Schweiz: Finanzministerin schasst IT-Verantwortlichen

Der Ersatz der veralteten IT der Steuerbehörden, der sich zum Beschaffungsskandal ausgewachsen hat, hat nun personelle und strafrechtliche Konsequenzen. Die Verantwortlichen sollen Vergabevorschriften systematisch umgangen haben.

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Von
  • Tom Sperlich

Das Beschaffungsdrama in der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) um das sich seit Jahren hinziehende IT-Großprojekt "Insieme" hat jetzt personelle Konsequenzen: Einer der ranghöchsten Beamten der Bundesverwaltung, Urs Ursprung, seit über 12 Jahren Chef der ESTV, wurde von der Leiterin des Eidgenössischen Finanzdepartementes (EFD), Eveline Widmer-Schlumpf, per sofort suspendiert. Auf seine Stelle wird der Steuer-Chef vermutlich kaum mehr zurückkehren. Seiner Behörde wird in einem jetzt veröffentlichten Untersuchungsbericht vorgeworfen, dass sie "während längerer Zeit und bewusst gegen die beschaffungsrechtlichen Vorschriften verstoßen hat".

Finanzministerin Widmer-Schlumpf hatte am 24. Januar 2012 eine Untersuchung zu den Beschaffungsprozessen der ESTV angeordnet. Wie das EFD gestern bekanntgab, dauerten die Verstöße bereits seit Jahren an, auch nach wiederholter Aufforderung der EFD-Führung zur zwingenden Einhaltung der Beschaffungvorschriften. Der Bericht schlussfolgert, dass die Verantwortung für die Vorgänge in erster Linie beim Direktor der ESTV liegt.

Die mit der Untersuchung Beauftragten waren auch auf womöglich strafrechtlich relevante Sachverhalte gestoßen, die sie der Bundesanwaltschaft anzeigten. Diese leitete im Mai 2012 wegen des Verdachts auf ungetreue Amtsführung bei der ESTV eine Strafuntersuchung ein, die sich allerdings nicht gegen den Direktor der ESTV, Ursprung, richtet. Im Zusammenhang mit der Vergabe externer IT-Dienstleistungen beim Projekt Insieme in Höhe mehrerer Millionen Franken wurde bereits der Leiter einer dem ESTV-Chef unterstellten Sektion polizeilich vernommen und eine Hausdurchsuchung an Wohnort und Arbeitsplatz durchgeführt. Die Untersuchung ist noch im Gange.

Das bereits 2005 mit einer öffentlichen Ausschreibung gestartete IT-Großprojekt Insieme – rund 150 Millionen Franken (125 Millionen Euro) schwer – soll die IT-Infrastruktur und Prozesse der Steuerverwaltung konsolidieren und vollständig erneuern. "Molis" und "Stolis" – so heißen die beiden IT-Systeme, mit denen die ESTV seit über zwei Jahrzehnten arbeitet – müssen dringend durch ein einziges neues IT-System ersetzt werden.

Den Zuschlag bei der damaligen Ausschreibung hatte im März 2006 die Schweizer Niederlassung des US-Konzerns Unisys erhalten. In der Folge konnten sich die Parteien in den Vertragsverhandlungen jedoch nicht einigen, und das Finanzdepartment widerrief im August 2007 die Auftragsvergabe. Die ESTV bezahlte Unisys eine Entschädigung, wobei die gesamten Kosten der "Phase Unisys" vom EFD auf 6,4 Millionen Franken beziffert werden. Die ESTV entschied sich anschließend, Insieme neu zu lancieren. Dabei wurde beschlossen, das Projekt nicht als Ganzes an einen Generalunternehmer zu vergeben, sondern einzelne Aufträge für eine Individuallösung zu erteilen. Deshalb sollten keine Großunternehmen mehr hinzugezogen werden, was zum Beispiel eine debattierte Standardlösung von SAP ausschloss.

Schließlich kam es aber laut EFD zu den schweren Verstößen gegen das Beschaffungsrecht durch das ESTV. So hat die Steuerverwaltung zahlreiche Aufträge "freihändig vergeben", die gemäß WTO-Vorschriften hätten ausgeschrieben werden müssen. Unterschriftenregelungen seien nicht eingehalten und Projekttranchen so aufgeteilt worden, dass sie unter der WTO-Ausschreibungsgrenze lagen. Für die "Verschleierung" der Begebenheiten habe die Steuerverwaltung "erheblichen Aufwand" betrieben, stellt der Untersuchungsbericht fest. Bereits seit Jahren weisen verschiedene parlamentarische Gremien immer wieder auf Verstöße in der Praxis der Schweizerischen Bundesverwaltung bei der Vergabe von Mandaten an externe Experten hin. (ssu)