Spielefestival soll Renommee der Gamesbranche heben

Bei Living Games, dem ersten sogenannten Kultur- und Kreativfestival der Spielebranche als Teil der Kulturindustrie, ging es nicht um die neuesten Konsolen oder Grafikkarten, sondern um Video- und Computerspiele als kulturelles und soziales Phänomen.

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Von
  • Georg Immich

Mit einem Vortrag von Stephan Reichart zur "Generation Games" ging die erste Ausgabe der Living Games zu Ende. Beim ersten sogenannten Kultur- und Kreativfestival der Spielebranche als Teil der Kulturindustrie ging es nicht um die neuesten Konsolen oder Grafikkarten, sondern um Video- und Computerspiele als neues kulturelles, kreatives und soziales Phänomen.

Mit knapp 500 zahlenden Besuchern war die Publikumsresonanz überschaubar. Die Veranstalter nennen als Hauptgrund für den geringen Besucherzuspruch das relativ späte Zustandekommen der Finanzierung und der darin begründete zu späte Start der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Die Besucher, die den Weg in die Bochumer Jahrhunderthalle fanden, äußerten sich durchweg positiv über das Angebot an zwanzig Vorträgen und Diskussionen sowie über die Kreativinseln, die Einblicke in die Arbeit von Spieledesignern boten. Während sich Fachbesucher an juristischen Fragen wie der Vereinbarkeit von E-Sport und Jugendschutz oder für Diskussionen über neue Berufsbilder und Ausbildungswege erwärmen konnten, waren der normale Spieler und die normale Spielerin mehr an den Hintergrundinformationen der Praktiker interessiert, die über ihre neuen Arbeiten berichteten.

So stellte der Designer Florian Busse von den Radon Labs die Entwicklung der Figuren und Landschaften der neuen Version von "Das schwarze Auge" mit dem Titel "Drakensang" vor. Diese PC-Adaption des Rollenspiels ist in der letzten Korrekturphase und wird Ende Juli herauskommen. Der Lead Game Designer und Romanautor Michael Bhatty wiederum gab einen Einblick in die Dramaturgie des Ende des Jahres erscheinenden "Far Cry 2: Blood Diamonds". Ganz praktisch wurde Rob Leuchtenberger: Der Zeichner und Airbrush-Artist, der im letzten Jahr an zwei noch geheimen Entwicklungen mitgearbeitet hat, sammelte zunächst ein Dutzend Charakterisierungen und Vorschläge aus den Zuschauerreihen ein. Inspiriert von den Vorschlägen führte er dann innerhalb von 15 Minuten in Bleistift und mit Radierungstechnik eine Gebäudeskizze aus, in der Fachsprache ein Scribble genannt. Für Leuchtenberger war diese Geschwindigkeit nichts Besonderes: "Wenn man bei einem Projekt 30 Gebäude in zwei Tagen erstellen soll, hat man pro Gebäude auch nur 30 bis 40 Minuten zur Verfügung – für Gesichter würde man sich natürlich mehr Zeit nehmen."

Auf die häufig übersehenen sozialen Aspekte der aktuellen Computerspiele gingen Stephan Reichart und Teut Weidemann in ihren Vorträgen ein. Reichart wies darauf hin, dass in der breiten Palette der Spielgenres Ego-Shooter sowohl in den Verkaufscharts für PCs als auch in den Charts für Konsolen auf dem Rückzug seien und beim Marktanteil jeweils hintere Plätze belegten. Reichart und Weidemann waren sich einig, dass bereits die Gegenwart und vor allem die Zukunft den Multi-Player-Spielen gehört. Durch die Gildenstruktur bei MMOGs wie "World of Warcraft" werde schon zur erfolgreichen Teilnahme soziale Kompetenz benötigt und im Verlauf des Spiels besonders trainiert. Die Erfahrungen, die man bei der Leitung einer Gilde macht, ließen sich nicht nur gut als Community-Manager eines Online-Spiels einsetzen, sondern prädestinierten für Managementaufgaben in der Wirtschaft.

Für den Unternehmensberater Teut Weidemann (Ex-Vorstand der CDV Software AG), der seit über zehn Jahren MMOGs spielt, ist der Alltag eines Gildenmitglieds 1 : 1 vergleichbar mit der Mitgliedschaft in einem Tennisverein oder einem anderem Sportverein. Wie in jedem Verein fänden im Laufe der Zeit diverse Paare zueinander, andere Mitglieder verkrachten sich und stiegen aus; wieder andere erhielten durch ihr herausragendes Engagement im Verein reale Jobangebote.

Stephan Reichart, sowohl Veranstalter der Living Games als auch Geschäftsführer des Bundesverbandes der Spieleentwickler, arbeitete die Unterschiede der gerade heranwachsenden "Generation Games" in Abgrenzung zur "Generation Golf" und den Nicht-Spielern heraus. Er attestiert den Jugendlichen, die mit Multi-Player Spielen aufwachsen, dass sie stärker international vernetzt sind als die anderen beiden Gruppen und verstärkt Multi-Tasking beherrschen, sodass sie neben der Arbeit noch mit anderen Leuten kommunizieren können. Defizite sieht Reichart in der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht.

Sogar in der Politikerrunde zum Thema Gamesbranche in Nordrhein-Westfalen zeigte sich ein Wandel in der Wahrnehmung des Computerspielers. Selbst in der CDU wird der Gamer an sich nicht mehr nur als ein potenzieller Amokläufer wahrgenommen. Laut dem zuständigen Referatsleiter Medienwirtschaft in der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen, Benedikt Berg-Walz, zeigten sich NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) und der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) bei einer E-Sport Veranstaltung in Köln überrascht und angetan von der positiven Stimmung der mehreren tausend Zuschauer.

Die Zukunft des Festivals scheint mittlerweile gesichert: Die Living Games wird in das Kulturhauptstadtprogramm Ruhr 2010 aufgenommen. Stephan Reichart hat schon konkrete Vorstellungen für eine zweite, verbesserte Ausgabe. Sie soll an vier Tagen Ende Mai nächsten Jahres stattfinden und ein erweitertes Programm bieten. Man will sich noch stärker an der Struktur der Berliner Filmfestspiele orientieren und sowohl einen internationalen als auch einen deutschen Wettbewerb für Computerspiele ins Leben rufen. Außerdem plant Reichart ein spezielles Angebot für die örtlichen Schulen. (Georg Immich) / (jk)