Telegram vs. Russland: VerschlĂĽsselung muss nicht aufgebrochen werden
Seit mehr als sechs Jahren verlangt Russlands Geheimdienst FSB von Telegram die EntschlĂĽsselung von Chats, der Messenger weigert sich. Damit ist er im Recht.
Russische Gesetze, die dem Messenger-Dienst Telegram nicht nur vorgeschrieben haben, alle Kommunikationsdaten der User vorzuhalten, sondern einige davon den Sicherheitsbehörden zugänglich zu machen – auch wenn dafür die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gebrochen werden muss – verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jetzt entschieden.
Der Gerichtshof hat damit der Klage eines 42-Jährigen aus Russland Recht gegeben, der bis vor das Gericht in Straßburg gezogen war. Die zurückgewiesene Vorgabe "kann in einer demokratischen Gesellschaft nicht als notwendig erachtet werden", heißt es im Urteil des Gerichts.
Langer Streit in Russland
Mit dem Urteil endet ein jahrelanger Rechtsstreit mit einer Niederlage für Moskau. Er hat 2017 begonnen, als Russlands Inlandsgeheimdienst FSB von Telegram die Herausgabe von Nachrichten von sechs Usern eingefordert hat. Weil die aber mit der – nicht standardmäßig aktivierten – Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützt waren, hat Telegram das verweigert. Der Chat-Dienst argumentiert, dass eine Herausgabe der Schlüssel die verschlüsselte Kommunikation aller Nutzer und Nutzerinnen einsehbar machen würde. Klagen vor russischen Gerichten waren dann alle gescheitert, woraufhin sich der Europäische Menschenrechtsgerichtshof des Sachverhalts angenommen hat.
"Insofern als dieses Gesetz staatlichen Behörden erlaubt, umfangreich und ohne ausreichende Sicherheitsvorkehrungen auf elektronische Kommunikation zuzugreifen, verletzt es die Quintessenz von Artikel 8" der EMRK, heißt es jetzt vom Gerichtshof. Der russische Staat habe deshalb in dieser Hinsicht "jeden akzeptablen Ermessensspielraum" überschritten. Die Verpflichtung, bestimmte Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation zu entschlüsseln, führe das Risiko mit sich, dass der Schutzmechanismus für alle User ausgehebelt wird. Das sei nicht verhältnismäßig. Für den Klageführenden sei diese Feststellung eines Rechtsverstoßes ausreichend, die Forderung nach 10.000 Euro Schadensersatz lehnt das Gericht ab.
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Als die Aufforderung des FSB 2017 publik geworden war, meinte Telegram-Gründer Pawel Durow, "der Wunsch des FSB nach Zugang zu privater Korrespondenz ist ein Versuch, seinen Einfluss auf Kosten der verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten der Bürger auszuweiten". Zu dem Urteil aus Straßburg hat er sich bislang nicht geäußert. Der Europaabgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) sagte, dass das Urteil weit über Telegram hinausgehe und eine Aufweichung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung insgesamt für illegal erkläre. Dementsprechende Vorgaben müssten "jetzt endlich" aus den Plänen für die Chatkontrolle gestrichen werden. Ob das für eine spezielle russische Regelung "ohne ausreichende Sicherheitsvorkehrungen" geltende Urteil so weitgehende Bedeutung hat, ist aber unklar.
(mho)