Tag der Pressefreiheit: Europa als "Schlachtfeld" der freien Meinungsäußerung

Eine Allianz für den Schutz des Journalismus schlägt Alarm angesichts zunehmender Versuche, Pressevertreter einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.

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Tag der Pressefreiheit: Europa als "Schlachtfeld" der freien Meinungsäußerung

(Bild: wk1003mike/Shutterstock.com)

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Auch in westlichen Demokratien geraten Medien verstärkt unter Druck und können ihrer Idealfunktion als "vierte Macht" im System der Gewaltenteilung immer schwerer nacheifern. "2019 stellte Europa ein heftig umkämpftes und oft gefährliches Schlachtfeld für die Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung dar", konstatieren die 14 Mitglieder der "Plattform für den Schutz des Journalismus" des Europarates in ihrem jetzt veröffentlichten Jahresbericht 2020. Sie haben ein beängstigend wachsendes Muster ausgemacht, Pressevertreter einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.

Die europäischen Länder müssten dringend gegensteuern, mahnte die Allianz, der Journalisten- und Bürgerrechtsorganisationen wie 'Reporter ohne Grenzen', 'Article 19' und 'Pen International' angehören, im Vorfeld des heutigen Internationalen Tags der Pressefreiheit. Sonst könnten Medienvertreter die "essenzielle Rolle der freien Presse in demokratischen Gesellschaften" nicht mehr ausfüllen.

Die Plattform verzeichnet in ihrer Analyse für 2019 142 schwere Bedrohungen von Journalisten in den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates, darunter 33 körperliche Angriffe, 17 neue Fälle von Festnahmen sowie 43 von Schikanen und Einschüchterung. Zwei Pressemitglieder seien im vorigen Jahr in Irland und in der Ukraine aufgrund ihrer Berichterstattung vor Ort ums Leben gekommen, zweimal Täter bei Mord straflos geblieben. In 19 Fällen seien freie Journalisten betroffen gewesen. Diese seien oft besonders verletzlich, da sie sich nicht auf Hilfen einer hinter ihnen stehenden Unternehmensorganisation verlassen könnten.

Die zivilgesellschaftlichen Warner äußern sich ferner besorgt über insgesamt 22 anhängige Fälle von Straflosigkeit bei Journalistenmorden. Ende 2019 hätten mindestens 105 Journalisten im Gefängnis gesessen. Mehrfach registrierten sie Versuche, Medien oder einzelne Journalisten mit gezielten strategischen Klagen mundtot zu machen. Dabei gehe es vor allem darum, eine abschreckende Wirkung durch die drohenden hohen Kosten eines langjährigen Rechtsstreits zu erzielen.

Alarmiert ist die Allianz auch wegen verstärkter Hinweise auf Bemühungen staatlicher Behörden, als "falsch, täuschend oder schädlich" bezeichnete Inhalte vor allem unter dem Aufhänger der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung zu zensieren. Vielfach beanspruchten staatliche Stellen dabei im "Kampf gegen Fake News" die Entscheidungshoheit darüber, welche Informationen gedruckt oder gesendet werden dürfen.

Russland etwa habe im April 2019 ein Gesetz eingeführt, das Sanktionen vorsehe für Nutzer, die über das Internet Falschmeldungen verbreiten oder sich despektierlich gegenüber Gesellschaft und Staat oder dessen Symbolen zeigen, bringen die an der Plattform Beteiligten ein Beispiel. Auch Webseiten, die derart verletzendes Material publizierten, könnten blockiert werden. Die Regulierungsbehörde Roskomnadsor habe umfangreiche Befugnisse erhalten, um ohne gerichtliche Überprüfung festzulegen, was "Fake News" seien. Der Staat habe die neuen Kompetenzen als erstes gegen kritische Reporter und Demonstranten eingesetzt.

Im Oktober verhängten türkische Strafverfolger dem Bericht zufolge eine umfangreiche Sperre auf Basis der weitreichenden Anti-Terror-Gesetze des Landes von Nachrichten über Militäraktionen in Syrien. In Albanien habe die Regierung nach einem Erdbeben News-Portale blockiert. Die britische Exekutive habe Proteste ausgelöst mit ihrem Vorschlag, "schädliche" Online-Inhalte zu regulieren und Verlegern sowie Betreibern sozialer Netzwerke und von Internetforen eine vage definierte "Sorgfaltspflicht" aufzuerlegen.

Die politische Kontrolle über den Informationsfluss sei engmaschiger und ausgefeilter geworden etwa durch den Besitz von Medien durch den Staat oder Oligarchen, einschneidende Überwachung und gezielte Cyberattacken, die Schließung kritischer Medien und Online-Portale sowie die rechtliche und behördliche Bedrohung von Akteuren der Presse, beklagen die Autoren.

Die Daten aus dem mittlerweile seit fünf Jahren geführten Verzeichnis führen für sie vor Augen, dass Angreifer die Internetsicherheit von Journalisten zu unterlaufen suchten und es für die Betroffenen schwerer werde, ihren Austausch mit Whistleblowern oder vertraulichen Quellen zu schützen. Dazu kämen weitgehende Überwachungsgesetze ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherungen, die der Polizei und Geheimdiensten teils auch den Zugriff auf Kommunikation von Berichterstattern erlaubten.

Die Generalsekretärin des Europarates, Marija Pejčinović Burić, zeigte sich besorgt über die Ergebnisse der Plattform: "Leider setzt sich die beunruhigende Entwicklung zu Gewalttaten gegenüber Journalisten und deren Einschüchterung, die in den letzten Jahren beobachtet wurde, fort." Sie sei sich auch "der schwierigen wirtschaftlichen Situation bewusst, in der sich viele Journalisten heutzutage befinden". Staatliche Stellen seien gerade in der Coronavirus-Krise "mit beispiellosen Problemen konfrontiert". Die Notlage dürfe ihnen aber nicht als Vorwand dienen, um Journalisten "zum Schweigen zu bringen oder bei der Arbeit zu behindern".

Kampagnenmotiv vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger.

(Bild: VDZ )

Die Kroatin ermutigte die Mitgliedsstaaten der in Straßburg sitzenden Institution, Journalisten in ihrer Rolle als "Wächter" und wichtigen Teil des notwendigen Machtgleichgewichts in demokratischen Gesellschaften zu schützen. Gerade aktuell müssten Medien "über jeden Aspekt der Krise frei berichten können", um die Bevölkerung rasch mit genauen und zuverlässigen Informationen zu versorgen. Nur so seien die Bürger in der Lage, "die Entscheidungen zu überprüfen, welche die Behörden zur Bekämpfung der Pandemie treffen".

"In einer Zeit, in der freie und unabhängige Medien wichtiger sind denn je, nutzen vor allem Regierungen in Osteuropa die Gesundheitskrise als Vorwand, um den freien Informationsfluss zu hemmen und unabhängige Medien zu unterdrücken", monierte der Geschäftsführer des Zeitungsverlegerverbands BDZV, Dietmar Wolff. Es gebe eine "alarmierende Zahl" solcher Fälle, "insbesondere in Staaten mit autoritären Strukturen wie Ungarn und Russland". Der Zusammenschluss hat allen Mitgliedern für den Sonntag ein Werk des Künstler Olafur Eliasson für die Titelseite zur Verfügung gestellt, um ein "weithin sichtbares Zeichen für Pressefreiheit" zu setzen. Der Zeitschriftenverband VDZ veröffentlichte parallel neue Motive für seine einschlägige Werbekampagne und führte einen Schülerwettbewerb zum Thema durch.

Kein Autokrat lasse sich die gegenwärtige Epidemie entgehen, um nicht die Medien noch stärker an die Kandare zu nehmen, schreiben Arch Puddington vom Freedom House und David Kramer von der Florida-International-Universität in einem Beitrag für das Magazin "The American Interest". Sie blicken dabei nicht nur auf die "starken Männer" und Regime in Brasilien, China, Indien, Polen, den Philippinen oder Ungarn, sondern auch auf Donald Trumps ständige Attacken auf die "Mainstream-Medien". Dass der US-Präsident diese ständig mit "Fake News" in Verbindung bringe und als "Feind des Volkes" bezeichne, fordere seinen Tribut: Laut einer Umfrage vertrauten nur 13 Prozent der Republikaner den Nachrichtenmedien in der Corona-Krise, während die Quote bei den Demokraten 72 Prozent betrage.

Der Journalisten-Verband (DJV) erinnerte anlässlich des Tags der Pressefreiheit daran, dass der Bundestag schon vor fast drei Jahren einen UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten gefordert habe. Die Vereinten Nationen müssten dieses Anliegen durch eine solche Stelle endlich dauerhaft aufwerten. Dies sei angesichts der Pandemie dringender denn je, unterstrich DJV-Chef Frank Überall. "Die Pressefreiheit ist selbst in einigen europäischen Staaten wie etwa Ungarn faktisch nicht existent."

Russland und China hätten freie Berichterstattung über Corona ausdrücklich unter Strafe gestellt, kritisierte Überall. Wenn Informationen als Grundstoff nicht verfügbar seien, könnten Medien ihren Auftrag nicht erfüllen. Die Übergriffe auf ein Kamerateam der ZDF-heute-Show am Freitag in Berlin bezeichnete er als "Angriff auf die Pressefreiheit". Die Geschäftsführerin der Journalisten-Gewerkschaft dju, Cornelia Berger, sprach von einem "Alarmsignal auch für die politisch Verantwortlichen".

In Deutschland "ist der Kampf gegen Rechtsextremismus gleichzeitig auch ein Kampf gegen Gewalt an Medienschaffenden", erklärte Margit Stumpp, medienpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Doch auch die abnehmende Medienvielfalt gerade im Lokal- und Regionaljournalismus sei "eine ernstzunehmende Bedrohung für unsere Demokratie". Wenn Medienunternehmen nur noch im Besitz einiger Weniger wären, gäbe es dort keine breiten Diskurse mehr. Europa habe zudem "als Wertegemeinschaft die Pflicht, das Auslieferungsgesuch der USA für Julian Assange abzulehnen".

In der Corona-Krise werde besonders deutlich, wie wichtig die Rolle freier Berichterstattung sei, welche Defizite es gebe und wo Europa nachlegen müsse, betonte Martina Michels, Medienpolitikexpertin der Linken im EU-Parlament. Schätzungen zufolge teilten sich 13 Medienkonzerne europaweit den Markt auf. Es sei daher wichtig, vor allem unabhängige Journale zu fördern und wieder mehr Vertrauen in die Presse zu schaffen.

Der Medienforscher Stephan Ruß-Mohl erkannte unterdessen an, dass die meisten Redaktionen derzeit unter schwierigen Bedingungen Außerordentliches leisteten. "Trotzdem sollten wir der 'systemrelevanten' Institution Journalismus kritische Fragen stellen dürfen." So müsse etwa noch aufgearbeitet werden, ob die Medien rund um Corona "mehr Angst und Schrecken geschürt" hätten als nötig und "mit ihrer erstaunlich konsonanten Berichterstattung den Boden" dafür bereiteten, die Lockdown-Politik der Bundesregierung als "alternativlos" erscheinen zu lassen. (bme)