Startup-Pleiten nach Zusammenbruch der Silicon Valley Bank befürchtet

Nachdem die Behörden die Kontrolle über die Silicon Valley Bank übernommen haben, zittern Start-ups um nicht abgesicherte Millionen-Einlagen und ihre Zukunft.​

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Firmenschild auf dem Grundstück des Hauptquartiers der Silicon Valley Bank in Santa Clara, US-Bundesstaat Kalifornien.

(Bild: Sundry Photography/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Nach der Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) am Freitag warnen Investoren vor einem Domino-Effekt, der die Startup-Szene und andere Banken treffen könnte. Den Bankkunden stellt sich die bange Frage, ob und wann sie ihr Geld wiederbekommen. Während die Behörden und auch die US-Regierung versuchen, die Lage zu beruhigen, wird im Silicon Valley befürchtet, dass die SVB zahlreiche Start-ups mit in den Abgrund zieht.

Kunden der SVB hatten am Donnerstag 42 Milliarden US-Dollar abgezogen und das Institut damit in die Insolvenz gestürzt. Am Ende des Tages fehlten der Bank Barmittel von etwa 958 Millionen US-Dollar in der Kasse. Das geht aus der Anordnung der kalifornischen Finanzaufsicht Department of Financial Protection and Innovation (DFPI) hervor, mit der die Behörde am Freitag die Insolvenz der Bank erklärte und die Geschäfte übernahm.

Der Kundenkreis der Silicon Valley Bank besteht aus Technologiefirmen, Start-ups und Risikokapitalgebern. Technologiefonds wie Peter Thiels Founders Fund, Coatue Management oder Union Square Ventures hatten ihren Partnern am Donnerstag geraten, ihre Einlagen abzuziehen. Neben Geschäftskonten führt die SVB auch Gehaltskonten von Angestellten im Silicon Valley. Vor den Filialen der Bank bildeten sich lange Schlangen.

Auslöser des Zusammenbruchs waren Zweifel an der Liquidität der Bank. Am Mittwoch hatte die SVB überraschend mitgeteilt, einen Anlageverlust von rund 1,8 Milliarden US-Dollar mit der Ausgabe eines neuen Aktienpakets im Wert von 1,75 Milliarden US-Dollar kompensieren zu wollen. In einer weiteren Transaktion sollte ein Finanzinvestor Stammaktien im Wert von 500 Millionen US-Dollar übernehmen.

Die Nachricht ließ den Aktienkurs der SVB Financial Group abstürzen. Am Donnerstag schloss das Papier mit 60 Prozent im Minus. Der Absturz hatte Auswirkungen auf den ganzen Bankensektor. Aktien großer Banken weltweit gaben nach. Als sich der Trend im nachbörslichen Handel und zur Börseneröffnung am Freitag fortsetzte, schritt das DFPI ein.

Zum Verhängnis wurden der SVB letztlich die Erhöhung der US-Leitzinsen und die Spezialisierung auf die Startup-Szene. Der erlauchte Kundenkreis hatte dank des Tech-Booms der vergangenen Jahre keine Geldprobleme und fragte weniger Kredite nach. Auf dem Höhepunkt des Booms im Jahr 2021 hatte die SVB rund 91 Milliarden US-Dollar der Kundeneinlagen langfristig in einem vergleichsweise risikoarmen Anlagenportfolio aus hypothekenbesicherten Wertpapieren und Staatsanleihen geparkt.

Inzwischen hat die US-Zentralbank die Leitzinsen erhöht und eine weitere Erhöhung steht im Raum. Die Anleihen im Portfolio der SVB verloren damit an Wert, weil sie niedriger verzinst sind als aktuelle Anleihen. Zugleich war zu erwarten, dass Startup-Kunden angesichts der Zinssteigerungen nicht mehr an billiges Geld kommen und eher an die eigenen Reserven gehen – und damit Geld von der Bank abziehen. Zudem stand im Raum, dass die Rating-Agentur Moody’s ihre Bewertung der SVB senken könnte.

Mit einer Reihe “strategischer Maßnahmen” versuchte die SVB einen Liquiditätsengpass zu vermeiden. Am Mittwoch stieß die SVB nahezu alle verkaufsfähigen Anleihen im Wert von 21 Milliarden US-Dollar ab und kündigte an, dass dadurch im ersten Quartal ein Verlust von 1,8 Milliarden US-Dollar in die Bilanz einfließen werde. Das Minus sollte mit der Ausgabe neuer Aktien ausgeglichen werden. Die Nachricht löste den Kursrutsch aus. Am Freitag kam dann auch die befürchtete Abwertung von Moody’s.

Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank ist die größte US-Bankenpleite, seit die Washington Mutual im September 2008 infolge der Immobilienkrise in die Insolvenz musste. Die SVB stand auf der Liste der größten US-Banken auf dem 16. Platz. In den Büchern stehen Vermögenswerte von insgesamt rund 209 Milliarden US-Dollar. Es ist kaum anderthalb Jahre her, dass die SVB Financial Group an der Börse mit rund 44 Milliarden US-Dollar bewertet war. Jetzt ist sie pleite.

Die Bankenpleite könnte sich zu einem größeren Problem für den Startup-Sektor auswachsen. Zwar sind die Einlagen per US-Gesetz versichert, aber nur bis jeweils 250.000 US-Dollar. Viele Geschäftskunden hatten jedoch Millionen auf der Bank – was von denen jetzt noch übrig ist, muss sich erst zeigen. Der als Insolvenzverwalter eingesetzte Einlagensicherungsfonds Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) versucht, die SVB zu liquidieren und Ansprüche über die gesetzliche Einlagensicherung hinaus aus den Erlösen zu bedienen. Einen Käufer für die SVB gibt es bisher nicht, aber einige der großen Bankhäuser dürften eine Übernahme zumindest erwägen.

Wie groß der Anteil der ungesicherten Anlagen ist, muss die FDIC erst noch ermitteln. Es ist damit zu rechnen, dass der Großteil der zuletzt 161 Milliarden US-Dollar nicht versichert ist. Ende 2022 hatte die Bank gegenüber der Börsenaufsicht SEC geschätzt, dass gut 95 Prozent der Einlagen nicht von der Einlagensicherung geschützt seien.

Die neue Homepage der Silicon Valley Bank, die von der Finanzaufsicht geschlossen wurde.

(Bild: Screenshot)

Dieses Geld fehlt den SVB-Kunden zumindest vorerst. Für Start-ups kann das bedeuten, dass sie schon die nächste Gehaltsrunde nicht mehr bezahlen können. Auch für das operative Geschäft fehlt nun Geld. Zudem werden gerade junge Start-ups angesichts des nachlassenden Tech-Booms und höherer Zinsen Schwierigkeiten bekommen, Anschlussfinanzierungen zu sichern. Im Silicon Valley geht die Angst vor einer Pleiteserie um.

Die Insolvenz der SVB könnte hunderte kleine Tech-Unternehmen mit in den Abgrund ziehen, warnt Garry Tan, Präsident der Startup-Schmiede Y Combinator, im US-Sender CNBC vor einem Domino-Effekt. Er schätzt, dass mehr als 1000 Start-ups von der Bankenpleite betroffen sind und rund ein Drittel davon schon bald in existenzielle Nöte geraten, wenn sie nicht an ihr Geld kommen.

Die FDIC hat für die kommende Woche eine Vorauszahlung auf Liquidationserlöse für Eigentümer nicht abgesicherter Einlagen in Aussicht gestellt. Unbestätigten Berichten zufolge könnte das bereits am Montag passieren, sollte die FDIC über das Wochenende Fortschritte bei der Liquidation machen. Die Summe hängt davon ab, wie viel Vermögenswerte die FDIC bereits flüssig machen kann. Laut einem Bericht von Bloomberg geht es um 30 bis 50 Prozent der ungesicherten Einlagen oder sogar mehr.

Auch in Deutschland sind Start-ups von der Pleite betroffen, berichtet das Handelsblatt. Darunter seien Firmen wie HelloFresh und Lilium. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bestätigte dem Wall Street Journal, dass sie mit der deutschen Tochter der SVB in Kontakt stehe.

Darüber hinaus machen sich Experten und Politiker Sorgen, dass die Krise einer auf eine Nische spezialisierten Regionalbank auf andere kleine Banken und Märkte überspringt. “Das ist wie ein Lehman-Brothers-Moment für das Silicon Valley”, zitiert das Time-Magazin einen anonymen Gründer, der Millionen auf der SVB liegen hat. Die US-Investmentbank Lehman Brothers war infolge der Immobilienkrise zusammengebrochen und hatte damit die globale Finanzkrise befeuert.

In Washington bemüht sich die US-Regierung deshalb, die Situation zu beruhigen. US-Finanzministerin Janet Yellen hatte am Freitag eine Krisensitzung mit den beteiligten Behörden einberufen. Sie habe “vollstes Vertrauen, dass die Bankenaufsicht die richtigen Maßnahmen ergreift”, sagte Yellen am Freitag. Wirtschaftsberater der Regierung verwiesen auf neue Regeln, die nach der Krise 2008 eingeführt wurden, um das Bankensystem insgesamt weniger anfällig zu machen.

Unterdessen hat die britische Zentralbank ein Insolvenzverfahren für die SVB-Tochter in London angestoßen. Die SVB UK hat Berichten zufolge rund 650 Mitarbeiter und führt tausende Konten. Finanzminister Jeremy Hunt sprach von einem “ernsthaften Risiko” für den Tech-Sektor und sicherte den von der Pleite betroffenen Unternehmen in Großbritannien schnelle Hilfe zu.

(vbr)