Softwareprobleme: Häftlinge in Arizona sitzen länger
Unzulängliche Software bringt Arizonas Gefangene in Lebensgefahr. Außerdem müssen hunderte Menschen länger sitzen als rechtlich vorgesehen.
(Bild: Daniel AJ Sokolov)
Hunderte Menschen sitzen in Gefängnissen des US-Staates Arizona, obwohl sie eigentlich auf freiem Fuß sein sollten. Andere Gefangene sind in Gefahr, unnötig an Krankheit oder Ermordung zu sterben. Außerdem hat die Behörde eine Million US-Dollar verschludert, die Gefangenen zusteht. Schuld ist unzulängliche Software. Das berichtet die Radiostation KJZZ aus der Stadt Tempe unter Berufung auf mehrere Whistleblower.
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Die Gefängnisbehörde des Staates hat Probleme mit der Software namens Arizona Correctional Information System (ACIS), geliefert von der Firma Business & Decision North America. ACIS wurde erst im November 2019 gegen Proteste der Mitarbeiter installiert. Bereits damals hat die Software 24 Millionen Dollar gekostet. Seither soll es 14.000 Bugs gegeben haben.
Software pfeift auf das Gesetz
Im selben Jahr, 2019, trat ein neues Gesetz in Kraft. Es erlaubt Insassen, die ausschließlich für den Besitz oder Gebrauch von Marihuana, Drogen, oder Utensilien verurteilt wurden, an Programmen im Gefängnis teilzunehmen. Das betrifft die größte Gruppe aller Insassen. Zu den Programmen zählen insbesondere Drogenentzug, Alphabetisierungskurse, oder High-School-Abschlüsse.
Wer diese Kurse erfolgreich absolviert und weitere Kriterien erfüllt, soll früher freikommen – theoretisch. Praktisch ist die Software weder in der Lage, herauszufinden, welche Insassen teilnehmen dürfen, noch die Haftverkürzung zu berechnen, noch die übrigen zu erfüllenden Kriterien zu erfassen. Daher, so die Whistleblower gegenüber KJZZ, säßen zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes Hunderte Menschen unnötig in Haft.
Für Manche berechnen Beamte die Haftverkürzung mit Papier und Bleistift. Allerdings profitieren davon nur Insassen, die überhaupt wissen, dass sie teilnehmen dürfen, oder jene, die Angehörige in Freiheit haben, die sich dafür einsetzen. Ansonsten "können wir die Menschen nicht finden, um sie in die Programme zu nehmen, und nachdem sie diese Programme absolviert haben, können wir sie nicht freilassen", sagte ein Whistleblower dem Radiosender, "Diese Menschen sitzen buchstäblich in der Falle."
Lebensgefahr für Gefangene
Der Umstieg auf ACIS soll weitere Computerprogramme in Mitleidenschaft gezogen haben. Module für Gefangenenstatistik, Eigentum der Insassen, Geldkonten, Religionszugehörigkeit, Sicherheitseinstufung und, besonders wichtig, Krankendaten und Gang-Zugehörigkeit funktionieren demnach nicht korrekt
Gefängnisse sind sehr gefährliche und gewalttätige Orte. Gang-Mitglieder verfolgen bisweilen nur noch das Ziel, andere Insassen zu ermorden, die nicht der eigenen Gang angehören. Daher ist es wichtig, Gangs zu trennen, in den Zellen, bei den Mahlzeiten, sogar bei Zahnarztterminen.
"Wir haben Leute zusammen in Zellen gesperrt, die rivalisierenden Gangs angehören, ohne es zu realisieren", hat ein Whistleblower verraten, "Wir können schwer kranken Insassen nicht die passenden Medikamente geben, wenn sie verlegt werden. Wir bringen Leute in Gefahr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand ermordet wird oder stirbt."
Gefangene entreichert
Der Rechnungshof Arizonas hat vergangenes Jahr festgestellt, dass die Gefängnisverwaltung auf fast einer Million Dollar sitzt, die eigentlich auf Treuhandkonten bestimmter Insassen liegen sollten. Nach Angaben der Gefängnisverwaltung liegt das an Schwierigkeiten beim Umstieg von der alten auf die neue Software ACIS.
Einige Softwaremodule, die mehrere Millionen Dollar gekostet haben, seien überhaupt unbrauchbar und würde nicht genutzt. Als Beispiel nannte eine Quelle die Verwaltung der Habseligkeiten der Insassen. Diese würden wieder händisch mit Papierakten verwaltet.
Hinzu kommen banale Anforderungen, die nicht gelöst sind: Irrtümlich eingetragene Sanktionen lassen sich offenbar nicht korrigieren. In mindestens einem Fall durfte ein Gefangener 30 Tage lang nicht telefonieren, obwohl er sich im Gefängnis nichts hatte zuschulden kommen lassen. Das wusste auch die Gefängnisverwaltung, allein die Software ließ sich nicht bezwingen.
Riesige Gefängnisbevölkerung
Die USA haben die höchste Inhaftierungsrate der Welt, von 100.000 Einwohner sitzen 655 ein. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 77, in Österreich 95, in der Schweiz 80 und in Liechtenstein 23 (2020). Arizona liegt mit 877 noch über dem US-Schnitt und in den Top 5 aller US-Staaten. Stand 2018 saßen in Arizona 62.000 Personen in Haft, davon 42.000 in Einrichtungen der hier betroffenen Gefängnisverwaltung des Staates. Dabei war nur etwa jeder zehnte Insasse weiblich.
Die übrigen 20.000 Eingesperrten Arizonas verteilen sich auf Gefängnisse von Countys und Kommunen (14.000), Bundesgefängnisse (4.600) und jeweils einige Hundert Menschen in Jugendgefängnissen, Gefängnissen der Ureinwohnerbehörden sowie unfreiwillig in Krankenhäusern Festgehaltene. Die weitaus überwiegende Zahl der Insassen ist gar nicht zu einer Haftstrafe verurteilt sondern harrt einem Gerichtsverfahren. Siebzig Prozent der Insassen Arizonas waren nicht gewalttätig.
In den vier Jahrzehnten bis 2016 hat sich die hat sich die Gefängnisbevölkerung der USA vervierfacht. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Insassen in Gefängnissen des Staates Arizona verzwölffacht. Das kostet den Staat viel Geld, gleichzeitig kommt er mit dem Bau von Haftanstalten nicht hinterher. Die Gefängnisse waren vergangenes Jahr um tausende Personen überbelegt.
Neue Gesetze wären Papiertiger
Im Parlament des Staates liegen mehrere Gesetzesanträge auf Erweiterung des Zugangs zu Fortbildungs- und Resozialisierungsprogrammen und damit verbundenen Haftverkürzungen auf. Doch solange die Software das nicht umsetzt, hülfen diese Gesetze niemanden.
(ds)