"Rätselhaft": Galaxien im frühen Universum rotieren zu häufig im Uhrzeigersinn

Das Weltraumteleskop James Webb blickt im Universum so weit zurück wie kein anderes Instrument. Nun wurde in den Daten ein verblüffendes Rätsel entdeckt.

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Bild mit vielen Galaxien, einige sind farbig umrandet – deutlich mehr blau als rot

Galaxien im frühen Universum, die sich entgegengesetzt zur Milchstraße drehen (blau) und in der gleichen Richtung (rot)

(Bild: Kansas State University)

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Unter den besonders weit entfernten Galaxien, die das Weltraumteleskop James Webb (JWST) erkundet, dreht sich eine signifikante Mehrheit im Uhrzeigersinn um sich selbst, lediglich etwa ein Drittel dreht sich dagegen. Das ist unerwartet, eigentlich sollte sich die Zahl die Waage halten. Das erklärt ein Forscher von der Kansas State University, dem das ungeklärte Missverhältnis aufgefallen ist. Dabei benötige man dafür überhaupt keine speziellen Kenntnisse – wer sich die Bilder des Weltraumteleskops ansehe, könne das leicht erkennen. Für das Missverhältnis hat er zwei mögliche Erklärungen, eine mit Folgen für unser Verständnis vom Kosmos insgesamt, die andere mit ebenfalls weitreichenden Folgen. Ob eine den Fund erklärt, ist bislang nicht klar.

Die für die Analyse ausgewerteten Aufnahmen stammen aus dem JWST Advanced Deep Extragalaxtical Survey (JADES) mit insgesamt 263 extrem weit entfernten Galaxien, bei denen die Rotationsrichtung ermittelt werden kann. Die Erkenntnis, dass sich etwa zwei Drittel davon im Uhrzeigersinn drehen, gehöre zu den "einfachsten und zugleich rätselhaftesten Beobachtungen des tiefen Universums". Durchgeführt wurde die Studie mit Computerunterstützung. Wenn man die Rotationsrichtung auf dem Bild beispielsweise farbig markiert, fällt das Missverhältnis aber auch dem untrainierten Auge sofort auf, erklärt der Computerwissenschaftler Lior Shamir in dem Fachartikel in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.

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Eigentlich sollten die Galaxien in einem zufälligen und hinreichend großen Ausschnitt des Universums ungefähr so häufig in die eine Richtung um sich drehen wie in die andere. Wenn dies im frühen Universum wirklich nicht der Fall ist, könnte das daran liegen, dass "das Universum rotierend geboren wurde", meint Shamir. Das würde demnach zu Theorien passen, denen zufolge das gesamte Universum das Innere eines Schwarzen Lochs umfasst. Dieses Modell wird als "Kosmologie des Schwarzen Lochs" bezeichnet, erste Ansätze dazu sind etwa ein halbes Jahrhundert alt. Sollte das Universum beim Urknall tatsächlich rotiert sein, wären unsere Theorien zum Kosmos unvollständig und müssten überarbeitet werden, meint Shamir.

Der alternative Erklärungsansatz hätte nicht ganz so weitreichende Folgen, ohne Konsequenzen wäre es aber nicht, sollte er zutreffen. Der Forscher verweist darauf, dass die Erde ja selbst um die Milchstraße kreist. Wegen des Dopplereffekts sollte Licht von Galaxien, die sich in entgegengesetzter Richtung drehen, bei uns gemeinhin heller ankommen als das Licht des Rests. Wenn das den Fund erklärt, wäre dieser Effekt stärker als gedacht. Er könnte erklären, warum solche Galaxien in der Stichprobe so deutlich überrepräsentiert sind. In dem Fall müssten unsere Distanzmessungen für das frühe Universum rekalibriert werden, schreibt Shamir. Das hätte dann möglicherweise Folgen für das Rätsel der uneinheitlichen Hubble-Konstanten.

(mho)