Studie: Forscher machen Immunsuppressiva nach Organtransplantation überflüssig
Eine Studie macht Hoffnung auf ein Leben ohne Immunsuppressiva nach Organtransplantation. Schweine mit Spenderlungen leben bereits seit Jahren ohne Medikamente.
Einem internationalen Team unter Leitung der Medizinischen Hochschule Hannover ist es bei Göttinger Minischweinen gelungen, durch gezielte genetische Veränderung der Spenderlunge das Langzeitüberleben nach einer Transplantation deutlich zu verbessern – ohne die sonst notwendige lebenslange Unterdrückung des Immunsystems (Immunsuppressionstherapie). 2026 sollen erste Menschen eine gentechnisch veränderte Lunge erhalten, wie der Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule und Mitgründer von Allogenetics, Prof. Rainer Blasczyk, heise online gesagt hat.
Obwohl sich die Ergebnisse der Organtransplantation stetig verbessert haben, erreicht die Lebensdauer der Transplantate nicht die Lebenserwartung der Patienten. Insbesondere bei Lungentransplantationen ist die Langzeitüberlebensrate der Transplantate gering. Bei einer Organtransplantation erkennt das Immunsystem des Empfängers bestimmte Moleküle auf der Oberfläche des Spenderorgans als fremd. Diese Moleküle heißen MHC (beim Menschen HLA, beim Schwein SLA – siehe Kasten). Sie sind auch als Gewebemerkmale bekannt und funktionieren wie ein Erkennungszeichen, mit dem das Immunsystem zwischen "körpereigen" und "fremd" unterscheidet.
MHC-Moleküle (Major Histocompatibility Complex) sind Proteine auf der Oberfläche fast aller Körperzellen, die eine wichtige Rolle bei der Immunerkennung spielen. Ihre Hauptfunktion besteht darin, den Immunzellen Peptide (kurze Proteinfragmente) zu präsentieren, anhand derer diese zwischen "selbst" und "fremd" unterscheiden können.
Es gibt zwei Hauptklassen von MHC-Molekülen:
1. MHC-Klasse-I-Moleküle kommen auf fast allen kernhaltigen Zellen vor. Sie präsentieren Peptide aus dem Zellinneren, die beispielsweise von Viren oder Tumoren stammen können. Erkennt eine CD8-T-Zelle ein fremdes Peptid auf einem MHC-I-Molekül, führt dies zur Zerstörung der infizierten oder entarteten Zelle.
2. MHC-Klasse-II-Moleküle kommen vor allem auf spezialisierten Immunzellen wie dendritischen Zellen (zur Antigenerkennung), Makrophagen und B-Zellen vor. Sie präsentieren den T-Zellen Peptide, die von außerhalb der Zelle aufgenommen wurden, zum Beispiel von Bakterien.
Die Gene, die für die MHC-Moleküle kodieren, gehören zu den variabelsten im gesamten Genom. Beim Menschen heißen sie HLA (Human Leukocyte Antigen), bei der Maus H-2 und beim Schwein SLA (Swine Leukocyte Antigen).
Diese hohe Variabilität der MHC-Moleküle ist einerseits wichtig, um möglichst viele verschiedene Krankheitserreger erkennen zu können. Andererseits stellt sie bei Transplantationen eine große Herausforderung dar, da Unterschiede in den MHC-Molekülen zwischen Spender und Empfänger vom Immunsystem als "fremd" erkannt werden und eine Abstoßungsreaktion auslösen können.
Sind die MHC-Moleküle von Spender und Empfänger sehr unterschiedlich, löst das Immunsystem eine Reaktion aus, um das fremde Organ zu zerstören – auch Abstoßung genannt. Um dies zu verhindern, müssen Patienten nach einer Transplantation Medikamente einnehmen, die das Immunsystem unterdrücken. Die Abstoßung kann dadurch zwar nicht komplett verhindert, aber deutlich verzögert werden.
Allerdings sind diese Medikamente oft mit schwerwiegenden Nebenwirkungen verbunden und belasten die Patienten ein Leben lang. "Da das Problem der Abstoßung seit Jahrzehnten ungelöst ist, haben wir nach einem komplett neuen Weg zur Lösung des Problems gesucht: Statt das Immunsystem des Empfängers durch Immunsuppressiva blind zu machen, wollen wir das Organ immunologisch unsichtbar machen", erläutert Prof. Blasczyk.
Daher wäre es ein großer Fortschritt, wenn sich die Spenderorgane so verändern lassen, dass sie vom Immunsystem des Empfängers nicht mehr als fremd erkannt werden. Dann müsste das Immunsystem nicht unterdrückt werden, um die Abstoßung zu verhindern. Das Transplantatüberleben könnte deutlich gesteigert werden und die Patienten würden nach der Transplantation von den Nebenwirkungen der Immunsuppressiva verschont werden.
Ein vielversprechender Ansatz dafür ist, die Produktion dieser "fremden" MHC-Moleküle auf dem Spenderorgan gezielt zu reduzieren. Genau das haben die Forscher in dieser Studie bei Lungen in Göttinger Minischweinen getestet.
Ziel der Studie war es daher, zu untersuchen, ob eine gezielte Herunterregulierung der SLA-Expression durch genetische Modifizierung der Lungen deren Überleben in einem Schweine-Transplantationsmodell verbessern und eine Abstoßung auch ohne Immunsuppression verhindern kann. Damit soll perspektivisch die Abstoßung des Transplantats und die Belastung durch Immunsuppression für Patienten reduziert werden.
Vorbereitung der Spenderlungen
Bei der Lungentransplantation zwischen genetisch unterschiedlichen Minischweinen (allogene Lungentransplantation) haben Wissenschaftler eine neue Methode getestet, um die Überlebenszeit der Transplantate zu verbessern.
Die Spenderlunge eines anderen Schweins wurde nach der Entnahme in ein spezielles Organerhaltungssystem gebracht, das die Lunge außerhalb des Körpers mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Dies wird als ex vivo Lungenperfusion (kurz EVLP) bezeichnet. In diesem System wurden die Lungen dann mit viralen Vektoren behandelt und dadurch gentechnisch verändert.
Zunächst wurde eine Substanz namens Protaminsulfat in die Flüssigkeit gegeben, die durch die Lunge fließt. Diese Substanz unterstützt die Aufnahme der viralen Vektoren durch die Organzellen. Dann wurde eine große Menge speziell entwickelter Viren, sogenannter "lentiviraler Vektoren", in das System eingebracht. Diese Virenvektoren zirkulierten etwa zwei bis drei Stunden in der Lunge. Während der Lungenperfusion liefern die Vektoren die notwendigen genetischen Informationen, die eine stabile Downregulation der MHC-Moleküle in allen Zellen des Organs bewirkt. "Wir haben zunächst vermutet, dass die viralen Vektoren nur die Gefäßinnenwände – die sogenannten Endothelzellen als Schnittstelle zwischen Spender und Empfänger– genetisch verändern, aber dann erfreulicherweise gesehen, dass alle Zelltypen der Lunge erreicht werden", erklärt Frau Prof. Figueiredo.
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Die Lunge wurde dabei auf Körpertemperatur gehalten, um optimale Bedingungen für die Aufnahme der Virenvektoren in die Lungenzellen zu schaffen. Nach dieser Behandlung wurde die Flüssigkeit im System durch eine Mischung aus Schweineblut und einer speziellen Nährlösung ersetzt.
In der Behandlungsgruppe enthielten die Virenvektoren genetische Anweisungen, um die Gewebemerkmale der Lunge zu reduzieren (SLA Klasse I und II). In der Kontrollgruppe hingegen enthielten die Viren keine solchen spezifischen Anweisungen. Dieses Verfahren ermöglichte es den Forschern, die gesamte Lunge vor der Transplantation genetisch zu verändern. Ziel war es, die Lunge so zu verändern, dass sie vom Immunsystem des Empfängers weniger als "fremd" erkannt wird und damit die Chance auf eine erfolgreiche Transplantation ohne dauerhafte Immunsuppression steigt.
Ergebnisse machen Hoffnung
Während alle unbehandelten Lungen innerhalb von maximal 98 Tagen abgestoßen wurden, überlebten fünf von sieben Tieren (71,4 Prozent) mit den gentechnisch veränderten Lungen mehr als 2 Jahre – ohne jegliche Immunsuppression, die nach 28 Tagen abgesetzt wurde.
Die Empfänger dieser SLA-supprimierten Lungen zeigten im Vergleich zu den Kontrolltieren auch deutlich geringere Mengen an Spender-spezifischen Antikörpern und entzündungsfördernden Botenstoffen (Zytokinen) im Blut. Auch die Vermehrung von Immunzellen, die gezielt das fremde Organ angreifen (alloreaktive T-Zellen), war reduziert.
Dass die gentechnische Veränderung nicht zu einer überschießenden Aktivierung bestimmter Immunzellen (Natürliche Killer-Zellen) führte, die auf Zellen mit fehlendem MHC spezialisiert sind, ist darauf zurückzuführen, dass gezielt eine Restmenge der SLA-Moleküle auf der Lunge belassen wurde.
Die Studie zeigt, dass die gentechnische Veränderung zur gezielten Reduktion von Gewebemerkmalen auf dem Spenderorgan – auch ohne die belastende Immunsuppression – das Überleben des Transplantats verbessern und eine Abstoßung verhindern kann. Das Forscherteam hofft, dass sich dieser vielversprechende Ansatz in Zukunft auch auf den Menschen übertragen lässt, um die Lebensqualität und Prognose von Lungentransplantierten deutlich zu verbessern. Bemerkenswert ist, dass die noch lebenden Tiere inzwischen älter als sechs Jahre sind.
Blasczyk und sein Team hätten keine Bedenken gehabt, die veränderten Organe direkt am Menschen zu testen. Das 2022 gegründete Unternehmen wäre gerne schon viel weiter, jedoch dauere das Genehmigungsverfahren für die Tierversuche beim Landwirtschaftsministerium rund ein Jahr. Das könnte nach Sicht von Blasczyk schneller gehen. Für die klinische Studie am Menschen ist geplant, die Immunsuppressiva nicht genauso schnell wie bei den Schweinen, sondern in kleinen Schritten abzusetzen.
Aktuell suchen mehrere etwa 60 Kilogramm schwere LEWE Minipigs noch ein Zuhause. Wer sich vorstellen kann, welche aufzunehmen, kann sich gerne bei der Redaktion melden.
(mack)