Schweiz: Swisscom lenkt bei Streit um Glasfaser-Netzausbau ein

Der Schweizer Telekomkonzern Swisscom hat im Glasfaserstreit mit der Regulierungsbehörde nachgegeben und will wieder Direktleitungen bis zu den Kunden bauen.

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(Bild: Noiz Stocker/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Tom Sperlich
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Das größte Schweizer Telekomunternehmen Swisscom gibt im Streit um die Glasfaser-Netzarchitektur nach – vorerst. Das Unternehmen wird zu der einst begonnenen Point-to-Point-Bauweise (P2P) seines Glasfasernetzes zurückkehren, gab Swisscom anlässlich einer Bilanzpressekonferenz bekannt.

Seit Jahren schon behindern Auseinandersetzungen zwischen der Swisscom und ihren Mitbewerbern beziehungsweise mit der Kartellbehörde, der eidgenössischen Wettbewerbskommission (Weko), den weiteren, schnellen Aufbau des Schweizer Glasfasernetzes. Im parallelen juristischen Tauziehen lehnte zuletzt im Dezember 2021 das höchste Schweizer Gericht, das Bundesgericht, einen Einspruch der Swisscom gegen ein vorheriges Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur aufschiebenden Wirkung einer Weko-Maßnahme ab.

Die Weko ordnete ein Jahr zuvor eine vorsorgliche Maßnahme zur Sicherstellung eines Layer-1-Zugangs beim Ausbau des FTTH-Netzes (Fiber to the Home) an und untersagte der Swisscom präventiv, bis zum Erlass einer endgültigen Entscheidung, ihre FTTH-Netze auf der Grundlage eines Einfaser-Modells mit Point-to-Multipoint-Topologie (P2MP) weiter aufzubauen. Grund: "die Gefahr der Verwirklichung eines marktmissbräuchlichen Verhaltens" gemäß Kartellgesetz. Bestehende P2MP-Anschlüsse durften nicht vermarktet werden, so die Weko.

Hintergrund der Querelen sind die unterschiedlichen Strategien und Kosten bezüglich der Netzarchitektur beim Aufbau des FTTH-Glasfasernetzes der Swisscom. Zunächst hatte sich die Branche an einem von behördlicher Seite mitorganisierten Runden Tisch im Jahr 2012 auf eine landesweit geltende Architektur für das aufzubauende Glasfasernetz geeinigt. Festgelegt wurde damals die Erstellung eines FTTH-Netzes als Vierfaser-Modell mit einer Point-to-Point-Topologie (P2P), damit "nicht jeder Akteur gräbt und deshalb hohe Kosten hat, die dann dem Kunden überwälzt werden, sondern dass man eben vierfaserige Glasfaserkabel installiert, damit verschiedene Anbieter Zugang zu diesen Technologien haben und die Kosten kleiner sind", sagte 2018 die damalig zuständige Bundesrätin Doris Leuthard.

Anfang 2020 verfolgte die Swisscom allerdings eine neue Strategie zum Ausbau des eigenen FTTH-Netzes bis Ende 2025 ("Netzbaustrategie 2020"). Neu war die Hinwendung zu einem Einfaser-Modell mit Baumstruktur und P2MP-Topologie – eine laut Swisscom preisgünstiger zu bauende und zu betreibende FTTH-Variante. Doch im Unterschied zur zuvor eingesetzten Punkt-zu-Punkt-Bauweise können kleinere Internetanbieter auf einer P2MP-Topologie dem Kunden nicht mehr ihre eigenen Angebote und Technik liefern, sondern müssen die Dienste der Swisscom mieten, so deren Argumentation.

Gegen diese Abkehr von der vereinbarten P2P-Netzstruktur ging die Verfügung der Weko vor. Hinzu kam eine Beschwerde verschiedener Mitbewerber der Schweizer Telekombranche bei der Weko gegen die neue Netzbautechnik mit P2MP, allen voran das Winterthurer Internetunternehmen Init7.

Bis zu 32 Kunden müssten sich zwischen der Anschlusszentrale und dem Kabelschacht vor den Gebäuden eine Faser und damit die Leistung teilen, betont der CEO von Init7, Fredy Künzler, in einem NZZ-Interview. Das Angebot von Init7 mit einer Leistung von 25 Gigabit Bandbreite pro Kunde werde dadurch technisch verhindert, sagte Künzler.

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Noch immer hat die Weko im laufenden Hauptverfahren nicht entschieden, ob die Swisscom definitiv zur Point-to-Point-Netzarchitektur zurückkehren muss. Auch steht noch ein Urteil des Bundesgerichts aus, ob die verordneten, vorläufigen Weko-Maßnahmen in Kraft bleiben oder rechtmäßig sind.

Zwar hatte das Weko-Veto der Swisscom nicht grundsätzlich untersagt, ihr Glasfasernetz weiter aufzubauen. Allerdings durfte sie es nur so, dass ein Layer-1-Zugang für die Mitbewerber zu einem späteren Zeitpunkt möglich bleibt. Alle bereits in P2MP-Technik gebauten Glasfaseranschlüsse durfte der Telekomkonzern daher nicht für eine Nutzung vermarkten. Was zur Folge hat, dass unterdessen knapp 400.000 Glasfaseranschlüsse blockiert sein sollen, welche die Swisscom zwischenzeitlich in P2MP-Topologie gebaut hat, aber laut Weko eben nicht in Betrieb nehmen darf.

Seit kurzem waren jedoch Spekulationen zu hören und zu lesen, dass es größere Bewegungen im Glasfaserstreit geben könnte, darüber hinaus hat die Swisscom mit Christoph Aeschlimann seit dem Frühsommer auch einen neuen Chef. Ein Indiz für Veränderungen in der ausgebremsten Situation war schon die Swisscom-Ankündigung vor etwa drei Wochen, dass Liegenschaftseigentümer bald erneut Glasfaseranschlüsse bestellen könnten, die bereits wieder in P2P-Architektur gebaut werden würden. Und Swisscom-Sprecher Sepp Huber bestätigte gegenüber Aargauerzeitung.ch, dass teilweise schon erstellte P2MP-Anschlüsse wieder auf die P2P-Technologie umgebaut würden.

So war es denn auch keine Überraschung mehr, als am vergangenen Donnerstag anlässlich der Vorstellung der Geschäftszahlen im 3. Quartal 2022 die Swisscom nun bekannt gab, dass sie sich dafür entschied, im Netzausbau neue Anschlüsse größtenteils wieder in der P2P-Architektur auszuführen und bereits bestehende P2MP-Anschlüsse teilweise in P2P umzubauen, wie es in der Medienmitteilung hierzu heißt.

Der Druck auf die Swisscom, auch der finanzielle, wird wohl zu groß geworden sein. So dauere etwa das Verfahren der Weko viel länger als ursprünglich gedacht, sagte Swisscom CEO Christoph Aeschlimann vor den Medien. Man habe sich im Sinne der Kunden deshalb für die Kehrtwende entschieden. Denn es sei nicht in deren Interesse, dass die Swisscom jedes Quartal zehntausende oder hunderttausend Glasfaseranschlüsse baue, die nicht genutzt werden könnten. Das aber bedeutet große Einnahmeverluste für den Telekommunikationsanbieter.

Weiterhin suchen aber Swisscom und Weko nach einer beidseitig akzeptierten Lösung des Glasfaserstreits. Obwohl der Telekomkonzern bei der Bauweise der Glasfasernetze jetzt eingelenkt hat, läuft das Hauptverfahren der Weko in der Angelegenheit weiter. Die Bekanntgabe der Swisscom, wonach die Bauweise geändert werde, werde in die Diskussionen einfließen, die man miteinander führen werde, sagte Weko-Direktor Patrik Ducrey am Donnerstag im Gespräch mit der Agentur AWP Finanznachrichten: "Aber ob das die Basis für eine einvernehmliche Regelung ist, kann ich nicht sagen. Im Moment ist das offen." Falls es keine einhellige Lösung gebe, werde die Weko – wahrscheinlich im nächsten Jahr – eine Verfügung erlassen, erklärte Ducrey. Diese könnte dann zuerst vorm Bundesverwaltungsgericht und dann vor dem Bundesgericht angefochten werden. Aber man plane wie bisher mit einer einvernehmlichen Regelung. "Eine Verfügung wäre der Plan B", sagte Ducrey.

Auch Swisscom CEO Aeschlimann betrachtet noch mehrere Optionen für Swisscoms künftige Glasfaser-Vorhaben. In einem Interview mit dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF erklärte er, dass er nur geringe Chancen sehe, auf Basis der preisgünstigeren Netzarchitektur P2MP weiter bauen zu können. Je nachdem, wie die einvernehmliche Regelung oder die Verfügung der Weko letztendlich aussehe, werde Swisscom aber einen Weiterzug vor die Gerichte in Erwägung ziehen. Die nächsten Jahre werde man nun jedoch mit der teureren Variante bauen, um den Kunden überhaupt Glasfaser zur Verfügung stellen zu können. Denn wenn die Swisscom jetzt abwarte und nach einer unliebsamen Weko-Verfügung vor Gericht ginge, würde es erneut drei bis vier Jahre dauern, "bis man potentiell Recht bekäme". Da eine solche lange Wartezeit nicht im Interesse der Kunden und der Schweiz sei, stelle man jetzt wieder auf P2P um, so der Swisscom-Chef.

Internetanbieter Init7 begrüßt in einer Medienmitteilung die Umkehr der Swisscom, fordert jedoch nach wie vor, dass der Aus- bzw. Umbau nicht größtenteils und teilweise, wie es die Swisscom formulierte, sondern ausschließlich nach der P2P-Netztopologie erfolgt und alle bestehenden P2MP-Anschlüsse auf P2P umgebaut werden. Nun doch wieder auf die teurere Netzbauweise zurückzukehren – und sei es nur vorerst – kostet naturgemäß viel mehr. Deshalb stutzt die Swisscom ihre Ausbauziele. Zwar bleibe das jährliche Budget für Glasfaserinvestitionen von 500 bis 600 Millionen Franken (500-600 Mio. Euro) unverändert, jedoch erfolge der Ausbau etwas langsamer als ursprünglich geplant, so der Konzern in seiner Medienmitteilung.

Auch könnten so bis 2025 nur 50 bis 55 Prozent der Haushalte und Geschäfte mit FTTH-Anschlüssen erschlossen werden. Geplant waren eigentlich rund 60 Prozent. Aber Swisscom werde auch nach 2025 weiter in den FTTH-Ausbau investieren und bis 2030 die FTTH-Abdeckung auf 70-80 Prozent steigern.

(tiw)