting ist zum einen das Resultat aus einem gesellschaftlichen Wandel, der persönliche Erfüllung mehr im Privaten als im Beruflichen sieht. Zum anderen scheint das Phänomen auch Ausdruck einer gewissen Unzufriedenheit am Arbeitsplatz zu sein, mutmaßen die Studienautoren. Die Befragung zeigt nämlich, dass nur jeder zweite Mitarbeitende in Deutschland wirklich zufrieden mit seinem Arbeitsverhältnis ist.

Quiet Quitting ist ein Begriff, der zwar nicht aus der Forschung stammt, nach Meinung des Wirtschaftspsychologen Uwe Kanning an der Hochschule Osnabrück aber viele Berührungspunkte zu Konzepten der Wirtschaftspsychologie aufweist. "Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie im Kern um eine Frage kreisen: Wie stark identifizieren sich Beschäftigte mit ihren beruflichen Aufgaben und engagieren sich für ihren Arbeitgeber?" Für ihn liegt das Konzept des Quiet Quitting zwischen einer stark emotionalen Verbundenheit mit dem Arbeitgebenden auf der einen Seite und dem kühl kalkulierten Eigennutz der Beschäftigten auf der anderen. "Sie setzen ihrem Arbeitgeber klare Grenzen an der Schnittstelle zwischen beruflichem und privatem Leben", sagt Kanning.

Über die möglichen Ursachen von Quiet Quitting lässt sich nach Meinung des Wirtschaftspsychologen nur mutmaßen. "Wenn immer mehr gefordert wird, ohne etwas dafür zu geben, wenn unbezahlte Mehrarbeit nicht die Ausnahme, sondern zu einer Selbstverständlichkeit wird, kann Quiet Quitting als eine Art Rettungsanker dienen." Bevor die Betroffenen jedoch ernsthaft eine Kündigung erwägen, zeigen sie ihrem Arbeitergeber die Rote Karte in Form von Dienst nach Vorschrift. Andere reagieren so bei aufgezwungenem Duzen, geheuchelten Unternehmenswerten und dem Wunsch der Arbeitgebenden, dass ihre Beschäftigten möglichst viel Freizeit im Fitnessraum der Firma oder bei After-Work-Partys verbringen. "Dies ruft Gegenwehr hervor", sagt Kanning. Je mehr Druck ausgeübt werde, desto stärker falle der Widerstand aus. Wieder andere befinden sich in einer veränderten Lebenssituation: sie wurden Eltern oder setzen sich nach schwerer Krankheit neue Lebensziele.

Kanning hält es auf keinen Fall für klug, "Quiet Quitting entweder als Ausdruck einer zunehmend faulen Belegschaft zu verteufeln oder es als Ideologie freiheitsliebender Menschen abzuwerten". Die erste Perspektive ignoriere die sehr unterschiedlichen Beweggründe der Betroffenen. Die Zweite verkenne vollkommen, dass für Millionen von Menschen Work und Life gar nicht fundamental in einem Widerspruch zueinanderstehen.

Wahrscheinlich liege genau hier der Schlüssel. "Menschen sind sehr unterschiedlich und es kommt darauf an, so weit wie möglich dem Individuum gerecht zu werden", sagt Kanning. Wenn das richtig in der Personalarbeit umgesetzt würde, könne die Diskussion über Quiet Quitting zu zufriedeneren Mitarbeitenden führen.

(axk)