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The Kill Cloud: Wenn die Drohne zuschlägt und das Internet tötet

Stefan Krempl
Reaper Drohne

(Bild: boscorelli/Shutterstock.com)

Der Drohnenkrieg ist laut US-Whistleblowern ohne umfassendes Computer- und Speichernetzwerk dahinter nicht denkbar. Neben Big Tech mische SpaceX kräftig mit.

Als Symbol "gezielter Tötungen" gelten bewaffnete Drohnen wie die MQ-1 Predator und MQ-9 Reaper von General Atomics. Hinter der sichtbaren Spitze des Hellfire-Kriegs aus 4,5 Kilometer Höhe, den vor allem die USA vorangetrieben haben, stehe aber ein massives Kommunikations- und Speichernetzwerk, erklärten die US-Whistleblower Lisa Ling und Cian Westmoreland am Freitag auf der Konferenz "The Kill Cloud" des Disruption Network Lab in Berlin. Dieses bilde den eigentlichen, in der öffentlichen Wahrnehmung bislang unterbelichteten Teil des US-Drohnenkriegs.

Die "Kill-Cloud [1]" verbindet laut den beiden Insidern Sensoren und Waffenplattformen für Drohnen mit einem global verteilten Netzwerk von Geräten, Software und einer Vielzahl anderer Knotenpunkte über Satelliten, Kabel, Funk und digitale Kommunikationsverbindungen. Diese weit verzweigte Infrastruktur werde täglich von tausenden Menschen auf der ganzen Welt in allen militärischen Bereichen, unterstützenden Behörden und Koalitionspartnern aufgerufen, betrieben und gewartet.

Die US-Whistleblower Lisa Ling und Cian Westmoreland am Freitag auf der Konferenz "The Kill Cloud" des Disruption Network Lab in Berlin.

Schier jeder kenne Dienste wie Google Drive, iCloud und Dropbox, führte Ling aus, die früher als Technikerin im Rang eines Sergeant beim US Air Force Drone Surveillance Programme diente. Mittlerweile könnten cloudbasierte Lösungen aber auch "für Analyse, gezielte Schläge und zum Töten eingesetzt werden". Dies sei "das grausame Geschäft des Krieges". Dazu komme das Internet der Dinge mit seinen unzähligen Peripheriegeräten und Sensoren.

"Wir ertrinken alle in Daten", konstatierte die Expertin. Für die Datensektion der Kill-Cloud habe das Pentagon daher eine spezielle Unternehmung in Form des Defense Intelligence Information Enterprise [2] (DI2E) aufgebaut, die Unmengen an Daten einsauge, auswerte und Erkenntnisse teils auch mit Verbündeten teile. Dabei gehe es im Militärjargon um "die Fähigkeit zur Integration, Bewertung, Interpretation und Vorhersage aktueller und zukünftiger Vorgänge in einem physischen Umfeld" alias Schlachtfeld.

Das größere Bild bestehe nicht nur aus einer Drohne, betonte Ling. Diese fungiere – solange sie unbewaffnet sei – meist nur als Träger für Sensoren, "die Daten für dieses riesige analytische Unternehmen liefern, das wir als Distributed Common Ground System [3] (DCGS) bezeichnen". Drohnen seien eine Art "fliegende Briefbeschwerer", die ohne die Verbindung zum Netzwerk nicht ernsthaft eingesetzt werden könnten.

Jeder, der die Suche von Google oder Google Maps nutze, kenne Komponenten der Kill-Cloud, meinte Ling. Die Grenzen zwischen dem staatlichen Militär und privaten Online-Firmen seien darin fließend geworden. Letztlich sei es das Internet, über das getötet werde. Sie selbst sei darüber aus dem Homeoffice zu drei Kriegen "gependelt".

Es gelte, Technologien wie unbemannte Fluggeräte und Drohnen "nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil eines infrastrukturellen Netzwerks mit globaler Reichweite", führte Westmoreland aus. Dieses umfasse zahlreiche einzelne Personen, "die über eine Vielzahl von Standorten verstreut sind" und mithilfe eines Strohhalms einen Überblick über die Gesamtheit und Qualität der Informationen anstrebten, "die außerhalb ihres begrenzten Zuständigkeitsbereichs verarbeitet werden". Dabei sei letztlich jede Rolle für die endgültige Entscheidung über Tod und Leben "gleichermaßen wichtig, aber auch austauschbar".

Der einstige Kommunikationstechniker bei der US Air Force hatte bereits 2016 auf einer Hackerkonferenz Drohnenschläge als gamifizierten "Meuchelmord" beschrieben [4]. Er habe 2009 in Afghanistan geholfen, den Kern der dafür benötigten globalen Kommunikationsinfrastruktur – also die Kill-Cloud – zu errichten. Es handle sich um das System, das Flugzeuge und Drohnen bei der Übermittlung von Bildern, abgesicherter Sprachübertragung, Zielinformationen, Radarbildern und weiträumiger Überwachung über einen geosynchronen Satelliten an die kombinierte Operationszentrale in Katar unterstützte, um die Einheiten zu lenken sowie "Feinde effizienter zu umgehen und in Stücke zu sprengen".

Cian Westmoreland am Freitag auf der Konferenz "The Kill Cloud" des Disruption Network Lab in Berlin.

Eine wichtige Rolle als Relaistation habe dabei die Air Base Ramstein gespielt, berichtete Westmoreland. Der hiesige US-Stützpunkt diene als "Auge des Adlers", das vor allem Verbindungen mit kommerziellen Satelliten herstelle. Er persönlich habe in dieser ausgewachsenen Network-Centric Warfare [5] beobachtet, "wie die Kampfmanager entschieden, welche Fluggeräte die Bomben abwerfen, welchen Anflugwinkel sie haben und welche Feuerlast sie einsetzen sollten".

Auf Basis von SIM-Karten von Mobiltelefonen oder einfach nur einem Aktivitätsmuster, das aus weiter Ferne verdächtig erscheine, würden im Drohnenkrieg Menschen in die Luft gesprengt, kritisierte der Aussteiger. Treffe es die Falschen, könne man sich immer damit herausreden, "die korrekten Verfahrensvorgaben" befolgt zu haben. In seinem Fall habe er daran mitgewirkt, über 200 Leben auszulöschen. Vermutlich seien viele unschuldige Zivilisten darunter gewesen.

Seit seiner aktiven Zeit beim Militär hat sich die auf mobile Hochgeschwindigkeitsverbindungen angewiesene Kill-Cloud laut Westmoreland weiterentwickelt. Im Dezember 2019 "taten sich die US Air Force und das Raumfahrtkommando mit mehreren Unternehmen, darunter SpaceX, zusammen, um ihre fortschrittlichen Gefechtsmanagementfähigkeiten zu demonstrieren". Bei der Übung habe sich ein AC-130 Gunship mit Elon Musks Satelliteninternet Starlink [6] verbunden und so einem Tarnkappen-Kampfflugzeug F-35 eine sichere Kommunikation mit einem Luftüberlegenheitsjäger F-22 ermöglicht.

Im August 2020 sei Starlink zur Koordinierung der verschiedenen Boden- und Luftstreitkräfte in Yuma/Arizona und auf der Andrews Air Foces Base in Washington DC eingesetzt worden, spann der Ex-Militär den Bogen weiter. Sie seien in der Lage gewesen, ein Objekt abzuschießen, das einen Marschflugkörper simuliert habe. Zum Einsatz gekommen seien hier auch 5G-Funkmasten und ein Roboterhund von Ghost Robotics, der über 1200 Meter weit schießen könne [7].

Nicht verwunderlich ist für Westmoreland so, dass Musk jüngst Bitten der ukrainischen Regierung nach Starlink-Terminals sofort nachkam [8]. SpaceX ist für ihn ein militärischer Ausrüster wie Lockheed, Boeing, Airbus oder Raytheon. Die Firma stehe kurz davor, als erste weltweit wiederverwendbare Raketen zu nutzen [9], die gut 100 Tonnen Fracht in 30 Minuten an jeden Ort der Welt transportieren könnten. Er warf daher die Frage auf: "Was würde es für die EU, Russland, China oder jede andere Nation bedeuten, wenn die USA in der Lage wären, in einem Monat mehr Infrastruktur in den Weltraum zu bringen, als bisher die gesamte Welt in der Menschheitsgeschichte?" Für ihn sei es wahrscheinlicher, dass dieses System "als Waffe" verwendet werde als für die Besiedlung des "toten Planeten" Mars.

Jack Poulson, Gründer des Transparenzportals "Tech Inquiry" und einstiger Mitarbeiter in Googles Abteilung für Künstliche Intelligenz (KI), gab Einblicke in das Firmengeflecht rund um das umstrittene militärische KI-Projekt Maven. Sein früherer Brötchengeber hatte sich 2018 aufgrund ethischer Bedenken aus der US-Initiative zurückgezogen [10]. Laut Poulson war der Beitrag Googles aber nur unter "ferner liefen".

Den zwei einschlägigen Ausschreibungsprojekten "Pavement" und "Kubera" zufolge gehörten zu den Unterauftragsnehmern neben Rüstungskonzernen und der auf biometrische Gesichtserkennung spezialisierten Firma Clarifai etwa Microsoft, Amazon AWS, Palantir, IBM und CrowdAI, hob Poulson hervor [11]. Über mehrere Ecken mischten zudem SAP National Security Services (NS2) und die Carnegie Mellon University mit. Prinzipiell gehe es darum, unterschiedlichste Datenquellen wie Standortinformationen und offene Internetangaben zusammenzuführen und Erkenntnisse daraus Individuen mit automatisierten Erkennungsmethoden, Drohnen, Satellitenbildern und Netzüberwachung personenbezogen zuzuordnen.

(bme [12])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6647797

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.disruptionlab.org/the-kill-cloud
[2] http://c4i.gmu.edu/eventsInfo/reviews/2013/pdfs/AFCEA2013-West.pdf
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Distributed_Common_Ground_System
[4] https://www.heise.de/news/33C3-Drohnenkrieg-als-Politik-des-ausgestreckten-Mittelfingers-3582168.html
[5] https://www.heise.de/news/Offener-Standard-fuer-Network-Centric-Warfare-gefordert-84917.html
[6] https://www.heise.de/news/Breko-Studie-Starlink-keine-Konkurrenz-fuer-Glasfaser-6172560.html
[7] https://www.heise.de/news/US-Waffenhersteller-zeigt-Roboterhund-mit-Scharfschuetzengewehr-6217703.html
[8] https://www.heise.de/news/Ukraine-Konflikt-Elon-Musk-aktiviert-Satelliten-Dienst-Starlink-in-der-Ukraine-6527198.html
[9] https://www.heise.de/hintergrund/Wie-die-maechtige-SpaceX-Rakete-das-Sonnensystem-erobern-koennte-6289244.html
[10] https://www.heise.de/news/Militaer-Projekt-Maven-Google-will-Vertrag-mit-Pentagon-nicht-verlaengern-4063744.html
[11] https://techinquiry.org/docs/DNL-DataFusion.pdf
[12] mailto:bme@heise.de