Red-Hat-Jurist bezeichnet Novells Pakt mit Microsoft als "Appeasement"

Novell habe seine Prinzipien geopfert, um den Redmonder Riesen zu beschwichtigen, meint Mark Webbink, der für die Darstellung seines Erachtens möglicher Konsequenzen ein historisches Bild bemüht.

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Der Chefjurist des US-amerikanischen Linux-Distributors Red Hat, Mark Webbink, hat Probleme mit Novells Beteuerung, die Vereinbarung mit Microsoft ändere nichts an der Position des Unternehmens zu Open Source und Patenten. In seinem Blog auf der Website seines Unternehmens schreibt Webbink, beim Lesen des Offenen Briefs des Novell-Chefs Ron Hovsepian sei ihm das Bild des ehemaligen britischen Premierministers Neville Chamberlain vor Augen erschienen: Dieser sagte nach der Rückkehr von der Unterzeichnung des Münchner Abkommens 1938, ganz überzeugt von seiner politischen Strategie gegenüber dem Deutschen Reich: "I believe it is peace in our time." Webbink ergänzt: "Wir wissen alle, wie die Geschichte ausging."

Der Jurist zielt mit dem Bezug zur Historie nicht darauf ab, die Vertragsparteien Microsoft und Novell mit irgendeinem der Beteiligten der Verhandlungen über das Schicksal der Tschechoslowakei – Hitler, Chamberlain, Mussolini und Daladier – direkt zu vergleichen. Vielmehr meint er, Novell habe sich entsprechend der Definition von Appeasement im Wörterbuch Merriam-Webster von Microsoft freigekauft und dabei seine Prinzipien aufgeopfert. Microsoft habe sich jemanden gesucht, der sein Patentportfolio stillschweigend anerkennt, und Novell gefunden.

Novell-Chef Hovsepian hatte in seinem Brief an die Open-Source-Gemeinde beteuert, die Vereinbarung mit Microsoft bedeute nicht das Eingeständnis, Linux verletze irgendeines der geistigen Eigentümer Microsofts. Es gehe darum, die Interoperabilität zwischen der proprietären Software und der Open-Source-Welt zu gewährleisten. Darauf bezugnehmend meint Webbink, Interoperabilität sei keine Einbahnstraße. Sie könne auf dem Gebiet der Virtualisierung nur verwirklicht werden, wenn Microsoft davon absehe, das Verhalten seiner Kunden in den Lizenzvereinbarungen zu Windows Vista zu kontrollieren.

Der Red-Hat-Jurist lässt auch kaum ein gutes Haar an Hovsepians Argument zur Beschwichtigung der Open-Source-Gemeinde, sein Unternehmen habe sich am Kampf gegen die geplante EU-Richtlinie zu Softwarepatenten beteiligt. Novell befürworte vielmehr die gegenwärtige europäische Praxis gegenüber Softwarepatenten und habe bereits verkündet, sein Patentportfolio zum Eigenschutz einzusetzen, meint Webbink, der dazu auffordert, die "passive Haltung" Novells mit den Aktivitäten von Sun oder auch Red Hat zu vergleichen. Zudem wolle Novell seine Softwarepatente nicht zur Verteidigung von Open Source im Allgemeinen, sondern nur zur Selbstverteidigung einsetzen. Die von Novell gegebene Freistellungsverpflichtung gegenüber seinen Kunden beziehe sich lediglich auf Copyright-Verletzungen, nicht aber auf andere Gebiete auf dem juristischen Feld des "geistigen Eigentums", schränkt Webbink weiter ein.

Webbink hatte kurz nach Bekanntwerden der Microsoft/Novell-Vereinbarung prophezeit, sein Unternehmen werde weiterhin auf dem Linux-Markt dominieren. Geschäfte wie kürzlich mit der Stadt Wien, deren Magistrat sich für Red Hat Enterprise Linux als Server-Platfform entschied, geben ihm Rückenwind. Der bei IBM für Open Source zuständige Direktor Scott Handy hatte sich kürzlich in einem Interview über den Pakt wesentlich gemäßigter geäußert und gesagt, Hovsepians Brief habe den größten Teil seiner Bedenken ausgeräumt.

David Kaefer, bei Microsoft Direktor für geistiges Eigentum und Lizenzierung, hatte auf seine Weise versucht, die Wogen zu glätten. Er betonte, das Abkommen mit Novell unterscheide sich lediglich in den Punkten GPL und dem Entwicklungsmodell der Open-Source-Gemeinde von gleichartigen mit anderen Unternehmen. Hier setzt Eben Moglen, Rechtsvertreter der Free Software Foundation (FSF) und Gegner der Microsoft-Novell-Kooperation, seinen Hebel an. Er hat bereits angekündigt, dass die FSF den aktuellen Entwurf der GPLv3 modifizieren werde. Wie die Änderung aussehen könnte, wird nun in US-Medien berichtet: Die dritte Version der GNU General Public License könne einen Passus enthalten, nach dem ein "Nichtangriffspakt" automatisch für alle gelten würde, die sich auf die neue Lizenz einlassen. Umgekehrt würde sich eine Klage Microsofts automatisch auf alle Linux-Anbieter ausweiten.

Zur Kooperation zwischen Microsoft und Novell und den Reaktionen darauf siehe auch:

(anw)