Schäuble hält Online-Durchsuchungen für "lebensnotwendig"

Der Bundesinnenminister hat sich angesichts neuer Terrorwarnungen aus seinem Haus erneut für eine schärfere Überwachung des Internet ausgesprochen, während Geheimdienste und Beckstein den Alarm für überzogen halten.

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Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat sich erneut nachdrücklich dafür ausgesprochen, rasch eine gesetzliche Grundlage für heimliche Online-Durchsuchungen zu schaffen. "Die Überwachung der Kommunikation ist lebensnotwendig", verglich er die gewünschte Befugnis für das Bundeskriminalamt (BKA) zum Ausspähen privater Festplatten und von Speicherplattformen im Netz laut Agenturmeldungen gleichsam mit der Luft zum Atmen. Deutschland sei gemeinsam mit anderen Staaten seit geraumer Zeit "im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus", erklärte der CDU-Politiker. Selbstmordanschläge radikaler Islamisten in Deutschland halte er "für möglich". Deswegen sei es wichtig, so viele Informationen wie möglich zu sammeln.

Zuvor hatte August Hanning, Staatssekretär in Schäubles Ressort, in einem Hintergrundgespräch mit ausgewählten Pressevertretern Alarm ausgelöst. Deutschland sei immens gefährdet, hatte es dort geheißen. Der Ex-Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) fühlte sich an die Zeit vor dem 11. September erinnert: "Wir sind voll ins Zielspektrum des islamistischen Terrors gerückt." Von einer konkreten Anschlagsgefahr wollte Hanning zwar nicht sprechen; es könne aber auch nicht mehr von der vielfach bemühten rein "abstrakten Gefährdungslage" die Rede sein. Einzelheiten zu der schwer greifbaren Zwischenstufe zwischen abstrakt und konkret verriet Hanning nicht.

Die Einschätzung des Bundesinnenministeriums beruht unter anderem auf der Zunahme von immer präziseren Anschlägen im Norden Afghanistans, wo deutsche Soldaten stationiert sind. Diese Region galt bislang als eher ruhig im Vergleich zum Süden des alten Konfliktherdes. Beunruhigt hat das Innenministerium auch ein islamistisches Propaganda-Video, das der US-Sender ABC unlängst ausstrahlte. Zu sehen ist Mansur Dadullah, der Bruder des erst vor kurzem getöteten Taliban-Militärchefs, wie er vermummte Gestalten anscheinend zu Selbstmordattentaten in die USA, Deutschland, Großbritannien und Kanada entsendet. Die Lageinterpretation des Schäuble-Ministeriums stützt sich ferner auf Informationen, wonach sich offenbar rund zehn deutsche Islamisten in Terror-Ausbildungslagern im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan aufhalten. Zwei davon sind nach BKA-Angaben vor kurzem festgenommen worden. Einer der Inhaftierten, der aus der Südpfalz stammen soll, gelte hierzulande als "Gefährder".

Die Brisanz der Informationen wird von Sicherheitsexperten sehr unterschiedlich beurteilt. So warnt der bayerische Innenminister Günther Beckstein vor Panikmache. Ihm erscheine die Zuspitzung der Terrorwarnung durch Hanning "aus bayerischer Sicht eher etwas überzogen", sagte der allgemein sehr um die innere Sicherheit besorgte CSU-Politiker der Passauer Neuen Presse. Es gebe keine konkreten Hinweise auf besondere Anschlagsziele, etwa konkrete Orte oder bestimmte Verkehrsmittel. Auch deutsche Geheimdienstkreise sind nach Informationen der Welt überrascht: Die Interpretation des Bundesinnenministeriums "ist nicht unsere Einschätzung", heißt es dort -- es gebe keine neue Bedrohungslage.

Der Europol-Direktor, Max-Peter Ratzel, sieht die Terrorplanung dagegen schon weit fortgeschritten. Der ehemalige BKA-Mann sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung: "Die Lage ist ernster denn je." Es stelle sich nicht mehr die Frage, ob etwas passiere, sondern nur noch wann und wo der nächste Anschlag Europa treffe. "Die Rekrutierung und Radikalisierung junger Menschen in Moscheen oder über Internetseiten schreitet schnell voran", betonte Ratzel. Die von ihm geführte europäische Polizeibehörde hat seit kurzem offiziell den Auftrag, im Rahmen des Projekts "Check the Web" die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten etwa bei der Beobachtung und Auswertung islamistisch-terroristischer Webseiten zu verbessern.

Auch im Bundestag ist der Terroralarm auf geteilte Meinungen gestoßen. So mahnte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele zur Sachlichkeit. Unions- Fraktionsvize Wolfgang Bosbach und der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sprachen von ernst zunehmenden Charakterisierungen des Innenministeriums. Noch unklar ist, inwieweit sich die Warnung auf die Haltung der SPD-Fraktion zu verdeckten Online-Durchsuchungen auswirkt. Anfang der Woche sagte die Fraktionsspitze eine Verhandlungsrunde mit Schäuble zu diesem Thema ab. Die Sozialdemokraten wollen erst prüfen, ob dieses neue, heftig umstrittene Bespitzelungsinstrument zur Terrorismus-Abwehr geeignet und verfassungsrechtlich zu verantworten sei. (Stefan Krempl) / (cm)