Re:publica: Staatstrojaner in der Arena​

Zwei Jahre konnte die Re:publica nicht im echten Leben stattfinden. An einem neuen Standort in Berlin ist sie nun wieder live – und noch einmal gewachsen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen

André Meister auf der Re:publica: Der Staat informiert über seinen Trojaner.

(Bild: heise online/Borchers)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Mit der Arena Berlin, dem Festsaal Kreuzberg, dem Glashaus und einer Open-Air-Bühne verfügt die Re:publica über insgesamt sechs Bühnen, auf denen Talks, Präsentationen und künstlerische Beigaben rund um das Thema Digitalisierung ablaufen. Auf dem weitläufigen Veranstaltungsgelände an der Spree hat die Konferenz eine neue Spielstätte gefunden, die denkbar undigital ist. In etlichen der vielen Hallen sind Betriebe untergebracht, in denen gehämmert und gesägt wird. Es gibt einen Swimming-Pool.

Rund 700 Menschen tragen zum Programm bei, darunter die halbe Bundesregierung. Am Mittwoch, dem ersten Tag der Großveranstaltung, war es Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die über Cyberangriffe sprach, die "umgelenkt" werden müssen. Einen "Hackback"-Gegenschlag schloss sie aus. Faeser zeigte sich betroffen, als Nachrichten von einer Amokfahrt in Berlin die Runde machten. Am Donnerstag reist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Re:publica nach Berlin-Treptow.

Den Auftakt auf der netzpolitischen Bühne machte Andre Meister von Netzpolitik.org. Er referierte in einem Schnelldurchlauf zur Geschichte und Verbreitung von Staatstrojanern, vom ersten Gebastel eines Bayerntrojaners der Firma Digitask bis zur Bespitzelung katalanischer Separatisten mit der Software Pegasus durch den spanischen Geheimdienst.

Bei dieser Aktion sollen aus bislang ungeklärten Umständen die Smartphones von Spaniens Regierungschef Sánchez und Verteidigungsministerin Robles angezapft worden sein, was zeige, wie gefährlich Staatstrojaner auch für Nicht-Terroristen sind, so Meister. Insgesamt sollen nach Angaben von Citizenlab 15 Staats- und Regierungschefs mit Pegasus bespitzelt worden sein.

Für Deutschland berichtete Meister von einer internen Erhebung des Bundeskriminalamtes, die einen ganz anderen Angriffsvektor als die offiziell genannten schweren Straftaten zeigte. Über die Hälfte aller Fälle, in denen Polizeibehörden Staatstrojaner einsetzen wollen, sind Drogendelikte. Er wies darauf hin, dass die Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag einen Passus aufgenommen habe, nach dem der Einsatz dieser Software neu geregelt werden soll. Bislang sei nichts passiert, auch die verkündete Initiative zu einer Überwachungsgesamtrechnung sei noch nicht realisiert worden.

Im Anschluss an Meister beschäftigte sich Ingo Dachwitz von Netzpolitik.org mit dem systemischen Problem von unbefugten Zugriffen auf Informationen in Polizei-Datenbanken. Das wurde öffentlich, nachdem in Drohbriefen einer NSU 2.0 an eine Anwältin Details genannt wurden, die nicht öffentlich bekannt waren. Eine Untersuchung zeigte, dass bei der hessischen Polizei 83 Mal die Daten der Sängerin Helene Fischer abgefragt wurden, als diese in Frankfurt am Main fünf Konzerte gab.

Neben der missbräuchlichen Abfrage von Datenbanken ist Dachwitz zufolge die mangelhafte Prüfung der Datenbank-Zugriffe ein großes Problem. "Die Datenmacht der Polizei ist gewachsen, dagegen ist die Kontrolle nicht mitgewachsen." Bis zur Behebung dieses Missstandes fordert Dachwitz ein Moratorium beim Einrichten neuer Datenbanken. Derzeit könne ein Polizist auf bis zu 130 verschiedene Datenbanken zugreifen.

Update

Korrektur: In der ersten Fassung des Artikels wurden im 5. Absatz irrtümlich Mord, Totschlag und der Verbreitung von Kinderpornografie als Angriffsvektoren aufgezählt.

(vbr)