Studie: Algorithmische Newsfeeds sind fesselnder als chronologische Timelines

Die Wirkung der Empfehlungs- und Sortieralgorithmen von sozialen Netzwerken war lange unklar. Eine Analyse zu Facebook und Instagram bringt Licht ins Dunkel.

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(Bild: Twin Design/Shutterstock.com)

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Algorithmen, mit deren Hilfe die Betreiber sozialer Netzwerke Nutzern Beiträge anzeigen, stehen im Verdacht, Filterblasen und Echokammern zu erzeugen, Desinformation bevorzugt zu verbreiten sowie die Gesellschaft zu spalten. Laut einer am Donnerstag im Magazin "Science" erschienenen Studie lässt sich das – zumindest für Ende 2020 bei Facebook und Instagram – nicht direkt belegen.

Klar wird aber, dass die kuratierten Feeds bei den Meta-Plattformen darauf optimiert sind, Nutzer möglichst lange zu halten und zu Reaktionen zu animieren. Eine chronologische Timeline, wie sie etwa bei Mastodon Usus ist, fällt diverser, zufälliger und so auch weniger "klebrig" für die Mitglieder aus. Diese Empfehlungs- und Sortieralgorithmen sind meist eine Black Box. Meta hat sich hier für mehrere Studien gegenüber externen Forschern ein Stück weit geöffnet.

Eine davon beschreibt die Wirkung der Newsfeed-Algorithmen. Dazu haben die Wissenschaftler während drei Monaten rund um die US-Präsidentschaftswahl 2020 bei Facebook knapp 30.000 und bei Instagram rund 26.000 US-User in zwei Gruppen eingeteilt. Eine bekam die Nachrichten auf der Startseite chronologisch angezeigt, die zweite – wie bei Meta üblich – durch den Algorithmus. Die Probanden teilten ihre Daten und nahmen an Umfragen teil, bei denen es auch um die Positionen der Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Joe Biden ging.

Die chronologische Sortierung veränderte den Newsfeed gegenüber der maschinellen Auswahl deutlich: Beiträge von Freunden, Gruppen und gefolgten Pages machten je ein Drittel der Nachrichten aus. Im algorithmisch sortierten Feed war mehr als die Hälfte der Beiträge von Freunden. Auch das Online-Verhalten der Probanden mit dem chronologischen Feed änderte sich: Sie verbrachten durchschnittlich weniger Zeit auf Facebook und dafür mehr auf anderen Social-Media-Plattformen. Zudem gaben sie weniger als halb so vielen Beiträgen ein Like wie User mit algorithmischen Feeds.

Offline veränderte sich das Verhalten der Testpersonen aber kaum. Es zeigte sich, dass Nutzer der chronologischen Timeline nicht signifikant weniger polarisiert waren und auch nicht deutlich weniger Wissen über die aktuelle Politik aufwiesen. Bei politischer Teilhabe zeigte sich das gleiche Bild: Auf den Plattformen interagierten die User mit den chronologischen Feeds weniger mit politischen Beiträgen, offline waren kaum Unterschiede feststellbar.

"Die Studie ist methodisch in vielen Punkten sehr gut", lobt die Tübinger Medienforscherin Sonja Utz gegenüber dem Science Media Center. Es komme bei dem gewählten Design aber zu "Selbst-Selektionseffekten", da die Teilnahme freiwillig gewesen sei. Die Teilnehmer seien nicht nur besonders aktive Nutzer gewesen, sondern hätten vermutlich auch ein überdurchschnittliches Interesse an Politik. Auf die Gesamtbevölkerung ließen sich die Ergebnisse so nur mit Vorsicht übertragen.

Die eingesetzten Algorithmen erreichten aber offenbar das Ziel, interessante Inhalte zu präsentieren und Falschinformationen zu reduzieren, meint Utz. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass eine Kuratierung die Polarisierung in der Gesellschaft erhöhen könnte. Im US-Zweiparteiensystem sei es aber generell schwierig, Wähler zu einem Wechsel ihrer politischen Präferenzen zu bewegen.

Es handle sich um eine Momentaufnahme, da Newsfeed-Algorithmen stetigen Änderungen unterlägen, schränkt der Bamberger Politikwissenschaftler Andreas Jungherr ein. Man könne daraus nichts generell über die Rolle von Facebook oder Instagram in Wahlkämpfen ableiten. Effekte auf Kleingruppen, die psychologisch, ideologisch oder strukturell besonders anfällig für Botschaften seien, würden nicht untersucht.

Twitter alias X veröffentlichte nach der Übernahme durch Elon Musk im Frühjahr Teile des Codes für die algorithmische Timeline-Steuerung als Open Source. Wie der Betreiber dazu erklärte, sind mehrere neuronale Netze mit mehreren Millionen von Parametern für das Einstufen der Tweets und die Empfehlung von Konten zuständig, denen man folgen sollte. Ein Filter blendet Postings aus, etwa um nationale Gesetze zu befolgen.

(vbr)