Softwarefehler: Boeing-Passagierflugzeug fast abgestürzt

Beim Start einer Boeing 737-800 in Bristol versagte das Autothrottle-System und die Schubkraft hätte fast nicht gereicht, berichtet das britische Aufsichtsamt.

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Flugzeug vom Typ Boeing 737-800

Eine Boeing 737-800 im Dienste von TUI, Symbolfoto.

(Bild: TUI, Archiv)

Lesezeit: 5 Min.

Neuer Ärger für Boeing wegen technischer Probleme: Eine fast vollbesetzte Passagiermaschine vom Typ 737-800 entging vor Kurzem wegen eines Softwarefehlers und menschlicher Fehleinschätzungen nur knapp einer Katastrophe. Das von TUI betriebene Flugzeug startete am 4. März 2024 mit 163 Passagieren an Bord vom Flughafen Bristol nach Las Palmas auf Gran Canaria, geriet beim Abheben aber in große Schwierigkeiten. Es verließ die Startbahn 9 knapp vorm Ende der Startbahn in einer Höhe von nur drei Metern. Anschließend flog die Mittelstreckenmaschine in nur 30 Metern Höhe mit einer Geschwindigkeit von etwa 150 Knoten (rund 278 Kilometer pro Stunde) über die nahe gelegene Schnellstraße A38.

Der voreingestellte Schub sei deutlich zu gering gewesen, um die vorgeschriebene Leistung zu erreichen, heißt es in einem ersten Bericht der britischen Stelle für Flugunfalluntersuchungen Air Accidents Investigation Branch (AAIB). Demnach schaltete sich das Autothrottle-System, das die Triebkraft vom Start bis zur Landung maschinell steuern kann, nach einem Warnhinweis aus. Der Autothrottle (A/T) befand sich zu diesem Zeitpunkt im Startmodus eingestellt zum Abheben. Anschließend habe die Besatzung manuell den Schub auf 84,5 Prozent der Drehzahl des Triebwerksgebläses (N1) eingestellt, was niedriger gewesen sei als die nötigen 92,8 Prozent. Keiner der Piloten habe den Fehler bemerkt. Er sei auch nicht durch die Standardbetriebsverfahren der Flugverkehrskontrolle erkannt worden.

Die AAIB schätzt den Vorfall als ernst zu nehmend ein, er müsse weiter analysiert werden. Ihr Sonderbulletin enthält vorläufige Informationen für Piloten und Bediener der Boeing 737 Next Generation (737NG) über das Auftreten des A/T-Ausfalls und die Maßnahmen, die der Hersteller von der Besatzung in einem solchen Fall erwartet.

Autothrottle soll die Arbeitsbelastung der Piloten erheblich verringern, Kraftstoff sparen und den Motor schonen. Die N1-Grenzwerte werden normalerweise vom Flugmanagementcomputer bereitgestellt. Jeder Schubhebel wird mit einem unabhängigen Autothrottle-Servomotor (ASM) bewegt. Die Schubhebel können manuell gesteuert werden, oder – wenn der A/T aktiv ist – sie positionieren die Servomotoren die Griffe so, dass sie den berechneten Triebkraftanforderungen entsprechen. Das A/T-System wird während des Flugs spätestens wieder aktiviert, wenn der Pilot in Schubreduzierungshöhe den N1-Modus wählt, um den Steigschub einzustellen. Sie wird automatisch deaktiviert, wenn ein Systemfehler erkannt wird.

Probleme mit dem A/T bei den aktuellen 737-Flugzeugen sind laut der AAIB längst bekannt. Der Hersteller selbst spreche von einem System, "das eine lange Geschichte von ärgerlichen Unterbrechungen während des Startmodus aufweist". Die Fehlerhistorie enthalte viele Meldungen für den ASM bei beiden Gashebeln. Normalerweise würden bei nachfolgenden Funktionsprüfungen des Systems keine Fehler gefunden. Untersuchungen des Flugzeugbauers zusammen mit dem ASM-Hersteller hätten aber ergeben, dass ein früheres Modell des Motors anfälliger für Einschalt- oder Leistungsübertragungsereignisse war. Diese hätten dazu führen können, dass der ASM intern herunterfährt und eine Unterbrechung des A/T verursacht, wenn der Knopf zur automatischen Schubregelung gedrückt wird.

Ein neueres ASM-Modell ist der Aufsicht zufolge robuster gegenüber den mit Einschalt- und Leistungsübertragungsereignissen verbundenen Stromqualitätsproblemen. Der Hersteller empfehle daher allen Betreibern der 737NG, die von dem Fehler betroffen sind, ihre Flugzeuge mit der neueren ASM-Variante und der zugehörigen Flugsteuerungssoftware nachzurüsten. Er habe dazu im Oktober 2021 einen Ratgeber inklusive Service Bulletin für den Austausch beschrieben. Zum Zeitpunkt des Ereignisses bei Bristol sei die Maschine aber mit dem früheren ASM-Modell ausgestattet gewesen.

Der Flug war Teil eines Trainingsabschnitts für einen neuen Kapitän, dem der Flugzeugkommandant zur Seite stand. Als der A/T-Schalter nach der anfänglichen Autothrottle-Deaktivierung wieder aktiviert worden sei, habe das System die Schubhebelservos nicht wie von den Piloten erwartet gesteuert, schreibt die AAIB. Vielmehr habe es in einen Notfallmodus gewechselt. "Infolgedessen bewegten sich die Schubhebel nicht auf die erforderliche Schubeinstellung" und keiner der Piloten habe dies korrigiert. Deswegen sei die Leistung des Flugzeugs gemindert worden. Ein TUI-Sprecher versicherte gegenüber dem Independent, sein Unternehmen arbeite eng mit den Behörden zusammen. Die AAIB-Empfehlungen seien hilfreich für den gesamten Luftfahrtsektor.

Boeings Sicherheitsstandards stehen seit einiger Zeit im Zentrum von Kritik. So fiel im Januar kurz nach dem Start in Portland eine Tür von einer brandneuen 737 Max. Im April landete ein Boeing-Frachtflugzeug in Istanbul ohne ausgefahrenes vorderes Fahrwerk, konnte sich aber auf der Landebahn halten. Vor fünf Jahren zahlte der Luftfahrtgigant 2,5 Milliarden US-Dollar, nachdem zwei neue 737 Max-Jets abgestürzt waren und dabei insgesamt 346 Menschen starben.

Update: Datum und Begrifflichkeiten korrigiert.

(anw)