Schweizer Anti-Terrorgesetz: Sonderbeauftragter warnt vor "Furcht und Schrecken"

Seite 2: Keinen reinen Wein eingeschenkt

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Nicht nur Bürgerrechtler in der Schweiz waren in den vergangenen Monaten Sturm gelaufen gegen das neue Gesetz. Gleich fünf Hochkommissare und Sonderbeauftragte der UN, einschließlich Melzer, hatten gegen die neue Schweizer Terrorismusdefinition protestiert, ebenso die Menschenrechtskommissarin des Europarates in Straßburg. Doch weder die internationale Kritik, noch die verfassungsrechtliche Ablehnung des Gesetzes durch 63 Schweizer Juraprofessoren oder des eigenen Außenministeriums wurden laut Melzer gehört.

Zugleich werde seiner Meinung nach dem Wahlvolk, das am Sonntag mit einem Nein das Ruder herumwerfen könnte, praktisch getäuscht mit der verkürzten Darstellung, die Regierung wolle ja nur etwas gegen Terrorismus machen und die Bevölkerung schützen. Dazu sei das Gesetz aber nach Expertenmeinung ungeeignet. Daher liege der Verdacht nahe, dass es mit der Ausweitung der präventiven Überwachungsbefugnisse letztlich um die Sammlung von Information gehe, damit man im Monopoly der Geheimdienste mitspielen könne.

Auf der Basis seiner Erfahrungen als UN Diplomat und Sonderbeauftragter könne er praktisch garantieren, dass die neuen Gefährderlisten künftig mit dem Ausland geteilt würden. Für den in der Schweiz lebenden Ägypter, könne damit ein Besuch bei der Familie in Ägypten dann zur Katastrophe werden, warnte er.

Dabei nannte der Jurist die Zusammenarbeit der Dienste durchaus "notwendig", beobachtet aber auch, dass seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ein regelrechtes Paralleluniversum der Dienste entstanden ist, das sich der Kontrolle durch die Rechtsstaaten entziehe. Kooperationen zwischen befreundeten Diensten, wie im Fall Schweden und Amerika, würden da gerne mal geheim gehalten, um der Aufsicht zu entgehen. Von Staatsanwälten verfügte Auslieferungsanträge gegen CIA-Mitarbeiter, die an der Entführung des Deutschen Khaled al-Masri beteiligt waren, werden von einer deutschen Bundesregierung nicht an die US-Regierung ausgehändigt.

"Das ist kein Rechtsstaat mehr", so Melzers Kritik. Der Rechtsstaat beweise sich nicht darin, dass in ihm Kaufverträge sauber abgewickelt würden, sondern wie er auf Herausforderungen des Rechtsstaates reagiere. Zur mangelnden Kontrolle der Geheimdienste sagte Melzer: "Die Geheimdienste sind nicht böse, sie sind unsere Wachhunde und müssen auch scharf sein. Aber wir müssen sie an die Leine legen, sonst ufert das aus."

Weitere Indizien für das Bröckeln der Rechtsstaatlichkeit ist das aggressive Vorgehen gegen Whistleblower wie Julian Assange und der generell sehr laxe Umgang mit Foltervorwürfen in vielen Staaten. Dabei habe er den Fall Assange als UN-Folterbeauftragter selbst zuerst nicht anpacken wollen. Zu stark sei das Narrativ vom bösen Hacker und der Belästigung des Beschuldigten gewesen.

Die fortgesetzte Isolationshaft von Assange sieht er inzwischen als klaren Versuch der Einschüchterung derer, die Staatsverbrechen aufdecken, und er ist über die Scheinheiligkeit der westlichen Staaten schockiert, wie er selbst sagt. Die setzten sich gerne für Menschenrechte in anderen Staaten ein, seien aber wenig begeistert, wenn er auch bei ihnen wegen unmenschlicher Behandlung interveniere.

Jedes Jahr feiere sich die Staatengemeinschaft dafür, dass es die Anti-Folterkonvention gebe. Aber von den 500 ersten Fällen, in denen er als Sonderbeauftragter für eine faire Behandlung von Gefangenen oder die Aussetzung der Todesstrafe interveniert habe, habe er noch nicht mal in 10 Prozent der Fälle Gehör gefunden.

(bme)