Taylor Swift & Co.: EU-Abgeordnete machen gegen horrende Ticketpreise mobil

Die "dynamische Preisgestaltung" per Algorithmus schon im Vorverkauf gefragter Konzerte ist Volksvertretern ein Dorn im Auge. Die EU-Kommission soll handeln.​

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Celine Dion gibt Konzert

Konzert im Berliner Olympiastadion.

(Bild: heise online)

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Taylor Swift kommt mit ihrer "Eras"-Tour zwar erst in einem Jahr nach Deutschland, wo sie im Juli 2024 auch nur in Gelsenkirchen, Hamburg und München auftreten wird. In sozialen Medien ist die Aufregung rund um den gerade gestarteten Ticketverkauf für die Konzerte des US-Popstars bereits groß. Denn die Chancen, ihr Idol live zu sehen, ist für Fans gering: Bereits bis zum 23. Juni mussten sie sich für den Vorvorverkauf registrieren. Nur wer in diesem ersten Auswahlverfahren einen Zugangscode erhalten hat, kann nun probieren, eine der begehrten Karten für viel Geld zu erstehen.

Für Swifts Konzert in München seien zeitweise über eine Million Menschen in der virtuellen Warteschlange gewesen, moniert "HerrAusragend" auf Twitter. Andere Nutzer beschweren sich, dass sie beim deutschen Ticketverkäufer CTS Eventim bei dem Code ständig eine Fehlermeldung: "Leider konnte der Vorgang nicht durchgeführt werden."

Kolumnist und Moderator Micky Beisenherz erwartet "eine zehnseitige Reportage" von "Bild" & Co., "wie sie es unter unmenschlichen Bedingungen geschafft haben", zwei Karten für die "Shake It Off"-Sängerin zu bekommen. Dazu tritt die Klage, dass schon jetzt nur noch VIP-Tickets für stolze Preise zwischen 410 und 625 Euro verfügbar seien. Unter 100 Euro geht sowieso nichts – bevor der Schwarzmarkthandel überhaupt gestartet ist.

Dass sich jeder Interessent generell bewerben müsse, um überhaupt die Möglichkeit zum Ticketkauf zu bekommen, bezeichnete Felix Flosbach von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gegenüber tagesschau.de als neu. Eventim stelle nach eigenen Angaben nur die Plattform zur Verfügung. Die Entscheidungen zum Vergabesystem der Tickets liefen über den Veranstalter beziehungsweise das Künstlermanagement. In Frankreich reihten sich am Dienstag ebenfalls über eine Million Swift-Fans in die Online-Schlange beim dortigen Anbieter Ticketmaster – die Webseite brach zusammen, der Verkauf musste unterbrochen werden.

In den USA sorgt der Branchenriese Ticketmaster, der 2010 mit dem Konzertveranstalter Live Nation fusionierte, mit einem neuen Preissystem seit vorigem Jahr zusätzlich für großen Unmut unter potenziellen Konzertgängern. Dort bestimmt die Nachfrage die Ticketpreise bei vielen Künstlern. Vorbild ist das Prinzip der Algorithmen-getriebenen "dynamischen Preisgestaltung", das vor allem Fluglinien und Hotels einsetzen. Eintrittskarten, die normalerweise mit rund 100 US-Dollar zu Buche schlagen, können dann etwa auf das Dreifache steigen, wenn der Zuspruch von Anfang an groß ist. In Großbritannien gingen so zuletzt die Preise etwa für Harry Styles oder Coldplay durch die Decke.

Die in Echtzeit an der Nachfrage orientierte Preisausrichtung kehrt auch in Deutschland ein. "Wir sehen, dass nicht jedem Verbraucher die gleichen Preise angeboten werden, sie etwa je nach Tageszeit unterschiedlich sind", erklärte ein Verbraucherschützer. Der genaue Algorithmus sei nur den Anbietern bekannt.

Die Preistreiberei ruft die Politik auf den Plan. Die EU-Abgeordneten Lara Wolters und René Repasi, die der sozialdemokratischen Fraktion angehören, haben einen Entwurf für einen Brandbrief an EU-Justizkommissar Didier Reynders veröffentlicht. Darin schlagen sie Alarm, dass das Phänomen "die Freude an Live-Musik in einen Luxus verwandelt, den sich nur noch wenige leisten können". Die euphemistisch als "dynamic pricing" bezeichnete Methode, die vor allem Konzerne wie Ticketmaster und Live Nation Entertainment verwendeten, breite sich zunehmend in EU-Staaten aus und schade "der Live-Musik und ihren Fans", vor allem den jüngeren.

Die dynamische Preisgestaltung sei völlig undurchsichtig, beklagen die Volksvertreter. Verbraucher würden über den ursprünglichen Preis von Tickets im Dunkeln gelassen. Dies gelte auch für "die genauen Faktoren, die zu den ansteigenden Preisen beitragen". Es gebe andere Mittel gegen den Schwarzhandel, die keine zusätzlichen Kosten für Fans verursachten. Die finsteren Auswirkungen des neuen Ansatzes seien in den USA sichtbar geworden, wo offizielle Ticketpreise für ein Bruce-Springsteen-Konzert mit 5000 US-Dollar veranschlagt worden seien.

Die EU-Kommission soll den Rechts- und Verbraucherschutzpolitkern zufolge prüfen, ob bestehende Vorschriften zum Verbraucherschutz bereits auf die dynamische Preisgestaltung angewendet werden könnten oder eine solche möglicherweise schon untersagten. Die EU-Kommission müsse ausloten, ob die Praxis als wettbewerbsfeindliches Verhalten gegen den Vertrag über die Arbeitsweise der EU verstößt. Schließlich soll sie Gesetze auf den Weg bringen, um etwa Preisobergrenzen festzulegen, die neue Masche zu verbieten oder Unternehmen dabei zumindest mehr Transparenz abzuverlangen. Das Schreiben wollen die Abgeordneten – zusammen mit weiteren Unterzeichnern – noch im Lauf der Woche abschicken.

Auch mehrere US-Gesetzgeber werfen Ticketmaster vor, seine Macht als dominierender Kartenverkäufer zu missbrauchen. US-Bundes- und Landesbehörden untersuchen den Ansatz. Die zivilgesellschaftliche Organisation AlgorithmWatch unterstrich schon in ihrem ersten Verzeichnis der automatisierten Entscheidungsfindung 2019, dass sich Probleme im Bereich Verbraucherschutz vor allem bei der Preisgestaltung im Online-Handel auftun dürften. Damit könnten bestimmte Gruppen "bevorzugt behandelt oder umgekehrt benachteiligt werden". Einschlägige Praktiken seien grundsätzlich legitim. Dennoch könnten damit systematisch bestimmte Konsumentengruppen sogar von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden.

(vbr)