Supreme Court: US-Onlinehändler müssen Verkaufssteuern selbst eintreiben
Der US Supreme Court ändert seine Rechtsprechung: Onlinehändler müssen auch dort Verkaufssteuern kassieren, wo sie weder Einrichtungen noch Mitarbeiter haben.
Online- und Versandhändler müssen in den USA nun auch dort Verkaufssteuern (Sales Tax) kassieren und abführen, wo sie keine physische Präsenz haben. Das hat das Höchstgericht des Landes, der Supreme Court, am Donnerstag entschieden (South Dakota v. Wayfair, 17-494). Die Entscheidung ist mit 5:4 Stimmen denkbar knapp ausgefallen. Damit ändert der Gerichtshof nach über 50 Jahren seine Rechtsprechung, wonach US-Staaten nur jene Händler besteuern durften, die im jeweiligen Staat Einrichtungen oder Mitarbeiter haben.
Zwar waren die Lieferungen keineswegs steuerfrei, aber die Pflicht, die Steuer zu erklären und abzuführen, lag bei den Kunden. Daran hielt sich kaum jemand. Die Änderung der Rechtsprechung ist eine gute Nachricht für den stationären Einzelhandel, kleinere US-Staaten und Amazon.com. Der größte Onlinehändler hebt die Steuern nämlich schon seit vergangenem Jahr freiwillig ein. Bereits seit Jahren unterstützt Amazon die Einführung einer allgemeinen Steuerverrechnungspflicht, die Gesetzesanträge fanden aber keine Mehrheit.
Denn die Verkaufssteuern werden bei jeder Transaktion fällig, anstatt, wie in Europa, nur beim Endkunden. Die Steuerlast addiert sich also willkürlich, abhängig von der Zahl der Zwischenschritte und der jeweiligen Margen.
Kafkaesker Steuerwahn
Vor allem aber sind Sales- und Use-Tax ein Lehrbuchbeispiel für ausufernden Föderalismus. Es gibt mehr als 10.000 unterschiedliche Regelwerke für diese Steuern. Während auf Bundesebene nur bestimmte Waren und Leistungen besteuert werden, haben 45 Staaten, der Hauptstadtbezirk DC sowie Guam eigene Steuersysteme. Zudem erlauben 38 Staaten ihren Bezirken (County) und Kommunen eigene Steuern. Nicht übersehen werden dürfen Sonderbestimmungen für Reservate oder Militäreinrichtungen beziehungsweise der dort Ansässigen sowie für Diplomaten.
Dabei unterscheiden sich aber nicht nur die Steuersätze, sondern auch die Definitionen von Verkaufspreis, erfassten Waren und Steuerbefreiungen. "New Jerseys Stricker zahlen Steuern auf Strickgarn, das sie für Kunstwerke kaufen, aber nicht auf Strickgarn, das für Pullover vermarktet wird", nennt der vorsitzende Richter John Roberts in seinem Dissens einige Beispiele, "Texas besteuert den Verkauf einfacher Deodorants mit 6,25 Prozent, verhängt aber keine Steuer auf (schweißhemmende Deos). Illinois stuft Twix und Snickers (…) als Nahrungsmittel beziehungsweise Süßigkeit ein (Twix enthält Mehl, Snickers nicht) und besteuert sie unterschiedlich."
Außerdem gibt es mancherorts einmalige oder regelmäßige "Steuer-Urlaube", zu denen alle oder bestimmte Produkte steuerfrei sind. Für kleine Händler kann der Aufwand, mehr als 10.000 Steuersysteme zu berücksichtigen und jährlich 46 Steuererklärungen für Sales Tax zu machen, ruinös sein. Dazu kommt das Risiko, von jeder der 46 Steuerbehörden einer Prüfung unterzogen zu werden.
Gerichtshof hat sich 51 Jahre lang geirrt
Grundsätzlich dürfen US-Staaten Personen aus anderen Staaten oder zwischenstaatliche Transaktionen nur dann besteuern, wenn eine Beziehung zum besteuernden Staat besteht. 1967 und erneut 1992 hatte der Supreme Court entschieden, dass das eine physische Präsenz im Staat voraussetzt, etwa ein Ladengeschäft, ein Warenlager oder Mitarbeiter.
Das wird nun als Irrtum erkannt, was der Supreme Court nur sehr selten eingesteht. Die vorausgesetzte Verbindung zu einem US-Staat muss jetzt nicht mehr physisch sein, es reicht auch die Verbindung durch die Handelstransaktion oder eine virtuelle Präsenz. Die Begründung konzentriert sich allerdings nicht auf Juristisches, sondern streicht die negativen Auswirkungen der bisherigen Rechtsprechung auf Steueraufkommen und Wettbewerb heraus.
Vier Gegenstimmen
Vier der neun Richter stimmten gegen die Änderung der Rechtsprechung, darunter der Vorsitzende Roberts. Auch sie halten das Erkenntnis aus 1967 für falsch, verweisen aber auf die traditionell hohen Hürden für eine Änderung der Rechtsprechung. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, geltendes Recht zu ändern. Der hat sich auch damit befasst, aber entschieden, die frühere Rechtsprechung nicht zu korrigieren.
Zudem sei die von der Richtermehrheit behauptete Dringlichkeit nicht gegeben. Die Beweise zeigen nämlich, dass inzwischen 80 Prozent der auf Onlinebestellungen fälligen Steuern auch abgeführt werden. Die großen Onlinehändler haben nämlich in immer mehr Staaten Lager oder Mitarbeiter.
Eine große Geldlawine in die Steuerkassen ist also nicht zu erwarten. Für die vielen winzigen und kleinen Anbieter ist der bürokratische Aufwand allerdings ein echtes Problem. Formal hält die Entscheidung ein Steuergesetz Süd-Dakotas aufrecht. Schon bald werden andere US-Staaten ähnliche Regeln verabschieden.
(ds)