Siemens: Frisches Blut statt alter Netze

Seit dem Wochenende ist Peter Löscher offiziell der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG. Als erster von außen berufender Siemens-Chef muss er den von Skandalen erschütterten Konzern reformieren.

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Der Spitzenjob bei Siemens ist mehr als nur eine neue Herausforderung. Von Peter Löscher, der am gestrigen Sonntag seinen neuen Job als Vorstandschef der Siemens AG offiziell angetreten hat, wird Zweierlei verlangt, das nicht unbedingt zusammenpasst: Erfolgreiches Krisenmanagement und Fingerspitzengefühl. Denn der Österreicher übernimmt das Ruder bei einem Konzern mit schwerer Schlagseite. Angesichts der aktuellen Affären, die bei Siemens bis höchste Management-Ebenen reichen (und darüber hinaus), ist das retuschierte Rolex-Bild zum Auftakt der Ära Klaus Kleinfeld im Vergleich eine Petitesse – rückblickend aber auch die Overtüre zu einer Skandal-Oper, in deren Verlauf Siemens-Vorstände in Unterschungshaft wanderten.

Der ehemalige Pharma-Manager Löscher ist nun angetreten, den Siemens-Stall gründlich auszumisten. Die so genannte Compliance, neudeutsch für korrektes und gesetzestreues Geschäftsgebaren, ist für den 49-Jährigen "Chefsache" – heutzutage offenbar keine Selbstverständlichkeit. Den Skandal will Löscher schnell aufarbeiten und darüber hinaus Strukturen schaffen, die eine Wiederholung ausschließen. Wenn nötig, will er auch schnell personelle Konsequenzen ziehen. Sein Vorgänger, obwohl wirtschaftlich durchaus erfolgreich, war nicht zuletzt auch an der zögerlichen Aufarbeitung der weniger glänzenden Seite des Konzerns gescheitert.

Kleinfeld war, wie alle seine Vorgänger auch, ein Siemens-Eigengewächs und damit Teil eines "Old Boys Club", der die Verflechtungen im Konzern zumindest begünstigte. Die Berufung des Nicht-Siemensianers Löscher darf auch als Signal verstanden werden, dass ein Mann von außen, ohne Mitgliedschaft im Club der alten Herren, nun schaffen soll, was die Selbstreinigungskräfte des Konzerns längst nicht mehr vermocht haben. An seinem Erfolg misst ihn nicht nur Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, der Löscher wiederholt als seinen Wunschkandidaten bezeichnet hat und damit sein eigenes Schicksal auch an den Erfolg des Österreichers knüpft.

Allgemein wird von einem Siemens-Chef ein gewisses Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem Konzern-Establishment erwartet. Das wird kaum funktionieren, will Löscher den Kompetenz- und Zuständigkeitswirrwarr in eine neue Struktur entflechten. Zwar betont der Neue zum Amtsantritt das "Wir" und die Tradition des Konzerns, doch weiß er wohl auch, dass er mit Teilen dieser Tradition brechen und einigen Provinzfürsten auf die Füße treten muss.

Immerhin, einen dafür wichtigen Posten kann er nun nach seinem Gusto besetzen. Der Chief Compliance Officer (CCO) trägt auf Vorstandsebene die Verantwortung für das korrekte Geschäftsgebaren des Konzerns. Erst vor einem halben Jahr hatte der inzwischen skandalbedingt ausgeschiedene Ex-Aufsichtsrat Heinrich von Pierer dafür den in Wirtschaftskriminalität erfahrenen Stuttgarter Oberstaatsanwalt Daniel Noa aus dem Staatsdienst geholt. Doch schon Ende Juni, mit Ablauf seiner Probezeit, endete überraschend Noas Karriere bei Siemens, auch wenn er dem Konzern als Berater weiter zur Verfügung steht.

Über die Hintergründe wird spekuliert. Von mangelnden Englischkenntnissen und wenig Teamfähigkeit ist zu lesen. Noa sei für die internationale ausgerichtete Aufgabe nicht der richtige Mann, er habe Schwierigkeiten gehabt, sich in den hierarchischen Strukturen eines Großkonzerns wie Siemens zurechtzufinden, erfuhr der Tagesspiegel aus Aufsichtsratskreisen. Andererseits habe der Ex-Staatsanwalt beklagt, seine Pläne bei Siemens nicht durchsetzen zu können, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Angesichts der nun offenbar gewordenen Versäumnisse der Vorgänger Noas stellt sich die Frage, ob die Anpassung an bestehende Strukturen der richtige Weg ist – für den neuen CCO ebenso wie für CEO Löscher. (vbr)