Telepharmazie: "Apotheker sollen dann trotzdem nicht auf den Bahamas sitzen"
Gesundheitsminister Karl Lauterbach will mit der Apothekenreform auch die Telepharmazie voranbringen. Doch noch ist unklar, was der Begriff ĂĽberhaupt bedeutet.
Neben der Baustelle "Entbürokratisierung" – sowohl bei Ärzten als auch bei Apothekern – will Gesundheitsminister Karl Lauterbach auch das Thema "Telepharmazie" angehen, wie aus einem Ende 2023 publik gewordenen Eckpunktepapier zur Apothekenreform hervorgeht. Doch was bedeutet Telepharmazie überhaupt? Darüber diskutierten Experten auf dem Symposium der Bundesapothekerkammer "Telepharmazie – Chancen und Grenzen".
Telepharmazie bezeichnet jede patientenindividuelle, pharmazeutische Leistung von Vor-Ort-Apotheken und Krankenhausapotheken (KH-Apotheken), die auf räumliche Distanz erbracht wird. Sie umfasst jede Form der Information und Beratung, Versorgung und die Bereitstellung pharmazeutischer Informationen und Dienstleistungen, die den physischen Kontakt zwischen Patient und pharmazeutischem Fachpersonal nicht zwingend erfordern, sowie interprofessionelle Konsile.
Hierzu bedient sich die Telepharmazie aller Arten synchroner oder asynchroner Telekommunikation sowie digitaler Anwendungen, digital vernetzter Arzneiformen und therapeutischer Systeme, die zum Zwecke einer Optimierung der Arzneimitteltherapie therapierelevante Parameter ermitteln, monitoren, aufzeichnen, auswerten, speichern oder ĂĽbertragen.
Quelle: Positionspapier der BLAK.
Den Apotheken zufolge ist Telepharmazie im Rahmen von Botendiensten nicht neu. Homeoffice sei nach Sicht der Diskussionsteilnehmer zwar möglich, allerdings kein Ersatz für den direkten Kontakt mit Kunden – ähnlich wie bei Telemedizin der persönliche Kontakt mit dem Arzt als Goldstandard gilt. Gerade wenn Patienten erstmalig über die Anwendung bestimmter Medikamente informiert werden, dürfe das nicht rein telepharmazeutisch geschehen, betont Dr. Hannes Müller, Vorstandsmitglied der Bundesapothekerkammer und Mitglied des Digital Hubs der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Die Diskussion findet zu einem Zeitpunkt statt, in der sich Apothekerinnen und Apotheker eine unsichere Zukunft vor Augen haben, weil das für Online-Apotheken gemachte Cardlink-Verfahren zur Einlösung von E-Rezepten das Sterben niedergelassener Apotheken vorantreiben könnte.
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"Bei jeder Neuverordnung [eines Medikaments] bei einer chronischen Erkrankung bekommt der Patient eine Anleitung durch den Apotheker", so Müller. Dann kommt er regelmäßig zur Apotheke, da "bei einer Neueinstellung häufig Nebenwirkungen auf[treten]. Die führen sehr häufig [...] zum Abbruch der Therapie. Das kann frühzeitig durch Apotheker und Apothekerinnen detektiert werden", erklärt Müller. Bei Bedarf findet dann ein Austausch mit dem Arzt statt.
Vor-Ort-Apotheken wichtig
In Schweden sei "sehr viel ärztliche Kompetenz und Kapazität aus der Fläche abgezogen" worden, so Matthias Mieves, Sprecher für eHealth bei der SPD-Fraktion. Dabei habe sich die Gesundheitsversorgung für die "urbane Klientel verbessert [...], aber für den Rest der Bevölkerung verschlechtert", erklärt Mieves. Daraufhin sei den Apotheken vorgeschrieben worden, dass sie in den Regionen, die sie digital versorgen, auch Vor-Ort-Apotheken zur Verfügung stellen müssen.
Laut dem Präsidenten der Bayerischen Landesärztekammer, Thomas Benkert, sollten Apotheker als Arzneimittelfachleute auch die Möglichkeiten haben, die Dosierungen der Patienten aus der Apotheke heraus anzupassen. Dabei sollte die Erstdiagnose selbstverständlich der Arzt machen. Bald könne dazu auch der elektronische Medikationsplan zum Einsatz kommen.
Die assistierte Telepharmazie könne ebenfalls eine Rolle spielen, bei der ein Hausarzt oder Krankenhausarzt einen Apotheker per Telekonsultation hinzuzieht, der über die Einnahme des Medikaments informiert. Das könne laut Müller helfen, wenn Krankenhäuser über keine eigene Apotheke verfügen. Dennoch hätten Studien gezeigt, dass der persönliche Kontakt am wirksamsten sei.
Kein Call-Center auf den Bahamas
Insgesamt brauche es eine bessere Vernetzung der verschiedenen Experten; das betonen auch Telemediziner regelmäßig. Dabei ist von Hybrid-Ärzten und -Apothekern die Rede – also die, die sowohl aus der Ferne und vor Ort mit den Patienten interagieren. Der persönliche Kontakt mit den Patienten ist den Diskussionsteilnehmern zufolge essenziell. "Es kann nicht sein, dass ich ein Call-Center aufmache, irgendwo auf den Bahamas", so Benkert, und er aus der Ferne über eine Datenbank alle Menschen betreue.
Begriffsunklarheit bei Telepharmazie
Erst kürzlich haben die Apothekerkammern in Nordrhein (AKNR) und die BLAK jeweils in einem Positionspapier festgehalten, was sie unter dem Begriff Telepharmazie verstehen. Dabei koppeln beide den Begriff laut der Deutschen Apothekerzeitung "an die öffentlichen Apotheken und Krankenhausapotheken und wollen Möglichkeiten zur Homeoffice-Arbeit für das pharmazeutische Personal schaffen".
Die BLAK sieht in der Telepharmazie die Möglichkeit, Patienten auf dem Land oder weniger mobile Menschen besser zu versorgen und zu gewährleisten, dass diese ihre Medikamente richtig einnehmen. Die falsche Einnahme von Medikamenten könne nicht nur teuer werden, da Medikamente ihre Wirksamkeit verlieren und eventuell neu verschrieben werden müssen, sondern auch Menschenleben gefährden.
Kampf um Deutungshoheit
Gesundheitsminister Karl Lauterbach möchte mit der Telepharmazie laut Eckpunktepapier jedoch ein Konzept etablieren, bei dem Pharmazeutisch-technische Assistenten Apotheken führen und Apotheker nur bei Bedarf über eine Videokonferenz zugeschaltet werden. Nach Einschätzung der DAZ sind die Positionspapiere und die Veranstaltung der Bundesapothekerkammer ein Ausdruck dafür, dass die Apotheker um die Deutungshoheit des Begriffs Telepharmazie kämpfen. Das Konzept von Lauterbach sei für die Apotheken keine Telepharmazie, stellte BLAK-Präsident Thomas Benkert auf dem Symposium klar.
(mack)