Stufenweise zur Online-Wahl

E-Voting-Pioniere dämpfen die Erwartungen an die Stimmabgabe übers Internet vom Schreibtisch aus.

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Vom heimischen Schreibtisch aus mit ein paar Mausklicks zu wählen ist ein alter Traum vieler Computerfreaks. Doch derartigen Wünschen erteilte mit Dieter Otten, dem Leiter der Forschungsgruppe Internetwahlen an der Uni Osnabrück, jetzt just einer der wichtigsten Vorreiter netzbasierter Techniken zur Stimmabgabe eine Absage: Die Modernisierung des Wahlsystems aus dem Geiste des Internet will der Soziologe nun "vom mobilen Wahllokal aus angehen", verriet er am gestrigen Mittwoch während einer Diskussionsrunde auf der Omnicard in Berlin. Denn die Wahl von Zuhause, die vielen Experten noch als zu unsicher erscheint, lasse mit dem Schritt an die öffentliche Urne ein "wesentliches Element" der Demokratie vermissen.

Das eigentliche Einsatzfeld des von ihm mitentwickelten i-vote-Verfahrens sieht Otten seit dieser Erkenntnis in den guten alten Wahlstuben, die elektronisch vernetzt werden sollen. Damit werde das "Mobilitätsproblem" gelöst, demzufolge der Wahlberechtigte seine Stimme bislang häufig nur in "seinem" Wahllokal abgeben kann. Konform geht der Pionier im Bereich E-Voting, an dessen Universität vor zwei Jahren die Wahl zum Studentenparlament als erstes Projekt dieser Art in Deutschland online stattfand, dabei mit Bundesinnenminister Otto Schily. Der will bis 2010 die Möglichkeiten für ein Verfahren realisiert wissen, das nicht mehr an bestimmte Wahlstätten gebunden, aber trotzdem in eine sicherheitstechnisch recht gut zu kontrollierende Umgebung eingebunden ist.

Während das Heimwahl-Szenario bei Otten schon allein wegen der zähen Verbreitung der für die Stimmabgabe am PC in den eigenen vier Wänden benötigten digitalen Signaturen sowie drohender Denial-of-Service-Attacken (DoS) gar nicht mehr auftaucht, geht das Innenministerium nach wie vor von einer "Stufenlösung" aus. Demnach soll letztlich auch "die Wahl von beliebigen Zugängen wie der eigenen Wohnung" aus möglich werden, wie Pia Karger, Mitglied der Arbeitsgruppe Internetwahlen im Schily-Ministerium ausführt. Mit der anfänglichen Stufe sei dabei bereits der wichtige organisatorische Grundschritt zur Vernetzung der Wählerverzeichnisse zu leisten.

Billig wird die Aufrüstung der rund 80.000 Wahllokale hier zu Lande allerdings nicht, da es dort bislang in der Regel nicht mal netztaugliche PCs gibt. Einig sind sich die Experten daher, dass sich der riesige Aufwand allein für die Durchführung von E-Voting nicht lohnt. "Die Kosten lassen sich nur bei einem multifunktionalen Ansatz drücken", sagt der Landeswahlleiter Brandenburgs, Arend Steenken. Die fürs Online-Wählen erforderlichen Infrastrukturen müssten auch für die elektronische Beschaffung und Auftragsausschreibung (E-Procurement), die Akteneinsicht sowie Bürgerbegehren und Volksentscheide mitgenutzt werden.

Mittelfristig rechnen die Staatsvertreter zudem nach wie vor mit Einsparpotenzialen durch die Nutzung der Informationstechnik. "Wir haben die Hoffnung, den Aufwand für die Wahldurchführung zu reduzieren", sagt Pia Karger. Ferner lasse sich auch der Anteil der ungewollt ungültig abgegebenen Stimmen reduzieren und die in manchen Stadtteilen bereits rund 50 Prozent ausmachende Briefwählerschaft besser bedienen. Zudem setzt die Referentin auf einen allgemeinen Schub in der IT-Sicherheitsdebatte und eventuell auch auf eine höhere Wahlbeteiligung.

Dass die Internet-Wahl nicht nur machbar ist, sondern kommen muss, war auf der Omnicard das Abschlussplädoyer der Pilottester. So erklärte der Esslinger Projektleiter Andreas Kraft die im Juli 2001 abgehaltene Online-Kür des Jugendgemeinderats in der schwäbischen Gemeinde zur "sichersten Wahl schlechthin in Deutschland". Das System sei zu jeder Zeit zu 100 Prozent verfügbar gewesen und von eigens beauftragten Kids durchgeführte Hackerangriffe seien erfolglos geblieben. Otten suchte die These durch einen Bericht seiner Forschungsgruppe zu untermauern, wonach sich die konventionellen Wahlen durch "lächerliche Sicherheitsvorkehrungen" auszeichnen würden und gerade bei der Briefwahl das Fälschungspotenzial immens sei. Auch Steenken bezeichnete die Simulation der Personalratswahl beim brandenburgischen Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik als erfolgreich, sodass im April an den drei Standorten der Behörde "richtig" online gewählt werden soll. (Stefan Krempl) / (wst)