RWE mit dem Rücken zur Wand

RWE und Milliardenverluste – selbst Fachleute reiben sich die Augen. Der Essener Versorger hat einen historischen Absturz erlebt – teils durch eigene Fehler, teils durch Konjunkturtief und Energiewende.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 248 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Rolf Schraa
  • Nadine Murphy
  • dpa

Teure Kraftwerke mit roten Zahlen, ein gewaltiger Schuldenberg und Nettoverluste von fast drei Milliarden Euro – RWE hat am Dienstag eine tiefrote Bilanz präsentiert, wie sie das Unternehmen seit der Nachkriegszeit nicht gesehen hat. Der lange erfolgsverwöhnte Versorger aus dem Ruhrgebiet hat spät auf die Energiewende reagiert, wie Firmenchef Peter Terium am Dienstag sogar selbst einräumte. Jetzt sitzt der Konzern auf Investitionen von 12 Milliarden Euro für moderne Gas- und Kohlekraftwerke, die der Markt aber nicht mehr haben will, weil Wind- und Sonnenstrom im Energienetz Vorfahrt haben.

Muss den ersten Nettoverlust seit 60 Jahren präsentieren: RWE-Chef Peter Terium.

(Bild: RWE)

Im niederländischen Claus steht zum Beispiel ein fabrikneues Gas- und Dampfkraftwerk: Dass die RWE-Anlage zu den modernsten der Welt zählt und vergleichsweise umweltfreundlich die gewaltige Menge von 1,3 Gigawatt Strom erzeugt – es kümmert keinen. Nicht rentabel. RWE muss das Kraftwerk einmotten. Damit liegen Investitionen von rund einer Milliarde Euro brach. Ein betriebswirtschaftlicher Alptraum. Gewinne aus dem neuen dezentralen Geschäft mit Service-Dienstleistungen als "Energie-Manager" können solche Einbußen auch nicht annähernd ersetzen, wie Terium vorrechnete.

RWE steht mit dem Rücken zur Wand. Dass dies für große Teile der Branche gilt, kann die Essener nicht trösten. Denn der Versorger mit seinem traditionell hohen Anteil an kommunalen Eignern hat die Untergrenze bei der Dividende mit der geplanten Halbierung auf einen Euro schon ausgetestet. Noch weniger würde einen Aufstand der Aktionäre bringen. Er kenne die finanziellen Sorgen der Städte und Gemeinden, sagte Terium am Dienstag. "Das sind Kommunen, denen an allen Ecken und Enden zum Beispiel das Geld für Kindergärten fehlt." Und das Ausweichen in wachstumsintensivere Schwellenländer wie beim Konkurrenten Eon fällt den Essenern schwerer. Der RWE-Schwerpunkt liegt klar in Europa.

Der branchenweite Ruf nach der Politik, den die Energieunternehmen schon seit Monaten über ihre Verbände BDEW und VKU erheben, wird vor diesem Hintergrund lauter. "Es muss sofort gehandelt werden! Und nicht erst in ein paar Jahren. Dann ist es definitiv zu spät", sagte Terium am Dienstag. Es drohe eine "gewaltige Wertvernichtung im Kraftwerkspark".

Terium dürfte damit seinen Kollegen von Eon und EnBW aus der Seele sprechen, die in den nächsten Tagen ebenfalls ihre Zahlen vorstellen. Eon mit seinen zahlreichen Gaskraftwerken ist besonders stark vom Börsenstrompreiseinbruch betroffen. EnBW war auf Kernkraft ausgerichtet und sucht jetzt mühsam den Weg zum Grünen Konzern. Und auch viele Stadtwerke, die sich Anteile an den vermeintlich lukrativen Gas- und Kohlekraftwerken gesichert haben, müssen jetzt Millioneneinbußen hinnehmen.

Was Terium und die Branche dagegen vorschlagen, ist der sogenannte Kapazitätsmarkt: Geld für das Vorhalten von ansonsten wenig genutzten Kohle- und Gaskraftwerken, die immer dann anspringen, wenn Sonne und Wind nicht produzieren. Solche Kapazitäten sollen nach Meinung der Unternehmen frei und dezentral angeboten und im Wettbewerb gehandelt werden. Für Terium ist das wie Geld für die Feuerwehr. Die werde auch nicht nur für das Löschen, sondern für ihre Bereitschaft rund um die Uhr bezahlt.

Die Kosten für diese Feuerwehrleute sollen aber wieder die Stromverbraucher zahlen. Viele Verbraucherschützer und Teile der Wissenschaft lehnen die Pläne deshalb strikt ab. Drei Milliarden Euro könnten im Jahr für den Kapazitätsmarkt anfallen, kritisiert etwa die Energie-Expertin Claudia Kemfert vom deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. "Dies würde einen erheblichen und irreversiblen Eingriff in den Markt bedeuten", sagte sie bereits Ende November.

Auch der Chef des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, ist dagegen. Der niedrige Preis an der Strombörse sei eine Folge der bestehenden Überkapazitäten bei der Stromerzeugung. Wenn diese abgebaut sind, könnten sich an der Strombörse auch wieder höhere Preise bilden. "Wir brauchen daher im Moment keine Kapazitätsmärkte", sagte Mundt der dpa.

"Deutschland will die Energiewende und die Energiewende braucht RWE", sagte Terium bei der Pressekonferenz vollmundig. Das klingt nach PR, hat aber einen wahren Kern – schon wegen der Netze. Fast 350 000 Kilometer Stromnetz führt der Essener Versorger. Rund 300.000 Erzeuger grüner Energie wurden bisher daran angeschlossen. Sie und alle, die neu dazukommen, brauchen auch die Konzerne. Doch wie die Großen wieder auskömmlich arbeiten sollen – dafür fehlt bisher ein überzeugendes Geschäftsmodell. (axk)