Regierung: Fluggastdatenspeicherung hilft im Kampf gegen Verbrechen

Die Bundesregierung bezeichnet das Protokollieren und Auswerten von Fluggastdaten in einem Schreiben an den EuGH als erforderlich und verhältnismäßig.

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Landendes Flugeug

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Die Bundesregierung hält die umstrittene EU-Richtlinie zum Rastern von Flugpassagierdaten von 2016 für gültig. Diese habe sich bereits binnen kurzer Zeit bewährt. Das Normenwerk entspreche den Vorgaben der EU-Verträge und der Grundrechte-Charta. Es greife nicht unverhältnismäßig in die Rechte und Interessen der betroffenen Fluggäste ein. Dies schreiben die Regierungsbevollmächtigten in einer heise online vorliegenden Stellungnahme an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Die mit der Richtlinie fünf Jahre lang verdachtsunabhängig aufzubewahrenden Passenger Name Records (PNR) hätten sowohl im Kampf gegen den internationalen Terrorismus als auch "bei der Verhütung und Aufdeckung schwerer Straftaten" zu "erfolgreichen Ermittlungsmaßnahmen geführt", arbeiten die Verfasser heraus. Grenzüberschreitende Flugreisen seien von erheblicher Bedeutung, um terroristische Verbrechen vorzubereiten und durchzuführen.

Um die Verhältnismäßigkeit des Instruments zu begründen, führt die Regierung einige Zahlen und Beispiele an. Im Zeitraum Juni 2019 bis März 2020 seien an die deutsche PNR-Zentralstelle beim Bundeskriminalamt (BKA) "sechs begründete Ersuchen von Sicherheits- und Strafermittlungsbehörden gerichtet" worden. Fünf davon hätten die Behörde beauskunften können, was "positive Auswirkungen auf das jeweilige Ermittlungsverfahren" gehabt habe.

So sei es etwa möglich gewesen, "zielgerichtet Fahndungsmaßnahmen" zu Beschuldigten und weiteren relevanten Personen im Ausland einzuleiten oder Kontakte zu "anderen szene-typischen Gruppierungen" zu belegen. "Ferner konnten durch den Abgleich von Fluggastdaten mit polizeilichen Fahndungsdateien insgesamt 199 Fahndungsmaßnahmen im terroristischen Bereich umgesetzt werden." Dabei habe es sich zwar fast ausschließlich um Ausschreibungen zur verdeckten beziehungsweise gezielten Kontrolle – und nicht zu Festnahmen – gehandelt. Treffermeldungen seien hier für die zuständigen Dienststellen aber "von großer Bedeutung, um über Reisebewegungen dieses Personenkreises informiert zu sein".

Ferner führten Fluggastdaten im Bereich der schweren Kriminalität laut der Eingabe zu 1914 Fahndungsmaßnahmen, darunter 242 Festnahmen. So habe im Mai etwa eine Person verhaftet werden können, "die verdächtigt wird, kinderpornografische Inhalte verbreitet und sich zum schweren sexuellen Missbrauch eines drei Monate alten Kindes verabredet zu haben".

PNR hätten auch "zu einem bedeutenden Erfolg bei Ermittlungen gegen eine internationale Tätergruppe im Bereich des Rauschgifthandels" geführt. Einen weiteren Fall bilde ein Verfahren wegen versuchten Mordes.

Mehrere Personen hatten 2019 mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte vor mehreren deutschen Gerichten gegen den automatisierten Transfer von Fluggastdaten durch Airlines wie die Lufthansa an das BKA geklagt. Unter anderem das Amtsgericht Köln legte dem EuGH daraufhin etwa die Frage vor, ob die Himmels-Rasterfahndung mit dem EU-Recht vereinbar sei. Die Bundesregierung hält die Klagen für unzulässig, die Auskunftsersuchen aus Köln für "nicht entscheidungserheblich". Das BKA habe nur für die Flüge einer der Antragsteller im November 2019 Passagierdaten erhalten. Sie seien seit Anfang Mai "depersonalisiert".

Für eine weitere Klage lägen für einen im März 2020 geplanten Flug in die Türkei beim BKA keine Daten vor. Dies liege daran, dass "die Route von München nach Ankara derzeit technisch noch nicht an das PNR-System angebunden ist". Die ebenfalls für März vorgesehenen Flüge, auf den sich die dritte Klage bezieht, hätten mutmaßlich aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattgefunden. Das Resümee der Regierungsvertreter lautet: Die PNR-Richtlinie ist hinreichend bestimmt, erforderlich und angemessen. Selbst die im Anhang verlangten "allgemeinen Hinweise" einschließlich aller verfügbaren Angaben zu unbegleiteten Minderjährigen seien "klar und präzise".

Die vergleichbare Rubrik aus dem gestoppten Fluggastdaten-Abkommen zwischen der EU und Kanada habe der EuGH zwar als zu ungenau angesehen. Diese Ansage lasse sich aber nicht eins zu eins übertragen, da die Daten in der EU blieben. Ferner sei die Richtlinie hier konkreter und könne nicht für die Weitergabe "sensibler" Informationen herangezogen werden. Das BKA arbeitet die von den Fluglinien übermittelten PNR dem Schreiben zufolge zudem technisch auf und löscht dabei alle Angaben etwa aus Freitextfeldern, die laut der EU-Vorgaben nicht verarbeitet werden dürfen. Letztere würden so nicht im Informationssystem gespeichert.

Es bestünden auch "keine gleichermaßen effektiven, aber weniger einschneidenden Mittel". Anders als die Kölner Richter nahelegten, lasse sich der Abgleich "nicht sinnvoll auf bestimmte Fluggäste oder Flugrouten beschränken". Erst danach könne "bei einem fachlich positiven Personentreffer" der Verdächtige von anderen Passagieren unterschieden werden.

Die Autoren verweisen darauf, dass der EuGH schon entschieden habe, dass der im EU-Kanada-Abkommen vorgesehene Transfer sämtlicher PNR aller Fluggäste prinzipiell "nicht über das absolut Notwendige" hinausgehe, und sich nur an spezifischen Vorschriften gestört habe. Auch die klassische Vorratsdatenspeicherung sei nicht direkt vergleichbar mit der PNR-Sammlung. Elektronische Kommunikationsvorgänge beträfen "eine wesentlich höhere Anzahl von Vorgängen". Es würden daher viel mehr Informationen aufbewahrt, "die auch einen viel weitgehenderen Einblick in die Privatsphäre erlauben". Die fünfjährige Speicherfrist sei angebracht.

Die PNR-Richtlinie sehe "weitreichende Verfahrensgarantien" für die Betroffenen vor, heißt es. So wache etwa ein Datenschutzbeauftragter über die Sammelstelle. Er sei dafür zuständig, dass die "maßgeblichen Sicherheitsvorkehrungen" umgesetzt würden. Eine gerichtliche Kontrolle vor einer Freigabe der Daten für das BKA wäre "weder praktikabel noch sinnvoll".

(kbe)