TTIP: Lindner will neues Freihandelsabkommen mit den USA, Habeck ist dagegen

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine will Bundesfinanzminister Christian Lindner TTIP wiederbeleben. Wirtschaftsminister Robert Habeck hält davon nichts.

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EU Kommission Brüssel mit Anti-TTIP-Aufkleber im Vordergrund

(Bild: heise online)

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Die Ampel-Koalition streitet über eine Neuauflage der auf Eis gelegten Verhandlungen zu einer Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Im Lichte des Ukraine-Kriegs fordert Bundesfinanzminister Christian eine Wiederaufnahme der 2016 ausgesetzten Gespräche über ein solches Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. "Gerade jetzt in der Krise zeigt sich, wie wichtig der freie Handel mit Partnern in der Welt ist, die unsere Werte teilen", erklärte der FDP-Politiker gegenüber dem "Handelsblatt".

Jahrelange breite Proteste und Demonstrationen hatten die TTIP-Sondierungen vor über fünf Jahren gestoppt. Gegner verwiesen unter anderem auf rechtliche Grauzonen und eine mögliche Absenkung von Umwelt- und Verbraucherstandards. Lindner betont daher: "Aus den Erfahrungen mit den TTIP-Gesprächen sollten wir dabei lernen." Wie er die von vielen Seiten vorgebrachten Bedenken entkräften will, verriet er nicht.

Einige Wirtschaftsexperten stärken dem Liberalen trotzdem den Rücken. Die richtige ökonomische Antwort auf Versorgungsengpässe und strategische Abhängigkeiten seien nicht unbedingt Renationalisierung, sondern der Aufbau alternativer Lieferketten durch Diversifizierung, meint etwa der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Achim Wambach. Wie Russland könne auch China als Absatzmarkt wegbrechen, warnte auch Vincent Stamer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft gegenüber dem Handelsblatt . Deutschland und Europa bräuchten daher andere Partner. Ein europäisch-amerikanisches Handelsabkommen sei in diesen Zeiten "dringender denn je".

Einzelne deutsche Konzerne haben laut "Handelsblatt" bereits angekündigt, künftig stärker auf den US-amerikanischen als den chinesischen Markt setzen zu wollen. Volkswagen-Chef Herbert Diess etwa ließ durchblicken, dass der Marktanteil des Autobauers in den USA von vier auf zehn Prozent steigen solle. VW hatte sich zuvor stark auf China als großen Absatzmarkt orientiert.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck lehnt Lindners Initiative, die offenbar nicht mit den Koalitionspartnern abgesprochen ist, aber ab. Einen solchen neuen Anlauf erwarteten weder die USA noch würde er kurzfristig etwas bringen, gab der Grüne am Montag bei einem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu bedenken.

Habeck verwies auf ein "besseres, einfacheres und erfolgreicheres Instrument" in Form des jüngst von der EU und den USA eingerichteten Trade and Technology Council: "Das sollten wir ausbauen, also ein Zusammenspiel beim Handeln und bei der technischen Regulierung." Eine "ideologische Debatte", die das neu gefundene kooperative Verständnis nach dem Ende der Trump-Regierung wieder gefährden könnte, wäre ein Hindernis. Die Grünen bestehen seit Langem darauf, dass es bei Gesprächen über Handelserleichterungen mit den USA "keinen Deal zu Lasten der Umwelt und von europäischen Standards" geben dürfe.

Der EU-Ministerrat hatte der EU-Kommission prinzipiell schon im April 2019 die Option gegeben, wieder förmliche Verhandlungen mit Washington über eine neue einschlägige Übereinkunft aufzunehmen. Mit dem Beschluss erklärten die Mitgliedsstaaten zugleich ihr einstiges Mandat für TTIP vom Juni 2013 für obsolet. Abgedeckt war ein Handelsabkommen, das sich ausschließlich auf Industriegüter konzentriert. Agrarprodukte sollten nach dem Streit über "Chlorhühnchen" ausdrücklich außen vor bleiben. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) präferiert dagegen den Weg, über den Handels- und Technologierat gemeinsam mit den USA Standards zu setzen.

Lindner setzt sich auch dafür ein, dass Deutschland endlich auch das kaum weniger umkämpfte Freihandelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada ratifizieren soll. Nachdem das Bundesverfassungsgericht vorige Woche entschieden hat, dass sich die Bundesrepublik zunächst grundsätzlich weiter an Ceta beteiligen darf, gebe es "keinen Grund, ein solches Abkommen mit einem befreundeten Staat" länger aufzuhalten.

Das Gericht habe aber auch sichergestellt, dass Entscheidungen der Ceta-Ausschüsse "demokratisch an die Bundesregierung und den Bundestag rückgebunden sein müssen", unterstrich Roman Huber, Beschwerdeführer und Bundesvorstand des Vereins "Mehr Demokratie", stellvertretend für die Initiatoren der nun entschiedenen "Bürgerklage" gegen die Übereinkunft. Der deutsche Vertreter im Ministerrat habe zudem ein Vetorecht. Wenn das deutsche Zustimmungsgesetz vorliege, könne das Bündnis grundsätzlich erneut die Karlsruher Richter anrufen.

(mack)