Solingen: Polizei soll Gesichts- und Stimmerkennung im Netz durchführen

Der Regierungsentwurf für die Ampel zur Terrorismusbekämpfung aus dem "Sicherheitspaket" geht weiter als angekündigt und schließt einen Stimmenvergleich ein.​

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Halbes Gesicht einer weißen Frau, darüber gelegt symbolische Rasterung

(Bild: Fractal Pictures/Shutterstock.com)

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Die Bundesregierung verschärft ihre Pläne zur Netzüberwachung. Zusätzlich zur Ankündigung von Ende August, Fotos und Videos aus dem Internet polizeilicher Gesichtserkennung zu unterziehen, sollen jetzt auch Videos und Tonaufnahmen mittels Stimmerkennung gerastert werden.

Das geht aus heise online vorliegenden Dokumenten hervor. Die Regierungsparteien haben ihr "Sicherheitspaket" nach der tödlichen Messerattacke in Solingen zweigeteilt, in einen Entwurf zur Novelle des Asylsystems sowie einen zur "Verbesserung der Terrorismusbekämpfung". Beide Papiere, die heise online vorliegen, hat die Exekutive den Ampel-Fraktionen als "Formulierungshilfe" zugeleitet. Digitalpolitisch bedeutend ist der Entwurf für ein neues Kapitel im bereits ständig erweiterten Anti-Terror-Kampf.

Strafverfolgungsbehörden sollen nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch zu Zwecken der Gefahrenabwehr "biometrische Daten zu Gesichtern und Stimmen" mithilfe automatisierter technischer Verfahren mit Informationen etwa aus Sozialen Netzen abgleichen, heißt es in dem Entwurf. "Ziel ist es insbesondere, mutmaßliche Terroristen und Tatverdächtige zu identifizieren und zu lokalisieren." So könnten Ermittler beispielsweise Lichtbilder einer Zielperson IS-Propagandavideos gegenüberstellen, um Hinweise auf Gesuchte "sowie Mittäter oder Hintermänner" zu erhalten.

Die entsprechenden Paragrafen, mit denen die Gesetze fürs BKA, die Bundespolizei und die Strafprozessordnung (StPO) angereichert werden sollen, beziehen sich nicht nur auf Terrorismus. Vielmehr soll ein nachträglicher Abgleich biometrischer Daten auf Basis des breiten Katalogs in Paragraf 100a StPO zulässig werden. Dieser fängt mit Mord und Totschlag an, reicht aber über Steuerdelikte, Computerbetrug und Hehlerei bis zu alltäglicher Kriminalität. Weitere Voraussetzungen sollen sein, dass "die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt" und "die Identitätsfeststellung oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre".

Einen Abgleich mit Daten "aus im Internet öffentlich zugänglichen Echtzeit-Lichtbild- und Echtzeit-Videodateien ist ausgeschlossen", schreibt die Regierung. Dies soll sich laut der Begründung sowohl auf klassische Livestreams als auch auf Aufnahmen aus Webcams an öffentlich zugänglichen Orten beziehen. Andererseits sollen durchaus Lichtbild- und Videodateien gerastert werden, "die gegen oder ohne das Einverständnis des Betroffenen von Dritten ins Internet übertragen werden oder Informationen unfreiwillig preisgeben". Kritiker warnen vor einer "biometrischen Rundum-Überwachung" und einem Bruch des Koalitionsvertrags.

Die Regierungsparteien wollen auch die automatisierte Analyse polizeilicher Daten durch das BKA und die Bundespolizei gestützt durch Künstliche Intelligenz (KI) erlauben, sowie das Testen und Trainieren von Daten für KI-Anwendungen für Big-Data-Analysen im Stil von Palantir & Co. Dazu dürften die Strafverfolger erstmals die große Menge polizeilicher Datenbanken zusammenführen und durchforsten. Datenschützer und Rechtsexperten warnen seit Jahren, dass damit die Unschuldsvermutung verlorengehe. Das Paket soll voraussichtlich noch in dieser Woche im Bundestag erstmals beraten werden. Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge kündigte an, die Entwürfe "sehr ausführlich prüfen" zu wollen, insbesondere "mit Blick auf verfassungsrechtlich und europarechtlich relevante Fragen".

(ds)