Raspi-Experiment: heise online wird heute von einem 38-Euro-Computer bespielt
Der Raspberry Pi 2 soll nun ein vollwertiger Computer sein, sagt zumindest Raspi-Erfinder Eben Upton. Wir wollten wissen, ob das wirklich stimmt – und nutzen heute ausschließlich den 38-Euro-Rechner, um Inhalte für heise online freizugeben.
38,50 Euro hat das Platinchen gekostet, das gerade an meinem Bildschirm hängt: Der Raspberry Pi 2 ist der wohl günstigste "vollwertige PC", den man zurzeit kaufen kann. "Zwar konnte man den Raspberry Pi 1 auch schon als PC benutzen", wird Raspi-Mitgründer Eben Upton von The Register zitiert, "aber da hat man dann immer dazu gesagt 'Für ein 35-Pfund-Gerät ist das ein guter PC.'" Bei der neuen Version könne man auf die Einschränkung verzichten, so Upton.
Um zu klären, ob das wirklich stimmt, haben wir heute ein kleines Experiment gestartet. Als einer von zwei am heutigen Samstag für heise online zuständigen Redakteuren nutze ich heute ausschließlich einen Raspberry Pi 2. Auch diese Zeilen hier entstehen bereits am Raspi, unser CMS auf Interred-Basis funktioniert also schon einmal mit dem lüfterlosen Kleinstcomputer. Mit Browseranwendungen ist es allerdings nicht getan: Ich muss auch noch Fotos bearbeiten können und irgendwie Zugriff auf meine IMAP-Redaktionsmails bekommen.
Die Einrichtung war jedenfalls schon mal erfreulich einfach – die Installation von Raspbian mit Kernel 3.18 hat nicht einmal zehn Minuten gedauert. Dazu muss man vielleicht sagen: Ich habe noch nie vorher einen Raspberry Pi verwendet und mit Linux kenne ich mich bestenfalls rudimentär aus. Erstaunlich für einen Windows-User wie mich: Den Distributions-Installer Noobs musste ich lediglich aus der Installations-ZIP-Datei auf die MicroSD-Karte kopieren, schon bootete er. Irgendwelche Tools, um die Karte bootfähig zu machen, waren nicht notwendig.
Problemchen, Problemchen
Ich habe allerdings das Gefühl, dass die Probleme jetzt langsam beginnen: So hatte ich zuerst Schwierigkeiten, das für diesen Artikel vorgesehene Foto auf den Raspi zu bekommen: Mangels externem SD-Karten-Leser kann ich Spiegelreflexkamera schon mal vergessen. Also mache ich ein Handyfoto und schicke mir das Bild an meine GMX-Mail-Adresse. Doof nur: Der Webmailer schließt die Sitzung reproduzierbar nach wenigen Sekunden – "aus Sicherheitsgründen". Mit Gmail klappt es dann. Aber: Ich kann das Foto mit Bordmitteln nicht einmal rudimentär bearbeiten oder beschneiden, es ist nur ein Bildbetrachter vorinstalliert. Glücklicherweise hat meine Kollegin Liane Dubowy ebenfalls gerade Dienst – und die ist Linux-Expertin. Sie empfiehlt das einfache Foto-Bearbeitungsprogramm Gthumb:
Kurz die Konsole aufgemacht...
sudo apt-get install gthumb
...eingetippt, und schon ist das Teil installiert. Das Programm funktioniert gut, ungeduldig darf man allerdings nicht sein: Die Farbverbesserungsautomatik rödelt geschlagene 36 Sekunden an dem Foto herum.
Kommunikation: Schwierig
Mit meinen Kollegen kommuniziere ich beim Wochenenddienst meistens mit Google Hangouts; allerdings scheint der interne Raspbian-Browser ("Web 3.8.2") Probleme mit der Google+-Website zu haben: Das Hangout-Fenster lädt und lädt und lädt. Da es mit Jabber auch nicht klappt (hat nichts mit dem Raspi zu tun), wir Facebook nicht benutzen wollen (Detail am Rande: Facebook startet im Raspi-Browser standardmäßig in der Mobil-Version) und ich noch kein Mail-Programm installiert habe, greifen wir total oldschool zum Telefon. Funktioniert erstaunlich gut.
Aber ich komme nicht drum herum: Ich brauche Zugriff auf meine heise-Mails, um auf aktuelle Newstipps oder Lesermails reagieren zu können. Meine Kollegin Liane empfiehlt Trojita, den gibts aber noch nicht in den Raspbian-Paketquellen. Also installiere ich das Funktionsmonster Evolution, was schon mal mehrere Minuten dauert. Wie befürchtet, stößt die Raspi-Hardware mit 1-GByte-Arbeitsspeicher hier an ihre Grenzen: Tausende Mails in dutzenden Ordnern sind wohl etwas viel. Zwar kann ich Mails lesen und schreiben, aber leider wird mit Evolution im Hintergrund das ganze System schnarchlangsam – und einmal stürzt sogar der Browser mit noch nicht gespeichertem Artikel im CMS ab. Ich öffne Evolution also nur bei Bedarf (und verschlafe, dass mir schon etliche nette Leser Tipps per Mail gegeben haben).
Fazit des Experiments
Natürlich ist mir klar, dass der Raspi primär zum Programmierenlernen konzipiert wurde und nicht als Arbeitsrechner für Redakteure. Dennoch habe ich mich nach ein paar Stunden ganz gut eingelebt – sogar Screenshots kriege ich inzwischen souverän mit dem Tool Scrot angefertigt. Ehrlich gesagt klappt das Arbeiten sogar besser als auf meinem alten Netbook unter Windows, was vor allem an der hohen Auflösung liegt: Das Heise-CMS macht mit weniger als 1920 × 1080 Bildpunkten wenig Spaß. Hat man im Browser nur ein einziges Tab geöffnet, stimmt sogar die Geschwindigkeit einigermaßen: Die heise-online-Seite ist nach fünf Sekunden komplett geladen und auch das Scrollen per Mausrad funktioniert flüssig.
Aber trotzdem: Mit meinem "echten" PC mit acht GByte RAM und schneller SSD ist das Arbeitstempo nicht zu vergleichen. Zudem muss man immer aufpassen, dass man nicht zu viele Programme gleichzeitig geöffnet hat – sonst geht man das Risiko ein, dass der Browser abschmiert. Komplett stürzte das System aber nie ab, obwohl ich es sicherlich häufig an die Grenzen brachte (deutlich sichtbar an der Auslastungsanzeige oben rechts). Was ich ebenfalls erstaunlich fand: Fast alle Programme, die ich installieren wollte, waren als ARM-Variante in den Repositories verfügbar.
Experimentieren werde ich mit dem Raspi 2 auf alle Fälle weiterhin. Womöglich kriegt man die fehlende Schwuppdizität mit einer übertakteten CPU oder mit einem schlankeren Windowmanager hin. Aber auch wenn das nicht klappt: Verstauben wird der Mini-Computer definitiv nicht. Eigentlich habe ich ihn mir nämlich gekauft, um damit eine transportable Retro-Spielekonsole mit Emulatoren zu bauen. Oder nehme ich den Raspi 2 doch als Owncloud-Server? Vielleicht kaufe ich mir auch einfach noch einen zweiten. (jkj)